Was dieser Tage in Rumänien passiert, dient auch der überfälligen Warnung vor Etikettenschwindel in der Politik. Die durch und durch korrupte Clique, die derzeit Rumänien regiert und brutale Gewalt gegen die protestierenden Massen anwendet, nennt sich sozialdemokratisch. Fast alle Ministerpräsidenten Rumäniens, die seit dem Zusammenbruch des Kommunismus diese Partei vertreten haben, wurden wegen korrupter Praktiken angeklagt und zum Teil verurteilt. Auch diesmal geht es darum, durch neue Gesetze den bereits verurteilten Chef der Sozialdemokraten, Liviu Dragnea, nicht nur vor dem Gefängnis zu bewahren, sondern für ihn sogar den Weg zum Posten des Ministerpräsidenten freizumachen.

Nach der Absetzung der mutigen und international angesehenen Leiterin der Antikorruptionsbehörde, Laura Codruta Kovesi, sollte die Kampagne gegen den Staatspräsidenten Klaus Johannis die letzte unabhängige kritische Stimme an der Staatsspitze zum Verstummen bringen.

Der Aufstand der rumänischen Zivilgesellschaft hat schon einmal im Jahr 2017 einen Strich durch eine solche Rechnung der regierenden Partei gemacht. Nun gingen wieder zehntausende Demonstranten, angefeuert von vielen im Ausland arbeitenden und zum Protest zurückgekehrten Landsleuten, im ganzen Land auf die Straße. Fast jeder fünfte Rumäne im erwerbsfähigen Alter ist im Westen beschäftigt. Es war Ende 2014 ihren Stimmen zu danken, dass der Oppositionskandidat Johannis gegen den wegen Bestechungsvorwürfen kompromittierten früheren sozialdemokratischen Victor Ponta die Präsidentenwahl mit klarer Stimmenmehrheit gewonnen hat.

Präsidentschaft des EU-Rates

Man muss bedenken, dass Rumänien ab Anfang 2019 turnusmäßig Österreich in der Präsidentschaft des EU-Rates ablösen soll. Vor diesem Hintergrund ist es also höchste Zeit, dass die EU-Kommission, der EU-Rat und das Europäische Parlament nach Ungarn und Polen auch gegen Rumänien schnell und entschlossen vorgehen.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat am Wochenende zu Recht vor einem drohenden Rechtsruck bei den Europawahlen im nächsten Frühjahr gewarnt. Was in Rumänien geschieht, gießt Öl ins Feuer der nationalistischen Rechtspopulisten. Die europäische Sozialdemokratie muss endlich ihre Reihen von Rechtsbrechern und Korruptionisten – nicht nur aus Rumänien – säubern. Die rumänischen Etikettenschwindler haben mit den traditionellen Werten der Sozialdemokratie, wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, noch weni- ger zu tun wie das illiberale (aber viel raffiniertere) Orbán-Regime mit der christlichen Demokratie.

Es war wahrscheinlich ein folgenschwerer Fehler, Rumänien und Bulgarien zu schnell in die Europäische Union – ohne ausreichende Garantien für den Rechtsstaat – aufgenommen zu haben. Ohne die EU-Option als Säule der regionalen Stabilisierung infrage zu stellen, sollte man bei den Verhandlungen mit den Balkanstaaten rechtzeitig die entsprechenden Schlüsse aus den tristen Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien (laut Transparency International der korrupteste EU-Mitgliedsstaat) ziehen. (Paul Lendvai, 13.8.2018)