Das studentische Jahresvisum im Pass von David Missal war gültig bis zum 6. September 2018. Doch solange wollten die Sicherheitsbehörden den deutschen Nachwuchsjournalisten in Peking nicht mehr dulden. Als der Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der an der renommierten Tsinghua-Universität Publizistik und Kommunikation studierte, sein Visum verlängern wollte, stempelten sie es ungültig.

David Missal kurz vor seiner erzwungenen Abreise aus China.
johnny erling

Die Polizeibehörde verfügte, er habe China innerhalb von zehn Tagen, spätestens am 12. August, zu verlassen. Seine Aktivitäten seien mit dem Status eines Studenten unvereinbar. Er wollte darauf konkret wissen, warum er ausgewiesen wird. "Das wissen Sie doch selbst," hätten ihm die Behörden geantwortet, sagte er unmittelbar seiner Ausreise zum STANDARD.

Stolperstein Menschenrechte

Sonntagfrüh verließ der Osnabrücker nach knapp einem Jahr China, wo er eigentlich einen dreijährigen Master-Studiengang hatte absolvieren wollen. Der 24-Jährige hatte mit seiner filmischen Seminararbeit über die Arbeit des Verteidiger Lin Qilei und den Schwierigkeiten, denen Menschenrechtsanwälte in China bei der legalen Ausübung ihres Berufs ausgesetzt sind, ungeschriebene Grenzen der akademischen Freiheit überschritten. Zumindest solche, die die Polizei setzt. Denn sein Thema war anfangs im Studienfach als Hausarbeit angenommen worden. Die Universität stellte auch das Arbeitsmaterial wie Kameras.

Der akademische Nachwuchs-Filmemacher porträtierte einen der mutigen Bürgerrechstanwälte. Der war bereit, sich von Missal bei seiner Arbeit begleiten zu lassen. Er nahm ihn sogar zwei Tage mit zu sich nach Hause, wo er Lins Familie und seiner Mutter kennenlernte. Er filmte, wie sie über die Gefahren des Anwaltsberufes denken.

Begleitende Recherche

Im Mai nahm der Anwalt den jungen Deutschen dann auch zum Besuch eines Mandanten in Zentralchinas Metropole Wuhan mit. Lin war Verteidiger für den der Subversion angeklagten Veteranen der Demokratiebewegung Qin Yongmin, bevor dieser im vergangenen Juli dann zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde. "Ich konnte natürlich nicht mit in das Untersuchungsgefängnis. Aber ich filmte den Anwalt vor der Haftanstalt, wie er die Formalien für einen Besuch des Angeklagten erledigte", sagte Missal. "Ich war so aufgeregt. Meine Kamera ruhig zu halten war nicht einfach."

"Bald ist meine Geschichte in China zu Ende."

Neun Minuten lang ist sein Film geworden, den er auf seine Webseite und auf Twitter stellte. Einfühlsam und nachdrücklich bearbeitet er das öffentlich tabuisierte Thema der schwierigen Arbeit von Menschenrechtsanwältem. Am 9. Juli 2015 hatten Chinas Sicherheitsbehörden speziell gegen den Berufsstand zugeschlagen, ließen fast 300 Anwälte, Juristen, Kanzleiangehörige und Aktivisten festnehmen, um die Zunft der Bürgerrechtsverteidiger einzuschüchtern.

Missal war auf sie aufmerksam geworden, als er Li Wenzu begleitete und ihren persönlichen Protest filmte. Die Frau des nach dem 9. Juli inhaftieren Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhan, war 999 Tage nach dem Verschwinden ihres Mannes zu einem öffentlichen Marsch aufgebrochen. Sie wollte damit die Behörden zwingen, sie über den Verbleib von Wang zu informieren. Sie wurde drangsaliert und schikaniert. Inzwischen hat sie erfahren können, in welcher Haftanstalt ihr Mann noch immer ohne Anklage sitzt.

Zu nah am heiklen Thema dran

Über Frau Wang lernte Missal dann Anwalt Lin kennen. Er kommt mit seinem Film ganz nah an alle beteiligten Menschen und auch an das heikle Thema heran. Viel zu nah für Chinas Sicherheitsbehörden. Erst in Wuhan, als der deutsche Student vor dem Untersuchungsgefängnis filmte und auf Anwalt Lin wartete, wurden sie auf ihn aufmerksam. Nach eineinhalb Stunden griff die Polizei ihn auf. Drei Stunden behielten sie ihn ein, verhörten ihn. Doch er sagte ihnen nur, dass es nicht verboten sei, vor einem Gefängnis zu filmen. Er weigerte sich die Aufnahmen zu löschen. Sie ließen ihn gehen, nachdem sich auch Anwalt Lin meldete und ihnen erklärte, dass der Graduiertenstudent ihn filmisch begleitete.

Aber die Behörden hatten ihn von nun an in ihrem Visier. Auch seine Kursleiterin in der Tsinghua meldete nun Bedenken gegen seine Hausarbeit an. Als Missal der Polizei im Juni seinen Pass zur Verlängerung einreichte, ließen sie ihn zwei Monate warten. Dann wurde ihm mitgeteilt, dass er ausgewiesen sei.

Missal, der keine Gesetze brach oder illegal handelte, bedauert nicht, sich so stark in China engagiert zu haben. Er wusste, wie es Peking mit der Pressefreiheit hält. "Ich dachte aber, dass es im Rahmen des Studiums mehr Freiheiten gibt. Wenn ich hier Journalismus studiere, muss ich versuchen, die Grenzen auszutesten."

Missals Visum, ungültig gestempelt und mit einem Ultimatum versehen.
johnny erling

Sein Interesse an China erwachte, als er sich nach dem Abitur (Matura) für ein Freiwilliges Soziales Jahr bewarb und nach Nanjing geschickt wurde, um bei dortigen Deutschlehrkursen zu assistieren. Dann begann er selbst Chinesisch zu lernen, zuerst in Würzburg, ein halbes Jahr an der Universität Peking und dann an der Berliner FU, wo er mit einem Bachelor abschloss. Der 24-Jährige will sein Masterstudium im Journalismus nun an der FU fortsetzen und dann "vermutlich zu einem Austauschjahr nach Taiwan gehen."

Er sei "traurig, dass ich vielleicht nie wieder ein Visum für China bekommen kann" sagte Missal vor seiner erzwungenen Ausreise. Aber was noch mehr zählt: "Ich habe hier so viel gelernt und unglaublich mutige Menschen wie diese Anwälte getroffen." (Johnny Erling aus Peking, 12.8.2018)