Die Unesco ist bekannt dafür, dass sie Dinge unter Schutz stellt (im Bild: die Wiener Kaffeehauskultur). Sie tut aber viel mehr.

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Am 13. August 1948 ist Österreich Mitglied der Unesco geworden, was der damalige österreichische Außenminister Karl Gruber als bedeutungsvolles Ereignis für den Wiedereintritt Österreichs in das internationale Leben kommentierte. Während eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen erst nach der Wiedererlangung unserer vollen Souveränität im Jahr 1956 möglich war, erfolgte der Beitritt zur Unesco auf Beschluss des Ministerrats ohne Befassung des Parlaments oder des Alliierten Kontrollrats.

Wie wichtig die frühe Mitgliedschaft für die österreichische Bundesregierung war, geht aus der folgenden Rede von Bundeskanzler Leopold Figl 1952 im österreichischen Rundfunk hervor: "Die Kardinalfrage, um die es heute in der Welt geht, ist die Frage, auf welchem Wege am besten der Weltfrieden gesichert werden kann. Diese Frage wird nur dann eine befriedigende Lösung finden, wenn nicht nur der materielle Wohlstand in allen Teilen der Welt gehoben wird, sondern die Menschen der verschiedenen Rassen und Völker auch geistig einander finden und sich gegenseitig verstehen lernen. Das ist aber eben eines der Hauptziele der Unesco: durch die solidarische Zusammenarbeit aller Völker der Erde geistige Brücken zwischen ihnen zu schlagen und den Kampf der materiellen Waffen auszuschalten."

Die Vereinten Nationen wurden 1945 in San Francisco als Reaktion auf zwei verheerende Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, den Aufstieg des Faschismus und die Barbarei des Holocaust gegründet. Ihre drei wichtigsten Aufgaben sind die Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (Freiheit von Angst und Gewalt), die Förderung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung durch internationale Zusammenarbeit (Freiheit von Not und Armut) sowie der Schutz der Menschenrechte, um allen Menschen ein Leben in Würde zu garantieren. Wie Generalsekretär Kofi Annan in seinem Bericht "In Larger Freedom" 2005 treffend festgestellt hat, sind diese drei Hauptziele interdependent, denn wir werden Sicherheit nicht ohne Entwicklung, Entwicklung nicht ohne Sicherheit und beide Ziele nicht ohne den Schutz der Menschenrechte verwirklichen können.

Diese drei Hauptziele der internationalen Zusammenarbeit spiegeln sich auch in der Verfassung der Unesco aus dem Jahr 1946 wider: "Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden ... Die weite Verbreitung von Kultur und die Erziehung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind für die Würde des Menschen unerlässlich ... Friede muss – wenn er nicht scheitern soll – in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden." Die Unesco befasst sich mit der Zusammenarbeit in den drei Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Sie hat wesentlich zur Anerkennung und Durchsetzung eines universellen Rechts auf Bildung für alle und insbesondere zur Bildung im Geiste der universellen Menschenrechte beigetragen. Im Kulturbereich leistete sie Pionierarbeit in Bezug auf die Anerkennung der Universalität, Gleichberechtigung und Vielfalt aller Kulturen. Insbesondere bemüht sie sich um den Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit für zukünftige Generationen, vom Kulturgüterschutz über die Erhaltung des Weltkultur- und Weltnaturerbes bis zum immateriellen Kulturerbe. Im Bereich der Wissenschaft ist sie beispielsweise federführend in Fragen der Bioethik oder bei der Erforschung und Überwachung der Ozeane.

Palästina-Konflikt

Wie die Vereinten Nationen werden natürlich auch ihre Sonderorganisationen nicht von den politischen Auseinandersetzungen der Staaten verschont. Der ständige Kampf zwischen Multilateralismus und Bilateralismus, der vor allem von den USA immer wieder forciert wird, zeigt sich auch in der Geschichte der Unesco. Aktuellste Entwicklung des seit Jahrzehnten in der Organisation schwelenden Palästina-Konflikts: Seit der Aufnahme Palästinas als Vollmitglied 2011 stellten die USA und Israel ihre Zahlungen ein, weswegen sie 2013 ihr Stimmrecht verloren. Als die Unesco schließlich 2017 die Altstadt von Hebron zum palästinensischen Weltkulturerbe erklärte, verkündeten die USA und Israel postwendend ihren Austritt, der mit 31. Dezember 2018 in Kraft treten wird.

Die Auseinandersetzungen in der Unesco sind allerdings nur ein Beispiel für die derzeitige Krise internationaler Organisationen und des Multilateralismus generell. Andere Beispiele sind der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU, der Rückzug der USA aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem Atomdeal mit dem Iran, die drastischen Budgetkürzungen der USA bei der Uno oder die Einstellung der Zahlungen Russlands an den Europarat. Die zunehmend autokratisch herrschenden Politiker des 21. Jahrhunderts wie Donald Trump oder Wladimir Putin setzen wieder auf militärische Stärke, einseitige Wirtschaftssanktionen und militärische Interventionen, Protektionismus und Bilateralismus.

Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass in Zeiten der Globalisierung die großen globalen Krisen und Herausforderungen wie die Bekämpfung des Klimawandels, des Terrorismus, der organisierten Kriminalität, des Radikalismus und gewalttätigen Extremismus, der ökonomischen Ungleichheit und Korruption sowie der Macht transnationaler Unternehmen und der globalen Finanzmärkte oder die Lösung und Verhütung bewaffneter Konflikte und globaler Migration nur durch multilaterale Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Organisationen erfolgreich bewältigt werden können. Die internationale Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte befinden sich in der tiefsten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Statt eines zunehmenden Populismus, Nationalismus und Bilateralismus brauchen wir eine neue Vision einer gerechten Weltordnung und eine Stärkung statt Schwächung internationaler Organisationen.

Die 2015 verabschiedete Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen stellt eine solche Vision dar. Aber wir brauchen weitsichtige Politikerinnen und Politiker, welche die Vision einer sozial gerechten und friedlichen Welt und die Erhaltung unseres Planeten für zukünftige Generationen über ihre kurzfristigen nationale Ziele stellen und die Oberhoheit der multilateralen Politik über die Profitinteressen globaler Konzerne zurückgewinnen wollen. Dazu bedarf es aber einer Rückbesinnung auf die Gründe des Multilateralismus, eine neue Kultur des Friedens, der Solidarität und der Menschenrechte, also jener Ziele, denen sich die Unesco vor etwas mehr als 70 Jahren verschrieben hatte. (Manfred Nowak, 13.8.2018)