In diesem Sommer wagen die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik eine Ausweitung der Zeitzone. Man dringt dabei bis in die Klangwelten des frühen 19. Jahrhunderts vor. Alessandro De Marchi setzt die 1823 in Turin uraufgeführte Oper Didone abbandonata von Giuseppe Saverio Mercadante auf den Spielplan. Der künstlerische Leiter des Festivals sieht den Rossini-Zeitgenossen als einen der letzten großen Protagonisten der Neapolitanischen Opernschule, deren Entwicklung über anderthalb Jahrhunderte in Innsbruck zuletzt mit Werken von Francesco Provenzale, Nicola Porpora und Giovanni Battista Pergolesi beleuchtet wurde.

Viel Nebelmaschine, viel Drehbühne: die mauen Tricks der "Didone": Osmida (Pietro Di Bianco), Araspe (Diego Godoy), Enea (Katrin Wundsam), Didone (Viktorija Miðkûnaité), Jarba (Carlo Allemano) und Selene (Emilie Renard), von links nach rechts.
Foto: Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl

Und so kam es überraschenderweise zu einem Belcanto-Battle in Westösterreich: Nur zwei Tage nachdem bei den Salzburger Festspielen Rossinis L'italiana in Algeri wiederaufgenommen wurde (mit Cecilia Bartoli in der Titelpartie), konterte man in Innsbruck mit Mercadantes Didone. Toughe Frauen stehen da wie dort im Mittelpunkt: hier die Italienerin, die selbst muslimische Machos kleinkriegt, da die phönizische Prinzessin, die in Afrika eine Stadt aus dem Boden stampft.

Die Handlung ist seit Vergils Zeiten bekannt: Enea, Didones Geliebter, muss im Auftrag der Götter Rom gründen und infolgedessen aus Karthago scheiden. Der mächtige Maurenfürst Jarba wirbt um die stolze Königin, doch die will nur ihren Enea und sonst keinen. Ihre Exit-Strategie: Sie stürzt sich in die Flammen der brennenden Stadt. Pietro Metastasio gelingt es in seinem ersten Libretto (von 1724!), aus dieser simplen Grundkonstellation eine seifenopernhaft inflationäre Folge extremer Gefühlsumstürze zu formen: Zustände von Enttäuschung, Hoffnung und bodenloser Verzweiflung werden im Tempo einer Hochschaubahn durchdüst.

Noch ist hier kein heldischer Tatendrang auszumachen: Enea (Katrin Wundsam), Didones Geliebter, soll im Auftrag der Götter Rom begründen.
Foto: Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl

In permanente Nebel gehüllt

In der Inszenierung von Jürgen Flimm baut Didone bei der Errichtung Karthagos auf Beton (Bühne: Magdalena Gut). Rote Segel künden vom baldigen Aufbruch Eneas, Nebelschwaden ziehen in Permanenz herum wie sonst nur in englischen Moorlandschaften. Gerade, dass man Mobiliar und Kostüme im Kolonialstil (Kristina Bell) noch erkennen kann. Vom steten Einsatz von Nebelmaschine und Drehbühne abgesehen fällt dem Regieveteranen nicht sonderlich viel ein. Das Licht (Irene Selka) bescheint die Dinge in recht stimmungsfreier Weise.

Flimms plumpe Führung des einmal von links, einmal von rechts, einmal von hinten und einmal von vorne auftretenden Soldatenchors übertrifft die Gustav-Kuhn-Tiefmarke auf diesem Gebiet nur knapp. Zum Glück singt der Herrenchor des Coro Maghini (Einstudierung: Claudio Chiavazza) einfühlsam und abwechslungsreich. Carlo Vincenzo Allemano steigert sich als Jarba im zweiten Akt vom buffonesken Tanzbären zum Seniorenheim-Derwisch. Dem wohlklingenden Italiener, er ist Stammgast hier bei den Innsbrucker Festwochen, mangelt es erst stimmlich an Gefährlichkeit, an Aggressivität; nach der Pause stachelt er sich selbst zu einem kleinen Domingo-Furor auf.

Heldischer Esprit gesucht

Die tadellos singende Katrin Wundsam müht sich mit ihrem schlanken Mezzo, Enea heldischen Esprit zu verleihen, findet aber lediglich von Hausfrauenbravheit zu Gouvernantenstrenge. Ganz Energie, Feuer und Stolz ist Viktorija Miskunaite als Didone, die Litauerin bewältigt die vielfältigen Anforderungen der großen Partie respektabel. In den kleineren Parten gefällt Emilie Renard als Selene, Pietro Di Bianco (Osmida) hat immerhin einen wunderschönen stattlichen Bart.

Buffonesker Tanzbär Jarba hat den Bartträger Osmida im Schwitzkasten (Carlo Vincenzo Allemano und Pietro Di Bianco)
Foto: Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl

Und das Orchester? Wie in Salzburg spielt man in Innsbruck Belcanto-Oper auf Originalklanginstrumenten. Während Jean-Christophe Spinosi und das Ensemble Matheus in der Mozartstadt oft einen ruppigen, rauen Stil à la Harnoncourt pflegten, ist Alessandro De Marchi eher ein Anwalt des delikaten, beschaulichen Spiels, ein Waldmüller der Klangmalerei. Die Hörner mühten sich da wie dort, in Salzburg schlug man daraus szenisches Kapital, in Innsbruck war es (in der Ouvertüre) nur unangenehm. Trotzdem: Insgesamt setzten De Marchi und die Academia Montis Regalis die abwechslungsreiche Musik Mercadantes in gefälliger Weise um.

Die Musiker wurden mit Bravo-Rufen gefeiert, Jürgen Flimm schützte auch sein Trachtensakko nicht vor einem kleinen Buh-Sturm der Enttäuschung. (Stefan Ender, 12. 8. 2018)