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Es grüßt der Rock 'n' Roller Robert Pollard die heißen Ohren seiner Fans.

Foto: b17 / Zuma / picturedesk.com

Wien – Man muss sich Fans der US-Band Guided By Voices als Menschen vorstellen, die im Überfluss leben. Freunde der Liedkunst von Robert Pollard, dem unumschränkten Chef von GBV, werden von ihrem Idol mit Proben seines Arbeitsfleißes überschüttet. Das kann selbst für Sympathisanten auf die Dauer etwas viel werden. Aber die hat Pollard auch nicht im Auge, wenn er seinen Amplifier andreht.

Andere Rockbands schmeißen alle vier Jahre Material zu einem Album zusammen. Pollard, der gelernte Grundschullehrer aus Dayton (Ohio), kämpft dagegen mit seiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Nach durchschnittlich einer Woche, sagt er, hätte er sich an seiner eigenen Liedkunst sattgehört. Zeit, das nächste Fass aufzumachen (was bei Pollard durchaus wörtlich und sehr gesellig zu verstehen ist).

Zehn Alben

In wenigen Wochen, erzählt Pollard, hätte er dann zehn bis 15 neue Songs beisammen. Auf Space Gun, der gloriosen neuen Platte, sind es übrigens genau 15 Stück. Feine Sache. Überhaupt wenn man bedenkt, dass zum Beispiel Never Mind the Bollocks ... (1977) von den Sex Pistols gerade einmal zwölf enthielt, von denen ein rundes Drittel bereits vorab als Singles Furore gemacht hatte.

Guided By Voices

Vergangenes Jahr erschienen von GBV schlappe zwei Alben. Die hatten es freilich in sich, denn das monumentale August By Cake kam auf 32 Songs, das hinterhergereichte How Do You Spell Heaven immerhin noch auf die 15. Macht 47 Nummern. Im vorangegangenen Jahr gab es überhaupt nur eine Platte (Please Be Honest). Ein solches, für Pollard'sche Verhältnisse dröhnendes Schweigen wurde aber mit Leichtigkeit von der Tatsache aufgewogen, dass GBV allein seit ihrer Reunion 2012 insgesamt zehn Alben auf den Markt gebracht haben. Was ein platter Euphemismus ist, weil es den "Markt" weitgehend nur noch als Erinnerung an fette Jahre im Zeichen von Nirvana und US-Gitarrengebretter für melancholische Skateboardfahrer gibt.

Töne aus dem Sci-Fi-Amerika

Robert Pollards Output von zwei, drei Jahren entspricht quantitativ also dem Gesamtwerk von, sagen wir: Creedence Clearwater Revival. Aber das hastige Mastermind hält sich mit der Aus- formulierung von Ideen auch nicht übermäßig lange auf. Die Auftaktfanfare von Space Gun beginnt zwar mit dem Geräusch einer alten Wählscheibe (Hallo Jukebox!), leitet dann aber in das gewohnt euphorisierende Gitarrenstakkato über, mit dem Pollard jeden Widerstand im Nu überrennt.

Für eines der Melodienkürzel, die ein Pollard aus dem Ärmel seines Flanellhemds schüttelt, würde jemand wie Rivers Cuomo (Weezer) schlimme Straftaten begehen. Aber das Ideal songschreiberischer Ökonomie scheint dem kräftigen Endfünfziger ohnehin zuwider. Wo andere zwischen Strophe und Refrain eine Brücke hineinsetzen, bricht Pollard lieber gleich ab. Oder er erzählt hastig ein paar Zeilen mit seiner vor Edelrost blühenden Stimme: merkwürdig verschobene Wahrnehmungsfragmente, die ein mysteriöses Sci-Fi-Amerika in verschossenen Disney-Farben wiedergeben.

Nach einer Minute vierzig ist dann häufig Schluss. Produktionsästhetische Feinheiten darf man sich von diesem Pappendeckel-Grunge keine erwarten. Laptops und iPads sammelt der Banddiktator vor Probenbeginn ab, Songideen dürfen beim Herrscher deponiert werden und finden gelegentlich Berücksichtigung auf dem nächsten Tonträger. Wenn die zweitgrößte Bobness der US-amerikanischen Songwriter-Moderne nicht schon selbst genug frisch vergorenen Wein in den Schläuchen hat.

Hopfen und malzen

In Robert Pollards DIY-Kosmos funkeln selbst noch Scherben unter der Sonne der Aufklärung. Wer will, darf diesen süchtig machenden Power-Rock als späte Antwort auf The Who verstehen. Gelegentlich blitzen psychedelische Armaturen auf, oder ein Hüsker-Dü-Refrain kehrt stark verfremdet wieder. Pollard hat alles im Griff. Zumindest fast. Es existiert ein GBV-Doppel-Livealbum aus den Nullerjahren. Auf dem hopft und malzt sich Pollard samt Band derart gut gelaunt durch das eigene Liederbuch, dass der Meister zum Schluss kaum mehr die Zunge rühren kann. Kleine menschliche Schwächen erzeugen emotionale Bindung.

Für 2019 hat Robert Pollard bereits die Veröffentlichung zweier weiterer Alben angekündigt. Dabei sind allfällige Soloalben noch nicht mitgezählt. Die Riffs werden dröhnen, bis es dieses Genie der Vorläufigkeit nicht mehr freut. Dann wird abgebrochen und neu angefangen, solange eben die Sonne über Trump-Amerika aufgeht. Inzwischen kann man 26 Studio-Alben (aus zwei Bandphasen) locker am Stück durchhören. Spezialisten schwören übrigens auf Alien Lanes (1995) und The Bears for Lunch (2012). (Ronald Pohl, 16.8.2018)