EU und Menschenrechtsorganisationen sprachen der Parlamentswahl in Kambodscha die demokratische Glaubwürdigkeit ab. Für zwei FPÖ-Politiker, die Teil einer rechten "Beobachtermission" waren, war sie hingegen in Ordnung.

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Im Jahr 2008 konstatierte der Politikberater Markus Karbaum in der Conclusio zu seiner Studie "Kambodscha unter Hun Sen" zutreffend Folgendes: "Kambodscha ist gegenwärtig ein autokratisches Regime, in dem Premierminister Hun Sen der dominante Akteur ist. Seine Herrschaft gründet sich auf physischer Dominanz und informellen Regeln, wodurch die formalen Staatsinstitutionen weitgehend untergraben werden." In den vergangenen Jahren hat sich der wesentlich auf Vetternwirtschaft, Gewalt und Repression beruhende autokratische Charakter seiner Herrschaft noch eindeutig verstärkt. Zehntausende Menschen waren von Zwangsumsiedlungen betroffen, zahlreiche Oppositionelle sitzen hinter Gittern, mehrere Umweltaktivisten fielen ungeklärten Morden zum Opfer, und die wichtigste unabhängige Zeitung wurde 2017 endgültig mundtot gemacht.

Nun baut Hun Sen, der den kambodschanischen Staat de facto seit 1985 kontrolliert, auch noch offensichtlich seinen Sohn als Nachfolger auf. Dass ein solch erfolgreicher Autokrat von der FPÖ, die unermüdlich die zunehmend autokratischen Tendenzen des türkischen Präsidenten Erdoğan beklagt, mit Propagandatourismus unterstützt wird, darf nicht weiter verwundern. Man misst eben gerne mit zweierlei Maß.

Hun Sens "Islampolitik"

Aufgrund der Tatsache, dass die FPÖ jedoch ihren Wahlerfolg und zunehmend auch ihre politische Existenzberechtigung aus ihrem beständigen Feldzug gegen Migranten und speziell gegen Muslime bezieht, sei hier auf eine gewisse Ironie bezüglich ihrer Hun-Sen-Begeisterung hingewiesen. Für eine Anti-Islam-Allianz würde sich Hun Sen nämlich denkbar schlecht eignen. Sein Umgang mit der muslimischen Minderheit in Kambodscha steht vielmehr der aktuellen "Islampolitik" der österreichischen Regierung, und insbesondere jener der FPÖ, in vielen Aspekten diametral gegenüber.

Unter Hun Sen waren Angehörige der muslimischen Minderheit, die sich als ethnische Cham in ihrer Mehrheit von der Khmer-Mehrheitsbevölkerung auch ethnisch und sprachlich unterscheiden, durchgehend in politischen Ämtern zumindest leicht überproportional vertreten. Obwohl sie nur vier bis fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen, finden sie sich vergleichsweise gut in der Nationalversammlung und diversen Ministerien vertreten. Das ist einerseits natürlich Hun Sens Klientelsystem geschuldet, kann jedoch nicht darauf reduziert werden. Und es ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sich das Nachbarland Thailand seit Jahrzehnten in einem immer wieder aufflammenden Konflikt mit der malaiisch-muslimischen Minderheit im Süden befindet und im nahen Myanmar ein von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi stillschweigend geduldeter und von radikalen buddhistischen Mönchen befeuerter Genozid an den muslimischen Rohingya verübt wird.

Kopftücher und Moscheen

Die deutlichsten Unterschiede zum aktuellen Umgang mit und politischen Diskurs über Muslime in Österreich und in anderen europäischen Ländern zeigen sich allerdings ohnehin im Bereich der Debatten über die öffentliche Sichtbarkeit muslimischen Lebens. Während man in Europa Kopftuchverbote als probates Integrationsmittel propagiert und den Bau von Moscheen, die auch aufgrund architektonischer Elemente (zum Beispiel Minarette) als solche erkennbar wären, zunehmend erschwert, hat in Hun Sens Kambodscha diese Sichtbarkeit deutlich zugenommen.

So hat er 2008 mit Verweis auf die kambodschanische Verfassung per Dekret das Recht auf das Kopftuch an staatlichen Bildungseinrichtungen festgeschrieben und darin die kambodschanischen Muslime als "Brüder und Schwestern" bezeichnet. Veröffentlicht wurde das Dekret im Zuge einer Moschee-Eröffnung. Derer gab es in den letzten 25 Jahren sehr viele, da Hun Sen internationalen muslimischen NGOs vom Persischen Golf, aus Südasien und aus Malaysia Tür und Tor geöffnet hat. Ein äußerst sichtbares und starkes Moscheenwachstum war die Folge. Negative Aspekte waren die weitgehende Zerstörung der letzten verbliebenen alten Moscheen, die architektonisch stark buddhistischen Pagoden ähnelten, und innerislamische Konflikte zwischen neuen Salafisten und traditionell eingestellten Muslimen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren, die sich aber mittlerweile weitgehend gelegt haben.

Politische und soziale Inklusion

Wenngleich auch die organisierte Religion dem Hun-Sen-System ebenso unterworfen ist wie fast alle anderen Bereiche des kambodschanischen Lebens und daher muslimische Dorfvorsteher und Imame Mitglieder von Hun Sens Kommunistischer Volkspartei sein müssen und auch der buddhistische Klerus Mechanismen zur Gewährleistung des politischen Gehorsams seiner Mitglieder entwickeln musste, ist das Ausmaß an politischer und sozialer Inklusion der lokalen Muslime doch bemerkenswert. Das spiegelt sich auch in der Gesellschaft wider.

Es gibt praktische keine interreligiösen Konflikte, man hat keine Angst vor einer Parallelgesellschaft in den muslimischen Vororten von Phnom Penh, nimmt Kopftücher nicht als Partizipationshindernis und Minarette und lautsprecherverstärkte Gebetsrufe nicht als verdeckten Herrschaftsanspruch gegenüber dem Buddhismus wahr und sieht nicht per se in jeder Form der Auslandsfinanzierung ein Problem für das Zusammenleben oder eine direkte Route in den Jihad. (Philipp Bruckmayr, 16.8.2018)