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Nach einigen Jahren als Journalist für britische Medien begann V. S. Naipaul, Romane zu schreiben. 2001 erhielt der genaue Beobachter mit der klaren, schnörkellosen Sprache den Literaturnobelpreis. Nun ist der Schriftsteller 86-jährig in London gestorben. Er (hier auf einem Archivfoto von 2001) hinterlässt seine zweite Frau Nadira und eine Tochter.

Foto: AP / Chris Ison

London – Vidiadhar Surajprasad Naipaul stellte seine Mitwelt vor Probleme. Denn der Schriftsteller vereint in seinem rund 40 Bücher umfassenden Schaffen dichterische Brillanz mit der Lust an Provokation. Bezeichnend ist, dass Naipaul die Kritik, die er dafür auf sich zog, nicht einmal störte. Seine arrogante und schwierige Persönlichkeit pflegte und zelebrierte er geradezu. Am Samstag ist Naipaul wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag in London gestorben.

Sein ganzes Leben gründet auf einer Oppositionshaltung. 1932 als Nachfahre indischer Arbeiter auf der Karibikinsel Trinidad geboren, will er früh von dort weg, denn es fehlt ihm dort an wirtschaftlichen wie geistigen Per spektiven. Mit einem Stipendium schafft er 18-jährig den Absprung ins Commonwealth-Mutterland England und an die Universität Oxford. Er will Autor werden und der "Zivilisation beitreten".

Er beginnt bei der BBC als Journalist, aber nichtsdestoweniger lässt ihn das Gegenüber dieser westlichen Welt nicht los. Ein Haus für Mr. Biswas, der letzte Band, in dem er seine Kindheit und die koloniale Gesellschaft auf Trinidad verarbeitete, bescherte ihm 1961 den ersten großen Erfolg. Aber Naipaul will sich nicht durch seine Herkunft definieren lassen. Er will über seine Identität selbst bestimmen. Und deshalb geht Naipaul bald hart mit seinem ungeliebten Land ins Gericht.

V. S. Naipaul im Jahr 1973.
Foto: AFP/Lehtikuva

Wie auch mit allen anderen Ländern, die er für seine Romane, Essays und Reportagen besucht. Schnörkellose Sprache und scharfe Beobachtungen zeichnen sie aus. Er reiste, redete mit den Menschen, schrieb auf. Nicht allein der Westen sei schuld an der Situation ärmerer Weltgegenden wie Indien (Land der Finsternis, 1964, dt. 1967), Pakistan, Afrika oder Südamerika, stellt Naipaul dabei fest. Sondern sie trügen durch Lethargie, Missregierung oder politischen Islam (Eine islamische Reise, 1981) selbst zu ihrer Armut und Unterentwicklung bei.

Einerseits wurde er zum Sir erhoben, andererseits wurde ihm für solche Aussagen vorgeworfen, er befeuere Vorurteile, betreibe Rassismus und sehe die Welt aus der Perspektive der Kolonialherren. Auch als er 2001 den Literaturnobelpreis erhielt. Er sei frei von Ideologie, hielt er dagegen.

Nie ganz unumstritten: V. S. Naipaul. – Autoren, die im Schreiben so kritisch seien wie ihr Mann, seien im Privaten eben nicht netter, notierte seine verstorbene erste Ehefrau Pat.
Foto: APA/AFP/Maja Suslin

Provokant war es ebenso, als Naipaul 1993 sein privates Archiv inklusive der Tagebücher seiner Frau Pat zugänglich machte. Die autorisierte, doch unschmeichelhafte Biografie The World Is What It Is (2008) ging daraus hervor. In 40 Jahren hat er Pat geplagt und betrogen. "Man könnte sagen, dass ich sie umgebracht habe", schätzte er seine Kränkungen nach ihrem Tod 1996 ein. Autoren, die im Schreiben so kritisch seien wie ihr Mann, seien im Privaten eben nicht netter, notierte Pat.

"Menschen, die nichts sind, die sich erlauben, nichts zu werden, haben keinen Platz darin", schreibt Naipaul im Roman An der Biegung des großen Flusses (1979) über die Welt. Er hat sich einen Platz erkämpft. Ob Naipaul sich an seinem Platz angekommen sah? Als Außenseiter war er ein Chronist. Er nahm für sich – mit allen Konsequenzen und womöglich Irrtümern – die Freiheit in Anspruch, er selbst zu sein. (Michael Wurmitzer, 12.8.2018)