Bukarest – Trotz des brutalen Polizeieinsatzes am Vorabend gegen eine regierungskritische Großdemonstration sind in Bukarest auch am Samstag Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Sie forderten den sofortigen Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsidentin Vasilica Viorica Dăncilă von der postsozialistischen Partei PSD sowie sofortige Neuwahlen.

ORF

In Bukarest demonstrierten rund 50.000 Menschen vor dem Regierungssitz. Die Aktivisten riefen "Rücktritt", "Ihr habt die rote Linie überschritten", "Schande", "Wir sind das Volk", "Weg mit Mafia-Regierung", "Ohne Straftäter in hohen Ämtern", "Hände weg von der Justiz", und "Wir geben nicht auf". Neben Regierungschefin Dăncilă ist auch der wegen Korruption vorbestrafte Parteichef der PSD, Liviu Dragnea, im Visier der Demonstranten, die sich für eine bessere Korruptionsbekämpfung in ihrem Land einsetzen.

Abermals versammeln sich auf dem Bukarester Siegesplatz zehntausende Regierungsgegner.
Foto: Photo by Daniel MIHAILESCU / AFP

Polizeikräfte noch verstärkt

Angesichts des massiven Einsatzes von Tränengas am Vorabend traf ein Großteil der Demonstranten vorsorglich mit Atemschutzmasken ein, mit deren Hilfe sie im Übrigen auch der Regierungschefin eine Botschaft übermittelten: Auf eine riesige Rumänien-Fahne schrieben sie mit Atemschutzmasken "Rücktritt". Die Polizei war mit einem noch größeren Aufgebot als am Vorabend anwesend, sah diesmal jedoch von Gewalt gegen die Demonstranten ab.

Auch in anderen Großstädten – Timișoara, Sibiu, Cluj, Iași und Brașov – gingen Zehntausende Menschen auf die Straße, viele erklärten sich "schockiert und bis ins Mark getroffen" von der Polizeigewalt gegen die Bukarester Demonstranten.

"Wir zertreten euch"

Die Hartnäckigkeit der Protestierenden sorgte jedenfalls für Kritik seitens der regierenden Postsozialisten. Die Demonstranten seien gut beraten, "nicht länger zu provozieren, sonst kommen wir mit einer Million Anhängern und zertreten euch", drohte der PSD-Abgeordnete Cătălin Rădulescu, der schon letztes Jahr angedroht hatte, alle Regierungskritiker mit seinem Sturmgewehr zu erschießen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Unter den Demonstranten sind viele Auslandsrumänen, die ihren Urlaub in der Heimat verbringen.
Foto: AP Photo/Vadim Ghirda

Die schwer in die Kritik geratene Innenministerin Carmen Dan (PSD) trat erst am späten Samstagnachmittag, fast 24 Stunden nach dem blutigen Einsatz der Ordnungshüter, mit einer knappen Erklärung vor die Presse. Fragen der Journalisten beantwortete die Ministerin nicht. Dan erstattete ausführlich Bericht über den Gesundheitszustand der verletzten Polizisten, erwähnte indes die mehr als 400 verletzten Demonstranten mit keinem Wort und hatte auch keine Genesungswünsche für diese übrig. Die Ministerin behauptete, die Polizei sei "vorbildlich" und "ausschließlich gegen Hooligans" vorgegangen, und rügte Staatspräsident Klaus Johannis für dessen herbe Kritik am "unverhältnismäßigen Vorgehen" der Polizei.

Die Unabhängigkeit der Justiz steht für viele der Unzufriedenen auf dem Spiel.
Foto: Photo by Daniel MIHAILESCU / AFP

PSD-Chef macht Staatspräsident verantwortlich

Fast zeitgleich meldete sich auch PSD-Chef Liviu Dragnea zu Wort und machte das Staatsoberhaupt sowie die bürgerliche und liberale Opposition für die dramatischen Vorfälle vom Vortag verantwortlich: Johannis sei der "politische Sponsor dieser Gewalt und extremistischen Ausschreitungen", da er gemeinsam mit den Oppositionsparteien die Menschen systematisch gegen eine "legitime Regierung" aufhetze, so Dragnea.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Keine Kriminellen" steht auf dem Bandana dieses Demonstranten – "Rücktritt" auf dem Mundschutz. Die Demonstranten in Bukarest haben sich auf weiteres Tränengas vorbereitet.
Foto: AP Photo/Andreea Alexandru

Die Opposition bestand indes auf der Einberufung einer außerordentlichen Parlamentstagung, um einen Untersuchungsausschuss mit der Aufklärung des gewaltsamen Polizeieinsatzes zu beauftragen. Liberalen-Chef Ludovic Orban verglich die Polizeigewalt von Freitag mit dem blutigen Bergarbeiter-Einfall in Bukarest im Juni 1990, als die vom ersten Nachwendepräsidenten Ion Iliescu in die Hauptstadt beorderten Kumpel Hunderte Demonstranten niedergeknüppelt hatten. USR-Chef Dan Barna sprach von einem "pechschwarzen Tag für Rumäniens Demokratie", während der ehemalige Premierminister und EU-Agrarkommissar Dacian Cioloș befand, dass das Land mit einer derartigen Regierung "nicht fähig ist, den ab Jänner 2019 anstehenden EU-Ratsvorsitz zu übernehmen und auszuüben." (red, APA, 11.8.2018)