Nicht nur islamistische Messerattacken, etwa im Mai in Paris, nehmen zu – auch eine Welle krimineller Angriffe ist in Frankreich zu beklagen. Zugleich wächst rassistisch motivierte Gewalt.

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Es war am Montag gegen 18 Uhr, als ein hypernervöser Mann mit nacktem Oberkörper im zentralfranzösischen Périgueux mehrere junge Frauen belästigte. Passanten versuchten einzugreifen. Vier von ihnen erlitten Messerstiche und wurden zum Teil schwer verletzt. Diese Gewalttat aus dem heiteren Himmel des schönen Périgord-Gebiets war die vorläufig letzte einer blutigen Serie.

In der Alpenstadt Grenoble wurde Ende Juli ein junger Franzose erstochen, als er eine Freundin vor zwei Angreifern zu schützen versuchte. Anfang August tötete ein in einen Bus einsteigender Radfahrer in Paris auf die gleiche Art einen 50-jährigen Passagier, der ihn darauf aufmerksam machen wollte, dass Räder auf der Linie 255 untersagt sind.

Weitere Fälle ereigneten sich in der Pariser Vorstadt Melun, wo ein Mann Polizisten bei einer Routinekontrolle anfiel. In Nîmes attackierte ein Häftling vor einer Woche einen Gefängniswächter.

Andeutungsvolle Fragen

Die Liste ließe sich verlängern. Die französischen Medien sprechen mit Verweis auf einen Kultkrimi von 1983 von einem Été Meurtrier, einem mörderischen Sommer. Ansonsten berichten sie eher zurückhaltend über die einzelnen Fälle. In sozialen Medien wird ihnen vorgeworfen, sie verschwiegen die Identität der Täter. In Périgueux handelte sich um einen 19-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan. Doch ist das eine relevante Information? Die Frage ist politisiert. In Grenoble reichte die rechtsextreme Gruppe Génération Identitaire die – maghrebinischen – Namen der Angreifer des Niedergestochenen nach.

Vom Radfahrer der Buslinie 255 nennen die Behörden nur sein Alter (30) und frühere Verurteilungen wegen Raubs. Das lässt die Gerüchte in den sozialen Medien hochschwappen: "Wer trägt jeweils ein Messer mit sich?", fragte ein Forumsteilnehmer, der sich über Islamisten ausließ.

Die mutmaßlichen Täter sind in Haft. Polizei und Justiz schließen terroristische Motive aus. Die fast schon rituelle Klarstellung seit den schweren Attentaten von 2015 und 2016 wird aber von rechts infrage gestellt. "Auch wenn diese Akte nicht eigentlich terroristisch sind, verwerfen die Täter doch unbestreitbar die Werte der Republik", schreibt etwa das Magazin Causeur. "Die Ablehnung der Bürgerlichkeit und der Loyalität gegenüber der Republik finden ihren einfachsten, sichtbarsten und wirksamsten Ausdruck im Durchschneiden der Kehle."

Rückkehr der Schimpfwörter

Pressekommentare über die "Verwilderung der Gesellschaft" und die "Banalisierung der Barbarei" werden über die politischen Lager hinweg geteilt. Das linke Newsportal Mediapart präzisiert aber, die Bevölkerungskreise, auf die mit dem Finger gezeigt wird, seien oft nicht die Täter, sondern Opfer der Gewalt. Anlass für die Bemerkung ist ein neuer Fall in der burgundischen Weinstadt Beaune. Dort schossen zwei Kriminelle vor einer Woche auf sieben junge Maghrebiner und verletzten sie teils lebensgefährlich. Laut Augenzeugen riefen sie "sales bougnoules" (Dreckaraber).

Einiges ist noch unklar an dieser Attacke, deren Ursprung offenbar ein Autodeal bildet. Der Staatsanwalt eröffnete ein Verfahren wegen Mordversuchs "mit rassistischem Charakter". Tatsache ist, dass das koloniale Schimpfwort "bougnoul" in Frankreich heute wieder häufiger zu hören ist. Im Loiretal wurde eine algerische Mutter auf diese Weise beschimpft und dann niedergeschlagen, als sie mit ihren zwei Kleinkindern spazieren ging und eine Frau aufforderte, ihren Hund an die Leine zu nehmen. Südlich von Bordeaux erschoss ein Nachbar einen Familienvater marokkanischer Herkunft, wobei er ihn als "Scheißaraber" beschimpfte.

Populistischer Fischzug

Die Kommunistische Partei führt diese Fälle auf ein "zunehmendes Klima des Hasses" zurück. "Wenn sich der Rassismus über die Sprache befreit und jenen Politikern folgt, die bei der extremen Rechten auf Fischzug gehen, macht dies den Übergang zur Gewalt erst möglich." Diese Erfahrung machte auch der elsässische Hobbyfußballer Kerfalla Sissoko, der von Spielern und Zuschauern rassistisch beleidigt und dann mit Kieferbruch ins Spital eingeliefert wurde. Die Pariser Liga gegen Rassismus und Antisemitismus begrüßt das Eingreifen der Polizei; sie beklagt aber, dass "gewalttätige Vorfälle im populistischen Europa heute einen immer klareren Grundton der Gewalt" aufwiesen. Egal ob "Allahu Akbar" oder "Tod den Arabern" gerufen werde. (Stefan Brändle aus Paris, 16.8.2018)