Jeder sollte weniger auf Empfehlungen und mehr auf seinen Körper hören. Das gilt auch beim Trinken.

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Die Wasserflasche im Rucksack, der Wasserkrug am Schreibtisch: Wir haben von klein auf gelernt, über den Tag verteilt möglichst viel zu trinken. Viele Menschen orientieren sich an der sogenannten Zwei-Liter-Regel. Das ist ungefähr jene Menge, die ein gesunder erwachsener Mensch bei thermoneutralen Bedingungen täglich verliert. Sie wird hauptsächlich über den Harn, aber auch durch die Verdunstung über Haut und Atemwege sowie in sehr geringen Mengen über den Stuhl ausgeschieden. Doch: Wie viel Flüssigkeit tut dem Körper tatsächlich gut?

Beim Trinkverhalten gibt es keine fixen Richtlinien, nur ungefähre Empfehlungen. Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung rät dazu, über den Tag verteilt rund eineinhalb Liter alkoholfreie, energiearme, ungesüßte Getränke zu sich zu nehmen. Zu bevorzugen seien Wasser, ungesüßte Kräuter- und Früchtetees oder verdünnte Obst- und Gemüsesäfte.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt ähnliche Empfehlungen ab. Auf ihrer Website zeigt eine Tabelle detailliert, wie viel Flüssigkeit der Mensch täglich abgibt und zum Ausgleich trinken sollte. Neben Getränken nimmt der Körper zusätzlich Flüssigkeit auf, die in festen Lebensmitteln enthalten ist.

Körper hat eine gute Selbstregulation

Der Wiener Urologe Erik Huber hat sich mit der Frage nach der richtigen Trinkmenge intensiv beschäftigt. Er plädiert dafür, weniger auf Mengen und Richtlinien zu hören und mehr auf das eigene Durstgefühl. "Es wäre widernatürlich, lebenserhaltende Funktionen wie die Flüssigkeitszufuhr zu quantifizieren. Es ist ja auch nicht vorgeschrieben, wie viel Luft man atmen soll." Bei einem gesunden erwachsenen Menschen sei die Selbstregulation des Flüssigkeitshaushalts – die Osmoregulation – sehr gut ausgeprägt.

Das heißt: Der Körper meldet sich in der Regel schon, wenn er Bedarf an Flüssigkeit hat. "Rund 200 Milliliter Flüssigkeit weniger im Körper erzeugt normalerweise ein Durstgefühl, ein Glas Wasser zu trinken reicht dann völlig aus." Wer sich beim Trinken zu stark an Mengenangaben orientiere, laufe eher Gefahr, zu viel als zu wenig zu trinken. Vorsicht ist allerdings bei alten Menschen geboten, die oft ein gestörtes Durstgefühl haben, ähnlich ist es bei Kindern und Kranken.

Getränkeindustrie gibt Trinkempfehlungen

Wenn überhaupt, solle man sich nicht an quantitativen Trinkvorgaben orientieren, sondern an der ausgeschiedenen Harnmenge. "Daran erkennt man, ob die Entgiftung der Niere ausreichend funktioniert", erklärt Huber. Eineinhalb bis zwei Liter Harnproduktion pro Tag seien absolut ausreichend. Woher die gängige Zwei-Liter-Regel stammt, ist dem Urologen zufolge ungewiss. Auch bei intensiver Literaturrecherche sei keine medizinische Evidenz dafür zu finden.

Ein Interesse an hohen Trinkmengen hat naturgemäß die Wasser- und Getränkeindustrie. In vielen Ländern kann man, im Gegensatz zu Österreich, das Leitungswasser aus hygienischen Gründen nicht trinken und muss abgefülltes Wasser kaufen. Die Plattform Doccheck berichtet über Lebensmittelkonzerne wie Nestlé oder Danone, die hinter "trinkfördernden" Plattformen und Initiativen stehen.

Ein Glas Leitungswasser am Morgen

Auch Cem Ekmekcioglu, Ernährungsmediziner an der Med-Uni Wien, empfiehlt gesunden Erwachsenen mit normaler Herz-, Leber- und Nierenfunktion, auf das eigene Durstgefühl zu hören. Jedoch mit dem ausdrücklichen Nebensatz: "Trotzdem sollte man darauf achten, dass man genügend trinkt." Das gelte insbesondere für ältere Menschen und Kinder sowie bei veränderten Bedingungen wie etwa sommerlicher Hitze. Auch Sportler sollten stets eine Trinkflasche in Reichweite haben, rät der Ernährungsmediziner.

Zu wenig Flüssigkeit kann dem Organismus jedenfalls schaden. So ist man in der Früh – nach acht bis zehn Stunden Schlaf – bereits leicht dehydriert. Denn in der Nacht verlieren wir durch Harnproduktion und Verdunstung über Haut und Atemwege Wasser, währenddessen wird aber keine neue Flüssigkeit aufgenommen. Die Folgen reichen von leichter Konzentrationsschwäche bis zu möglichen Einbußen bei schweren körperlichen Tätigkeiten. "Deshalb wäre es wichtig, jeden Tag in der Früh ein großes Glas Leitungswasser zu trinken", empfiehlt der Ernährungsmediziner.

Zu viel Wasser ist auch gefährlich

Aber auch zu viel trinken kann im Extremfall negative Auswirkungen haben. "Bei der Wassermenge kommt es vor allem darauf an, in welchem Zeitraum sie getrunken wird", erklärt Ekmekcioglu. Theoretisch ist Wasser in hohen Mengen sogar tödlich, wenn es innerhalb kurzer Zeit getrunken wird. Es kommt zur Elektrolytstörung, auch Hyponatriämie genannt.

Mehrere Liter Wasser innerhalb einer Stunde verursachen eine zu niedrige Natriumkonzentration. Das führt zu einer Osmose, bei der Wasser in die Zellen eindringt. Dadurch kann beispielsweise ein lebensbedrohliches Hirnödem ausgelöst werden. Solche Fälle gibt es allerdings sehr selten, gefährdet sind maximal Menschen in Ausnahmesituationen wie etwa Marathonläufer, die unkontrolliert sehr viel trinken, oder psychiatrische Patienten mit gestörtem Durstgefühl.

Dauerhaft "über den Durst" zu trinken kann darüber hinaus zu urologischen Problemen führen. Die gesunde Blase eines Menschen fasst etwa 500 Milliliter. Wird sie ständig befüllt, aber zu selten geleert, dehnt sie sich langfristig aus. "An einer überdehnten Blase ist zwar nicht per se das zu viele Trinken schuld", sagt Urologe Huber. Aber wenn die Blase im Verhältnis zur Flüssigkeitsaufnahme zu selten geleert werde, könnten die Muskelfasern nicht mehr ausreichend gut ineinandergreifen. Es komme zu Restharn, Harnwegsinfekten und in schweren Fällen zum kompletten Versagen der Blasenmuskulatur. (Maria Kapeller, 15.8.2018)