Lausanne – Praktisch jeder Organismus benötigt regelmäßige Ruhephasen, um zu funktionieren. Was genau Schlaf bewirkt und zu welchen Auswirkungen ein Mangel daran führen kann, darüber herrscht teilweise noch Ungewissheit. Erst im vergangenen Mai haben schwedische Wissenschafter nachgewiesen, dass Schlafdefizit keine gesundheitlichen Nachteile birgt, wenn die Bilanz nach einigen Tagen wieder ausgeglichen werden kann. Zuviel Schlaf, also täglich mehr als neun Stunden, kann sich dagegen durchaus auf die durchschnittliche Lebenserwartung auswirken.

Wissenschafter der Universität Lausanne und des Schweizer Instituts für Bioinformatik verfolgen nun einen neuen, umfassenden Ansatz, um Antworten auf offene Fragen zu finden. Die Forscher nutzten dafür eine Methode namens "Systemgenetik". Ziel sei es, durch Verknüpfung verschiedener Informationsebenen Rückschlüsse auf biologische Phänomene zu ziehen. Die Hauptebene stellen Variationen im Genom dar. Diese Ebene wird ergänzt durch weitere, wie die der Phänotypen – also die Menge der beobachtbaren Merkmale eines Organismus – oder die Ebenen der Genexpression und der Stoffwechselprodukte.

Vernetzter Zugang

"Die Systemgenetik bietet eine globale und vernetzte Sicht auf zahlreiche Phänomene", sagte Paul Franken, Leiter der im Fachblatt "PLOS Biology" veröffentlichten Studie. Diese Methode sei daher eine vielversprechende Möglichkeit, um bestimmte Veranlagungen für Krankheiten vorherzusagen und zu verstehen.

Die Forscher verwendeten diese Methode bei Mäusen, um molekulare Signalwege zu entschlüsseln, die mit besonderer Widerstandsfähigkeit oder Empfindlichkeit gegenüber Schlafentzug einhergehen. Sieben Jahre dauerte es, die erforderlichen Daten zu sammeln und auszuwerten, um schließlich eine offene und interaktive Datenbank zu schaffen.

"Diese Datenbank erfasst die Auswirkungen von Schlafentzug sowie von Variationen im Genom auf das Gehirn, die Leber und den Stoffwechsel von Mäusen, aber auch ihre Gehirnaktivität und ihr Wach-Schlaf-Verhalten in einem nie da gewesenen Detaillierungsgrad", sagte Studienautor Maxime Jan.

Auswirkungen von Schlafentzug

Die Datenanalyse hat gezeigt, dass Schlafentzug während der ersten Hälfte der normalen Ruhephase einen starken Effekt auf verschiedene Körpersysteme der Mäuse hatte. Bei 78 Prozent der im Gehirn aktiven Gene änderte sich die Expression.

"Wir haben eine Reihe genetischer Variationen identifiziert, die ihre Wirkung erst nach Schlafentzug entfalten und nicht, wenn die Mäuse ungestört bleiben", so Paul Franken. Diese Varianten können mitunter nicht nur die Stärke (Amplitude), sondern in einigen Fällen sogar die Richtung der molekularen oder der Verhaltensänderung nach Schlafentzug bestimmen. Dies erkläre, warum Individuen unterschiedlich auf Schlafmangel reagieren.

Peripheres Gewebe und Fettsäurestoffwechsel

Den Studienautoren zufolge liegt die wahrscheinlich auffälligste Beobachtung darin, dass Moleküle und Signalwege, die nur im peripheren Gewebe (in der Leber) aktiv sind, bestimmte Eigenschaften direkt beeinflussen, die zum zentralen Nervensystem gehören. Zum Beispiel geben sie die Frequenz von Schwingungen bestimmter Hirnregionen vor, wie zum Beispiel des Hippocampus. Die Datenanalyse hob zudem die Beteiligung des Fettsäurestoffwechsels an den negativen Auswirkungen von Schlafentzug hervor.

"Solche Entdeckungen können nicht nur den Weg ebnen für neue therapeutische Strategien", kommentierte Jan. Sie könnten auch die lange vorherrschende Sicht auf den Schlaf infrage stellen, die sich bisher stark auf das Gehirn fokussierte und entsprechend die Hypothesen zu Funktion und Regulation von Schlaf prägten. Die Entwicklung neuer Analysemethoden sei erforderlich, um die vielen Wechselwirkungen und Mechanismen aufzudecken, die noch in diesen Daten verborgen lägen, schrieb die Uni Lausanne. (red, APA, 14.8.2018)