Muqtada al-Sadr bleibt mit seiner Parteienallianz Sieger der Wahl vom 12. Mai. Aber seine Partei könnte in der Opposition bleiben.

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Wäre es nach dem verfassungsmäßigen Fahrplan gegangen, dann hätte der Irak jetzt eine neue Regierung. Stattdessen sind drei Monate nach der Parlamentswahl vom 12. Mai erst einmal die Resultate der teilweisen manuellen Stimmennachzählung da – was aber noch immer nicht das offizielle Endergebnis bedeutet. Denn noch einmal haben die Parteien die Möglichkeit, Einspruch zu erheben.

Erst nach der Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof kann die konstituierende Sitzung des Parlaments stattfinden – und die Uhr zur Besetzung der Posten von Parlamentspräsident, Staatspräsident und Premierminister beginnt zu ticken.

Keine wesentlichen Stimmen-Verschiebungen

Die Nachzählung hat die Ende Mai bekanntgegebenen Ergebnisse nicht wesentlich verändert. Die Allianz rund um den einstmals radikalen Schiitenführer Muqtada al-Sadr, der sich für die Wahlen mit den Kommunisten zusammenschloss, hat die Wahlen gewonnen – mit 54 Sitzen von 329, was illustriert, wie zersplittert die politische Szene ist. Der für manche Beobachter schockierende Zweite im Rennen geht aus der Nachzählung mit einem Mandat mehr (48 insgesamt) sogar etwas gestärkt hervor: eine Allianz aus meist schiitischen, meist Iran-freundlichen Milizen bzw. ihren politischen Armen unter Hadi al-Amiri. Und der derzeitige Übergangspremier Haidar al-Abadi bleibt Dritter (42 Sitze).

Danach kommt eine Kurdenallianz, wobei die beiden alten großen Parteien KDP und PUK nicht überall gemeinsam antraten. Es folgt der frühere Premier Nuri al-Maliki, der 2014 gehen musste, nachdem der "Islamische Staat" Mossul erobert hatte. Seine antisunnitische Politik wurde dafür verantwortlich gemacht, dass viele Sunniten den IS 2014 in einem ersten Moment als geringeres Übel als die Regierung in Bagdad ansahen. Noch hinter ihm liegt Expremier Iyad Allawi (2004–2005), einstmals der Mann der USA im Irak.

Schwierig wird’s danach

Was für alle Wahlen galt, die seit dem Sturz Saddam Husseins durch die amerikanische Invasion 2003 stattgefunden haben, ist auch diesmal eingetreten: Die Wahlen selbst laufen relativ ungestört ab, die Regierungsbildung danach gestaltet sich äußerst schwierig. Der Urnengang im Mai war der erste nach der Niederlage des "Islamischen Staats": Entsprechend hieß die Parteienallianz von Premier Abadi "Sieg". Es gelang ihm aber kaum, davon zu profitieren. Die Wahlbeteiligung schrumpfte auf unter 45 Prozent, Wahlbetrugsvorwürfe waren zahlreich, und auch die nochmalige Auszählung wird nicht alle zufriedenstellen, etwa in Bagdad, wo ein Lager, in dem Wahlzettel und Computer deponiert waren – erstmals war maschinell ausgezählt worden –, in Flammen aufging.

Für Abadi delegitimierend wirken auch die anhaltenden Proteste im Süden, dessen Ölvorkommen einen Großteil des Einkommens des Irak generieren, der aber besonders in den letzten Jahren, als alle Ressourcen in den Kampf gegen den IS im Norden und Westen gingen, vernachlässigt wurde.

Nichts ist fix

In den vergangenen drei Monaten nach den Wahlen gab es kaum eine Kombination zwischen den großen Allianzen, die nicht für eine Regierungskoalition durchgespielt wurde. Aber nichts ist fix. Zudem können sich die Parteien im Parlament auch wieder in anderen Konstellationen zusammenfinden, als jene, mit denen sie zur Wahl angetreten sind. Anfangs schien die wahrscheinlichste Version, dass Sadr – der selbst keinen Parteiposten innehat und nicht in die Regierung will– Abadi mit der Hilfe von anderen wieder zum Premier macht. Sadr hat nun eine Liste von Bedingungen gestellt, wenn sie nicht erfüllt werden, will er seine Gruppe in Opposition schicken.

Zwischen Sadr und dem zweitgereihten ehemaligen Milizenführer Amiri gibt es vor allem große Unterschiede, was die Beziehungen zum mächtigen Nachbarn Iran anbelangt, der nach 2003 großen Einfluss im Irak gewonnen hat. Für die neue irakische Regierung gibt es das große Problem zu lösen, wie man mit dem US-Druck den Iran betreffend umgeht. Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomdeal und der Wiedereinführung der US-Sanktionen gegen den Iran will Präsident Donald Trump diese Politik der ganzen Welt aufzwingen. Für den Irak könnte das zu einer existenziellen Herausforderung werden. Auch die USA haben ja noch immer eine starke Rolle im Irak – noch stärker geworden durch den Kampf gegen den IS.

Tradition und Verfassung

Bevor das Parlament den Regierungschef wählt, muss es sich zuerst auf einen Parlamentspräsidenten einigen. Dieser Posten ist im neuen Irak traditionell in sunnitischer Hand, allerdings ist das nicht in der Verfassung festgeschrieben.

Genauso ist es mit dem Posten des Staatspräsidenten, für den es ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit braucht und der seit Jalal Talabani (2005) von einem Kurden aus der PUK (Patriotische Union Kurdistans) besetzt ist. Dafür nominiert ist nun Mohammed Saber Ismail, der mit der Familie Talabani verschwägert ist. Aber es gibt auch immer wieder sunnitische Stimmen, die den Staatspräsidenten für die Sunniten beanspruchen. Vor Talabani war 2004 für kurze Zeit ein Sunnit, Ghazi al-Yawar, Staatspräsident und somit der erste Präsident nach Saddam Hussein. Er war allerdings nicht gewählt, sondern von der UNO ernannt. (Gudrun Harrer, 13.8.2018)