"Ewigkeit ist eine Menge Zukunft." So betitelte die deutsche RAG-Stiftung, die aus der ehemaligen Ruhrkohle AG hervorging, ihren Geschäftsbericht 2013. Die Stiftung soll dafür sorgen, die Schäden, die infolge des jahrhundertelangen Steinkohleabbaus im Ruhrgebiet entstanden sind, einigermaßen in Grenzen zu halten. Bis Ende 2018, wenn das letzte deutsche Steinkohlebergwerk in Bottrop schließt, wird ein Stiftungsvermögen aufgebaut, das ab 2019 zur Abdeckung der "Folgekosten" dienen soll.

Etwa 220 Millionen Euro jährlich werden veranschlagt, um die Bewohnbarkeit der Region auch in Zukunft zu sichern – und zwar Jahr für Jahr, auf immer und ewig. So muss aus den hunderte Kilometer langen Schächten ständig das salzhaltige und anderweitig verunreinigte Grubenwasser abgepumpt werden, damit es sich nicht mit dem Grundwasser vermischt.

Das Ruhrgebiet ist so durchlöchert, dass der Boden im Schnitt um zwölf Meter abgesackt ist, es gibt bis zu 25 Meter tiefe Senken, in denen der Regen nicht mehr abläuft. Würde man das Wasser nicht abpumpen, entstünde hier bald eine riesige Seenlandschaft. "Ewigkeitsaufgaben" und "Ewigkeitskosten" nennt das die RAG-Stiftung treffenderweise.

Die Zeche Prosper-Haniel ist das letzte deutsche Steinkohlebergwerk. Es schließt Ende 2018, die Folgen des Abbaus werden noch bis in alle Ewigkeit nachwirken.
Foto: imago/Udo Gottschalk

Das Ruhrgebiet ist nur ein naheliegendes Beispiel für Orte und ganze Landstriche, die oft buchstäblich auf Giftmüll und nuklearem Abfall gebaut sind oder rund um Industrieleichen voller Chemikalien liegen. Minen und Fabriken, die einst eine prosperierende Zukunft versprachen, stellen heute eine potenzielle Lebensgefahr für die Bevölkerung dar.

Doch lassen sich derartige Altlasten und "Ewigkeitskosten" einfach so beziffern wie im Fall des Ruhrgebiets? Geht die Rechnung überhaupt langfristig auf? Wie können Umweltbelastungen gleich vorweg miteinberechnet werden? Und was ist mit Ländern, in denen sich niemand um Giftdeponien schert?

Diese Fragen stellt sich die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter, die in ihrer Forschungsarbeit immer wieder über diese Problematik stolperte. "Das toxische Erbe, das wir bereits hinterlassen haben, spielt praktisch keine Rolle in der Nachhaltigkeits- und Anthropozändebatte", sagt Winiwarter. "Selbst der ökologische Fußabdruck oder das Planetary-Boundaries-Konzept rechnen diese Altlasten kaum ein."

Um der Thematik näher auf den Grund zu gehen, nahm sie sich ein Semester Auszeit vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur in Wien und wechselte an den ebenfalls in Wien ansässigen Complexity Science Hub (CSH). Das Forschungszentrum schreibt sich auf die Fahnen, die komplexen Herausforderungen unserer Zeit mithilfe der systemischen Analyse großer Datensätze und der Vernetzung verschiedener Disziplinen lösbar zu machen.

Den Giftmonstern die Zähne ziehen

Hier hofft Winiwarter auf mögliche Ansätze zu stoßen, wie man mit den giftigen Monstern, die in der Erde schlummern, umgehen könnte. Denn loswerden kann man sie, so viel steht in den meisten Fällen fest, nicht mehr. "Diese Stoffe verschwinden nicht", sagt Winiwarter.

Selbst wenn man sie verbuddelt und unterirdisch einfriert, so wie es mit den Arsenrückständen aus der Giant Mine, einer verlassenen Goldmine auf dem Gebiet der indigenen Yellowknives Dene First Nation in Kanada, geschehen soll. Die dort lagernden sage und schreibe 237.000 Tonnen Arsentrioxid würden ausreichen, die gesamte Menschheit auszulöschen, sollten sie mit dem Grundwasser, über dem sie lagern, in Kontakt kommen, und das für alle Zeit, wie der Film "Guardians of Eternity" dokumentiert. Gar nicht zu sprechen von in alle Winde verstreuten Schwermetallen oder radioaktivem Plutonium mit einer Halbwertszeit von etwa 24.000 Jahren.

Ein radioaktiver Mix aus Uran, Strontium und Cäsium vergiftet diesen Steinbruchsee im kirgisischen Mailuusuu.
Foto: Noriko Hayashi

Wenn man die Giftmonster schon nicht vertreiben kann, so kann man sie vielleicht zumindest vermessen und dazu berechnen, welche Kosten sie heute und in Zukunft verursachen werden, sagt Winiwarter. "Man kann ,auf ewig' nicht einfach dividieren, da kommt man auch mit Versicherungsmathematik nicht durch."

Gemeinsam mit den Komplexitätswissenschaftern am CSH will sie das Problem in Algorithmen gießen und Kennzahlen entwickeln, die etwa angeben, wie viel Kosten pro Kopf in einem Land für den "ewigen" Umgang mit Giftmüll, verunreinigten Böden etc. kalkuliert werden müssen.

Blacksmith-Index

Faktoren in dieser Berechnung von "Ewigkeitskosten" sind der Grad der Giftigkeit, die Zahl der betroffenen Menschen, der Aufwand und die technischen Möglichkeiten, um Altlasten in den Griff zu bekommen, und nicht zuletzt das politische und rechtliche Umfeld. Denn es sind gerade arme Länder mit fragilen und korrupten Regierungen, in denen sich die (Elektro-) Müllhalden unserer hochtechnologisierten Gesellschaft türmen.

Dort wird nach wie vor mit hochgiftigen Stoffen gearbeitet, und Emissionen, Abfälle und Abwässer aus Gerbereien, Färbereien, Minen, Ölfeldern und anderen Industrien belasten Umwelt und Menschen massiv. Verantwortlich dafür will niemand sein. "Die meisten Firmen, die Altlasten schaffen, gehen irgendwann in Konkurs", sagt Winiwarter. "Deshalb zahlt früher oder später die Öffentlichkeit."

Neben Regierungen, die Altlastenkataster führen, sammeln vor allem NGOs Daten von kontaminierten Gebieten. Das Toxic Sites Identification Program der internationalen Nonprofitorganisation Pure Earth (ehemals Blacksmith Institut) konzentriert sich auf Länder mit niedrigem und mittlerem Lohnniveau, wo es kaum Mittel für Gesundheit geschweige denn für die Beseitigung von Altlasten gibt.

Mit dem Blacksmith-Index entwickelte die Organisation eine Maßeinheit für das Risiko, das von einem verseuchten Gebiet ausgeht. Derzeit sind neun Orte mit dem Höchstindex 10 gelistet, darunter je zwei in Bangladesch, Nepal und Russland, die anderen drei in China, Indien und im Senegal.

Insgesamt wurden bisher 3100 Orte in mehr als 50 Ländern in die Liste aufgenommen. Mehr als 80 Millionen vorwiegend arme Menschen sind Pure Earth zufolge Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Dabei handle es sich aber nur um einen Bruchteil an verseuchten Gebieten.

So hat die US-Umweltschutzbehörde EPA in den vergangenen 20 Jahren zehntausende Orte allein in den USA identifiziert, die in irgendeiner Form saniert werden müssen. Der US Superfund listet aktuell 1345 Orte mit höchster Priorität auf, von denen durch toxische Chemikalien und Schadstoffe eine massive Gesundheitsgefahr ausgeht.

"Es ist nicht so, dass es keine Informationen gibt", sagt Winiwarter. "Sie müssen aber aufbereitet und sinnvoll zusammengeführt werden." Interaktive Visualisierungen sollen aufzeigen, was auf dem Spiel steht und welche Handlungsmöglichkeiten es für das jeweilige Problem gibt.

"Wo am dringendsten investiert werden muss, um möglichst viel zu bewirken, ist derzeit überhaupt nicht vergleichend abschätzbar", sagt Winiwarter. Nur mit dem entsprechenden Unterfutter können aber politische Entscheidungen unterstützt werden.

Ein heimtückisches Erbe

"Wicked Legacies", heimtückisches, verfluchtes Erbe, nennt Winiwarter die toxischen Gefahren, denen sie auf der Spur ist. Der Begriff meint nicht nur die Gifte aus Bergbau oder Tonnen von radioaktivem Müll, der durch die Produktion von Nuklearwaffen und Kernenergie entstanden ist.

"Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, was mit alternder Infrastruktur wie Staudämmen, Stromnetzen oder Bewässerungssystemen passiert", sagt Winiwarter. "Oder was es für fragile alpine Landschaften bedeutet, wenn sie durch Speicherseen für Beschneiungsanlagen weiter ausgetrocknet werden."

Hunderte Tonnen an Chromsulfat blieben von einer stillgelegten Fabrik in der Stadt Ranipet, Indien, zurück.
Foto: Larry C. Price

Ein besonders großer weißer Fleck sind für Winiwarter militärische Altlasten, die oft unter dem Deckmantel der Geheimhaltung stillschweigend vor sich hin vegetieren, seien es versunkene Atom-U-Boote samt Sprengköpfen oder "entsorgte" Reaktorteile. Auch ehemalige Atomwaffentestgelände wie Semipalatinsk im heutigen Kasachstan – nirgendwo auf diesem Planeten sind mehr Atombomben explodiert als in dieser vergessenen Todeszone – gehören dazu.

"Es geht darum, die Erde als Habitat für den Menschen zu erhalten", sagt Winiwarter. Ein Habitat, das sich der Mensch wohl oder übel mit heimtückischen Monstern teilen muss. (Karin Krichmayr, 22.8.2018)