In Bukarest verliefen nach den schweren Krawallen vom Freitag die Proteste am Samstag (Bild) weitgehend ohne Zwischenfälle.

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Auch am Sonntag wurde wieder per Handybeleuchtung ein Lichtermeer in Bukarest veranstaltet.

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Bukarest/Sibiu/Wien – In Rumänien sind am Sonntagabend zum dritten Mal in Folge zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsidentin Vasilica Viorica Dăncilă von den Postsozialisten (PSD) und des Parlamentspräsidenten und PSD-Chefs Liviu Dragnea zu fordern.

"Wir gehen nicht, bis ihr nicht geht", riefen die Demonstranten vor dem Regierungssitz in Bukarest, von denen viele sichtbare Blessuren infolge der Polizeigewalt von Freitagabend aufwiesen. Auch am Sonntag wappneten sich die meisten vorsorglich mit Atemschutzmasken, viele trugen zudem Pappschilder oder Transparente, auf denen "Ohne Gewalt" oder, im Fall von Demonstrantinnen, "Ich habe Mascara aufgetragen – bitte kein Tränengas" stand.

Keine Vorfälle am Sonntag

Seit Freitag befindet sich Rumänien, wie so oft in den vergangenen Jahren, im Protestfieber. Die Empörung richtet sich diesmal nicht allein gegen die Korruption der Regierenden, sondern auch gegen die laut vielen Beobachtern exzessive Gewalt, die die Ordnungskräfte erstmals eingesetzt haben.

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In Sprechchören warfen sie der Regierung vor, ihre eigenen Bürger zu bekriegen, und forderten wiederholt "Geht, bevor jemand stirbt" und "Neuwahlen". Eine "korrupte Regierung hat ihren Repressionsapparat gegen die eigenen Bürger eingesetzt – genug ist genug! Wir geben nicht auf und gehen erneut auf die Straße", hatte es im Aufruf der rumänischen Zivilgesellschaft zum Sonntagsprotest geheißen. Die rumänische Polizei war diesmal mit einem minimalen Aufgebot anwesend, der Protest verlief ohne jegliche Vorfälle. Am Montagabend versammelten sich rund 2.000 Menschen in Bukarest.

Zögerliche Reaktionen aus Brüssel

Am Freitag war auch gegen ein ORF-Kamerateam mit Gewalt vorgegangen worden, am Samstag verliefen die Demonstrationen friedlich. Das gewaltsame Vorgehen der rumänischen Sicherheitskräfte gegen das Kamerateam hat nun auch die EU-Kommission öffentlich verurteilt. "Es ist wichtig, dass die Medien ihre Arbeit machen können", sagte ein Sprecher am Montag. Ansonsten wolle sich die Kommission aber nicht zu Vorgängen in den Mitgliedsstaaten äußern.

Auch das mittlerweile wieder gelöschte Facebook-Posting eines Regierungsberaters im Rang eines Staatssekretärs, der gefordert hatte, die Demonstranten "hätten niedergeschossen" werden müssen, wollte die Kommission auf APA-Anfrage am Montag nicht kommentieren. Ebenso mögliche Auswirkungen auf den EU-Ratsvorsitz Rumäniens im kommenden Halbjahr.

Die EU-Kommission zeigte sich bisher zwar besorgt über die Entwicklungen im rumänischen Justizbereich. So forderte EU-Justizkommissarin Věra Jourová die rumänische Regierung in der "Welt" vom Montag auf, die Pläne zu überdenken. Im Gegensatz zu Ungarn oder Polen sei Brüssel bisher aber recht zahm gegenüber Bukarest vorgegangen, meinen Beobachter.

Vorwürfe an Auslandsrumänen

Nach einer intensiven Social-Media-Kampagne waren viele der Demonstranten aus anderen EU-Ländern, in die sie ausgewandert waren, nach Rumänien gereist. Dort schlug ihnen ein rauer Wind entgegen. Ein Staatsbeamter bezeichnete die sogenannten "Diaspora-Rumänen" im Vorfeld der Proteste als "Diebe, Huren und Bettler", die EU-Abgeordnete Maria Grapini stellte ihnen auf Facebook "Dummheitszertifikate" aus.

"Ich habe das Land nicht freiwillig verlassen", sagte eine Frau bei der Demonstration in Sibiu zum STANDARD. "Ich habe es hier zu nichts bringen können, weil eine Regierung nach der anderen nur selbst Geld einsteckt und ihre inkompetenten Schützlinge das Land wirtschaftlich zugrunde richten." Die Anzahl der Auslandsrumänen wird auf etwa vier Millionen geschätzt, die demografische Ausdünnung ist insbesondere in den arbeitsfähigen Altersgruppen dramatisch.

"Gefährliche Hooligans"

Während Innenministerin Carmen Dan von "gefährlichen Hooligans" unter den Demonstranten sprach, erklärte Staatschef Klaus Johannis, es sei "unerklärlich", warum die Gendarmerie ihnen erlaubte, den Protest umzulenken und zu missbrauchen. Er forderte die Generalstaatsanwaltschaft zu entsprechenden Ermittlungen auf. PSD-Chef Liviu Dragnea beschuldigte Johannis, der politische Sponsor extremistischer Ausschreitungen zu sein, und bezichtigte ihn der "Unterminierung der Staatsgewalt" und der Anstiftung zur Gewalt, mit dem "offensichtlichen Zweck, die aktuelle Regierung zu stürzen".

Touristen attackiert

Die rumänische Polizei hat offenbar auch israelische Touristen niedergeknüppelt. Eine Gruppe von Touristen sei unweit des Regierungssitzes aus einem Taxi gezerrt und "fast zu Tode geprügelt" worden, empörte sich die israelische Botschaft am Montag.

Avi Saleh, eines der inzwischen in die Heimat zurückgekehrten Opfer, sagte dem israelischen Sender Channel 12, er und seine Mitreisenden seien "fast gelyncht" worden, obwohl man verzweifelt die israelischen Reisepässe geschwenkt und wiederholt beteuert habe, nichts mit dem Antiregierungsprotest zu tun zu haben und lediglich Touristen zu sein. Bei ihnen entschuldigt habe sich die rumänische Polizei bis dato nicht, fügte Saleh hinzu.

Spezialeinheit "Vlad der Pfähler"

Laut Recherchen rumänischer Journalisten soll der brutale Einsatz am Freitagabend von einer Spezialeinheit der Polizei durchgeführt worden sein. Warum diese auf Antiterroreinsätze spezialisierte Einheit, die den ominösen Namen "Vlad der Pfähler" trägt, zu einem friedlichen Antiregierungsprotest der Auslandsrumänen beordert wurde und wer die gewaltsame Auflösung der Großdemo befahl, ist noch unklar. Fest steht allerdings, dass die Befehlskette der Polizei und Gendarmerie gegenwärtig auf hohen Ebenen ausschließlich mit PSD-loyalen Beamten besetzt ist.

Rumänien gehört in zahlreichen Rankings zu den korruptesten EU-Staaten. Laut einer Studie des Europaparlaments beliefen sich die Kosten der Korruption 2016 auf etwa 24 Milliarden Euro, das entsprach 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Anders als bei der endemischen Kleinkorruption ist durch die hartnäckigen, kaum verhüllten Versuche der aktuellen Regierung, die Antikorruptionsgesetzgebung zu schwächen, die gesamtgesellschaftliche Bedrohung durch die Korruption nun auch für große Teile der Bevölkerung wahrnehmbar geworden.

Zermürbungskrieg gegen Zivilgesellschaft

Zwar gelingt es durch den Druck der Straße immer wieder, die Aufweichung der Justizgesetze kurzzeitig abzuwenden, doch führt die Regierung einen beständigen Zermürbungskrieg gegen Zivilgesellschaft und Opposition. Kürzlich etwa gelang es ihr, die Leiterin der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, Laura Codruta Kövesi, abzusetzen, in deren Amtszeit insgesamt 68 Politiker, darunter 14 Minister, vor Gericht gelangt waren.

An zahnlosen Antikorruptionsgesetzen ist vor allem PSD-Chef Dragnea interessiert, der bereits rechtskräftig wegen Wahlbetrugs verurteilt ist und aktuell wegen Amtsmissbrauchs vor Gericht steht. Das Amt des Regierungschefs darf er nicht selbst bekleiden, mit Viorica Dăncilă erfolgte im Jänner bereits der dritte Ministerpräsidentenwechsel in eineinhalb Jahren. (Laura Balomiri aus Sibiu, red, APA, 12.8.2018)