Noch immer dominiert die Fraktion der Waffenlobby NRA das Parlament.

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Die Jugendlichen aus Parkland wollen etwas verändern. Rechts im Bild: Lauren Hogg.

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Lauren Hogg sitzt vor einem Kirchenaltar, blass und sichtlich erschöpft. Ihre Sommerferien verbringt sie damit, in einem Bus quer durch Amerika zu fahren. Nun ja, sagt die 15-Jährige, die Älteren behaupteten ja immer, ihre Generation sei zu bequem, sie interessiere sich für nichts und starre obendrein immer aufs Handy. Auch von ihrer Mutter bekomme sie ständig zu hören, sie möge das verdammte Smartphone doch endlich aus der Hand legen. "Aber das ist nun mal die Art, wie wir kommunizieren. Und weil wir wissen, wie man sich der sozialen Medien bedient, erreichen wir was."

In Perkasie ist die Botschaft jedenfalls angekommen. In der St. Stephen's United Church of Christ, der größten Kirche der kleinen Stadt, sind alle Bankreihen bis auf den letzten Platz besetzt. Viele stehen, viele warten noch draußen, während drinnen überforderte Ventilatoren die stickige Luft quirlen.

Die Tour Road to Change, organisiert von Schülern aus Parkland, die nach dem Blutbad an ihrer Highschool strengere Waffengesetze anmahnen, macht an diesem Augustabend halt im Speckgürtel um Philadelphia. 20 Bundesstaaten, 60 Städte, 75 Auftritte, das alles in knapp zwei Monaten: Nicht einmal Präsidentschaftskandidaten, wirft Lauren Hogg halb im Scherz in die Runde, hätten in so kurzer Zeit so viele Orte besucht.

"Ich musste etwas tun"

"Als Sandy Hook passierte, war ich neun", fügt Hogg, nunmehr sehr ernst, hinzu. "Als Pulse passierte, ging ich in die sechste Klasse." An der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown richtete ein geistig verwirrter Täter ein Blutbad unter Erstklässlern an. Der Name Pulse steht für einen Schwulenclub in Orlando, in dem ein Angreifer, der sich zum "Islamischen Staat" bekannte, 49 Menschen erschoss. Sandy Hook und Pulse, in der amerikanischen Waffendebatte sind es Stichworte, die man nicht weiter erklären muss.

"Beide Male habe ich verstanden, dass wir ein Problem haben. Ich habe nur nicht geglaubt, dass es sich lösen lässt", blendet Lauren Hogg zurück. "Doch als ich in Parkland meine Freunde verlor, blieb mir keine andere Wahl. Ich musste etwas tun." Das sei ja das Ding mit der Schusswaffengewalt: "Es betrifft dich nicht, bis es dich ganz plötzlich betrifft."

Hoffnung spürbar

Früher, so das blasse Mädchen, habe sich nach so einer Hiobsbotschaft ein Gefühl der Hilflosigkeit mit der Trauer vermischt. Diesmal sei das anders, diesmal spüre sie Hoffnung, die Hoffnung auf den Wandel. Irgendwann ruft Hogg drei Buchstaben in den Saal und fordert das Publikum auf, sie im Chor zu wiederholen. R, E, V. Register, Educate, Vote: Die Leute mögen sich ins Wahlregister eintragen, sich bilden und informieren und am Wahltag tatsächlich wählen gehen. Den Ärger über allzu lockere Waffenparagrafen in politische Konsequenzen umzumünzen, darauf zielt sie im Kern ab, die strapaziöse Bustour der Jugendlichen.

Vertritt ein Kandidat die Agenda der Waffenlobby NRA, der National Rifle Association, soll er beim Kongressvotum im November die Ablehnung der Wähler zu spüren bekommen.

Mächtige NRA-Fraktion

Gerade die Jüngeren, die sich bisweilen schwer damit tun, in ein Wahllokal zu gehen, sollen ihren Einfluss an der Urne endlich in die Waagschale werfen. Gekippt ist sie ja längst, die Stimmung im Land. 67 Prozent der Amerikaner, haben die Meinungsforscher des Gallup-Instituts herausgefunden, plädieren inzwischen für strengere Auflagen beim Verkauf von Schusswaffen – vor vier Jahren waren es nur 47 Prozent. Nur hat sich der Stimmungsumschwung noch nicht im Parlament niedergeschlagen.

Dort dominiert noch immer, mehrheitlich gebildet von Republikanern, aber auch von Demokraten aus ländlich geprägten Landstrichen, die NRA-Fraktion. Das soll sich ändern, wenn es nach dem Willen der Organisatoren der Road to Change geht. Vier Millionen US-Bürger werden in diesem Jahr 18, rechnet Cameron Kasky vor, einer ihrer Sprecher. "Wenn jeder von denen seine Stimme abgibt, wenn er Freunden und Verwandten ins Gewissen redet, können wir es schaffen."

Geplante Minireform

Dabei liest sich der Forderungskatalog der Parkland-Teenager wie das Programm für eine Minireform. Magazine mit hoher Kapazität sollen verboten, die Personalüberprüfungen vor einem Waffenkauf ausgedehnt, die Forschung über die Ursachen der Schusswaffengewalt soll besser finanziert werden.

Auf keines dieser Anliegen hat der Kongress bis dato reagiert, bislang gibt es in Washington keinen erfolgversprechenden Versuch, die Gesetzeslage zu ändern. Zehn Bundesstaaten wiederum, allen voran Texas, haben grünes Licht für die Bewaffnung von Lehrern gegeben.

In Florida gilt neuerdings, dass ausnahmslos jede Schule von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht werden muss. In Kentucky werden an den Schuleingängen verstärkt Metalldetektoren installiert. Bisher ist er noch nicht erkennbar, der politische Wandel, für den sich die Parkland-Kids engagieren. Mancherorts geht es eher in die entgegengesetzte Richtung.

Eine Aufnahme aus der Luft

Noch etwas, sagt Lauren Hogg, gehe ihr gegen den Strich. Die Art, wie die Medien berichten. Dass sie nach spektakulären Attacken jedes noch so kleine Detail vermelden, aber praktisch nichts bringen über die alltägliche Schusswaffengewalt. Besonders dann, wenn es um Gegenden gehe, in denen Ärmere leben, oft Menschen mit dunkler Haut, nicht die weiße Mittelschicht.

Als kurz nach dem Massaker in Parkland in einem solchen Viertel in Miami Schüsse an einer Schule fielen, habe kein Fernsehsender auch nur einen einzigen Reporter in diese Schule geschickt. "Eine Aufnahme aus der Luft, das war's, das war alles." (Frank Herrmann, 14.8.2018)