Wien – Rote Ampel. Der lässige Typ mit dem Crosshelm auf dem Roller mit dem lauten Auspuff stellt sich nicht einfach neben uns hin, sondern eine halbe Rollerlänge weiter vorn. Machtdemonstration. Er hält die zierliche Zero S wohl für ein besseres Moped. Dass sie lautlos dasteht, merkt er ob der Plopperei aus seinem Akrapovič gar nicht.

Ampel, die Zweite

Bei der nächsten roten Ampel muss er wieder von hinten aufschließen. Er würdigt das Gespann aus E-Motorrad und altem Mann noch immer keines Blickes. Aber um sich nicht ein zweites Mal die Schmach zu geben, lauter und doch langsamer zu sein, bleibt er jetzt weiter hinten stehen.

Die Zero S ist ein E-Motorrad, konzipiert für die Straße, ideal für Stadt und Speckgürtel. Ihr Antrieb ist sensationell, jede Fahrt ein Spaß – manchmal halt ein kurzer.
Foto: Guido Gluschitsch

Gegen die Zero S, ein E-Motorrad aus Kalifornien, ist in der Stadt kein Kraut gewachsen. 300er-Roller werden gnadenlos stehen gelassen. Verantwortlich dafür sind weniger die 60 PS Leistung – umgerechnet in Badewannen sind das 45 kW -, sondern schuld ist das Drehmoment von 110 Nm. Echte Motorräder, die, wegen eines satten Drehmoments, ebenfalls halbwegs gut antauchen, sind in der Regel so fett, dass sie zwischen den Kolonnen steckenbleiben – wo die samt Akku 185 kg schwere Amerikanerin noch locker durchzwitschert. Bei niedrigen Geschwindigkeiten klingt der Antrieb wie eine Horde psychedelischer Vögel.

14,4 steht für kWh (Kilowattstunden) des Akkus.
Foto: Gianluca Wallisch

Noch ein paar Fakten: In nicht einmal zehn Stunden ist der Akku an einer normalen Schuko-Steckdose (10 A) geladen und soll dann für eine Strecke von fast 300 Kilometern in der Stadt reichen, gibt Zero für die S mit dem 14,4-kWh-Akku an. Die Reichweite auf der Armatur der vollgeladenen Test-Zero spricht indes gerade einmal von etwas mehr als 160 Kilometern.

Keine Kette, sondern ein Riemen überträgt die Kraft.
Foto: Gianluca Wallisch

Da lacht uns der Roller dann natürlich wieder aus. Und ein echtes Motorrad lässt uns auch stehen, wenn es einmal flotter als 153 km/h schnell werden darf.

Nutzt man die Zero S zum Pendeln einer Strecke von etwa 30 Kilometern, wird man mit ihr der glücklichste Mensch der Welt sein und sich nach keinem Roller mehr umdrehen. Aber mit einem konventionell angetriebenen Eisen, um ebenfalls 16.120 Euro, sollte man die Zero nicht vergleichen. Nicht wegen der Reichweite oder dem Top-Speed. Wie wir das schon von E-Auto-Pionieren kennen, ist auch hier der Antrieb hervorragend, der ganze Rest aber entrisch.

Diese Teile sind extrem leicht, aber auch sehr fesch. Und manchmal fehlen sie auch – wie etwa der Ganghebel.
Foto: Gianluca Wallisch

Das beginnt bei den verarbeiteten Materialien, die in erster Linie leicht sind, zieht sich über eine eigenwillige Sitzposition bis hin zu den Bremsen, die nicht nur deshalb an die 1990er-Jahre erinnern, weil sie kein ABS haben. (Guido Gluschitsch)

DIE ZWEITE MEINUNG (Gianluca Wallisch)

Auch ich wollte endlich wissen, wie es ist, mit einer ordentlichen Elektrischen anzurauchen. Nun: Es ist sensationell! 60 PS hat jedes mittelklassige Motorrad, aber um die geht es gar nicht. Das wirklich Beeindruckende ist die Beschleunigung, der Zugriff auf weit über 100 Newtonmeter Drehmoment. Und weil Elektromotoren eben Elektromotoren sind, haben sie auch kein Drehzahlloch, sondern stellen dem Piloten oder der Pilotin das Drehmoment immer und überall zur Verfügung. Soll heißen: Die Zero schiebt im Prinzip aus dem Stand genauso an wie bei 100 km/h. Sehr coole Fahr-Experience!

Bitteschön: Der Motor. That's it. Dort, wo normalerweise der Verbrennungsmotor ist, ist bei der Zero der Tank, sprich: der Akku.
Foto: Gianluca Wallisch

Dass beim Fahren das typische Geräusch eines brabbelnden, brummenden, brüllenden Verbrennungsmotors fehlt, irritiert nur auf den ersten paar Kilometern. Auch wenn mich jetzt Myriaden von Postern prügeln werden: Who needs loud pipes? Ich nicht (mehr). Die Erfahrung, ab 60 km/h im Wienerwald nur noch Windgeräusche zu hören, ist ziemlich lässig.

Und durch die Lautlosigkeit kommt es zu Begegnungen ganz neuer Art, wie zum Beispiel mit jenem Herrn um die 40, der in der Wiener Innenstadt zwischen Fleischmarkt und Schwedenplatz beim Überqueren der Straße plötzlich mittig auf jener stehenblieb, um eine WhatsApp-Nachricht zu beantworten. Als ich keinen halben Meter schräg hinter ihm stehenblieb und freundlich fragte, ob ich bitte weiterfahren dürfe, denn das hier sei schließlich eine Fahrbahn, ließ er sein iPhone vor Schreck fast fallen. Er hat sich entschuldigt, ich habe mich bedankt. E-Mobility macht höflichere Menschen aus uns.

Eine Bremsscheibe reicht vollkommen, meint der gian im Gegensatz zum glu.
Foto: Gianluca Wallisch

Was der Glu herummäkelt an den Bremsen, kann ich nicht ganz nachvollziehen (ok, ich bin eine alte Triumph Thruxton gewöhnt, das härtet ab). Die einzelne große Scheibe vorne, natürlich leichter als zwei kleinere, ist ausreichend dimensioniert, um auch mit zwei Personen an Bord ordentlich zu verzögern. Freilich, Rennbremsen stoppen anders, aber für die 60-PS-Mittelklasse ist die Bremserei absolut ausreichend.

Mittelklasse sind auch die restlichen Komponenten der Zero S. Das Fahrwerk von Showa ist vorne und hinten in Härte und Dämpfung einstellbar, aber natürlich nicht ganz auf Superbike-Niveau. Und auch der Rest der Komponenten und Materialien hat diese Anmutung. Sagen wir so: Hätte die Zero einen herkömmlichen Verbrennungsmotor, würde sie wohl um die 10.000 Euro kosten. Die restlichen 6.000 Euro gibt man für die Antriebstechnologie aus. Diese ist schon für sich genommen ein starkes Statement. Und man spart sich sukzessive Kosten für Energie (Strom vs. Sprit) und Service (weitgehende Wartungsfreiheit, kein Öl, keine Filter, keine Zündkerzen, keine Ventileinstellung und und und...)

Einmal volltanken bitte! Wo der Tank vermutet wird, ist ein Handschuhfach mit einem ordinären dreipoligen Stromkabel und Schukostecker. Wie man es vom Computer am Arbeitsplatz kennt.
Foto: Gianluca Wallisch

Was Kollege Glu mit der Sitzposition meint, trifft nicht nur für 190er, sondern auch für 180er Menschen wie mich zu. Die nach vorne abfallende Sitzbank (hart, aber nicht unbequem) in Kombination mit einem zu kurzen Abstand zum Lenker, der noch dazu ziemlich niedrig angebracht ist, versucht Zero eh schon mit einer eigentümlich nach vorne gedrehten Lenkerpositionierung zu lösen. Funktioniert nicht ganz, da könnte man bei der Sitzgeometrie bei der nächsten Modellgeneration sicher noch nachbessern. Das hätte dann vielleicht auch den Effekt, dass man beim harten Bremsen nicht dieses Gefühl bekommt, als würde gleich das Heck abheben.

Fazit: Tolles Erlebnis und eine echte Alternative, wenn man den Kaufpreis als Investition versteht, der sich später mal amortisieren wird. Eine echte Alternative auch, wenn man Speckgürtel-Pendler ist und mit Tagesreichweiten von – sehr zügig gefahrenen – 160 Kilometern auskommt. Definitiv unbrauchbar für längere Touren. Und man muss sich darauf gefasst machen, dass sich unmittelbar danach jedes andere (leistbare) Motorrad plötzlich ziemlich lahm anfühlt, wenn man gach einmal beschleunigen will oder muss. (Gianluca Wallisch, 13.8.2018)