Die vierspurige Morandi-Brücke bei Genua ist am Dienstag eingestürzt.

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Die Suche nach Verschütteten geht weiter, die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, ist allerdings gering.

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Genua – Die italienische Polizei hat die Zahl der Todesopfer des Brückeneinsturzes von Genua am Donnerstag auf 38 präzisiert. Zuvor war von 39 Toten die Rede gewesen. Rettungskräfte waren seit dem Einsturz der Brücke am Dienstag bemüht, unter den Betontrümmern noch Überlebende zu finden. Experten schätzen die Chancen dafür inzwischen als sehr gering ein.

ORF-Korrespondentin Katharina Wagner berichtet aus Genua über die aktuelle Lage. 600 Personen mussten dort aus ihren Häusern evakuiert werden.
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"Noch zehn bis 20" Vermisste befürchtet

Die Staatsanwaltschaft in Genua befürchtet noch zahlreiche Vermisste unter den Trümmern der am Dienstag eingestürzten Autobahnbrücke. "Es könnte noch zehn bis 20 vermisste Personen geben", sagte der leitende Staatsanwalt Francesco Cozzi laut Ansa am Donnerstag in der italienischen Hafenstadt.

"Die Helfer haben natürlich noch die Hoffnung, einige Überlebende zu finden, aber je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist das", sagte Polizeikommandeur Riccardo Sciuto.

Unter den Toten sind drei Kinder im Alter zwischen acht und 13 Jahren sowie vier junge Franzosen, drei Chilenen und ein Kolumbianer.

Beim Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua kamen dutzende Menschen ums Leben. Der Grund für den Einsturz ist noch unklar. Das führt zu Verunsicherung auch außerhalb Italiens.
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Suche nach Verantwortlichen

Vizeministerpräsident Luigi Di Maio drohte am Donnerstag im Radio mit einer Verstaatlichung der Autobahnen. Der Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia hätte mehr in die Sicherheit investieren sollen, statt sich über die Dividenden Gedanken zu machen, und habe seine Aufgabe nicht richtig erfüllt, sagte Di Maio. Das Unternehmen habe Milliarden Euro durch Mautgebühren eingenommen, das Geld aber nicht wie vorgesehen eingesetzt, unterstützte Innenminister Matteo Salvini die Kritik.

Die italienische Regierung will dem Autobahnbetreiber zudem die Lizenz entziehen. Autostrade wehrt sich jedoch gegen die Vorwürfe. Die aus den 1960er-Jahren stammende Brücke sei gemäß den gesetzlichen Vorgaben alle drei Monate kontrolliert worden.

Bauwerk unterlag EU-Sicherheitsauflagen

Die eingestürzte Autobahnbrücke war Teil eines europäischen Fernstraßennetzes und unterlag deshalb besonderen Prüf- und Sicherheitsauflagen der EU. Das stellte die EU-Kommission am Donnerstag klar. Verantwortlich für die Umsetzung seien die italienischen Behörden.

Die Brücke ist Teil des sogenannten TEN-T-Netzes, das schnelle Verbindungen innerhalb der ganzen EU sichern soll. Die besonderen Sicherheitsvorgaben sind in einem eigenen Regelwerk festgeschrieben. "Die Sicherheit muss entsprechend den Vorgaben der EU-Richtlinie über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur sichergestellt, überprüft und wenn nötig verbessert werden", betonte ein Kommissionssprecher. Bei privatisierten Straßen sei der Betreiber zuständig.

Die Kommission wies abermals Aussagen des italienischen Innenministers Matteo Salvini zurück, wonach Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein könnten. EU-Staaten könnten ihre Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, wiederholte der Sprecher.

"Es ist sehr menschlich, einen Schuldigen zu suchen, wenn ein schreckliches Unglück wie in Genua passiert", schrieb EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger am Donnerstag auf Twitter. "Trotzdem gut, sich die Fakten anzuschauen." In den vergangenen sieben Jahren habe Italien 2,5 Milliarden Euro an EU-Regionalhilfe für Straßen und Bahnen bekommen sowie zwölf Milliarden aus dem EU-Investitionsprogramm. Darüber hinaus habe die EU italienische Investitionen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro gebilligt.

Seine Gedanken seien nun vor allem bei den Opfern des Unglücks und deren Familien. "Es wird wichtig sein zu verstehen, was passiert ist, um eine weitere derartige Katastrophe zu vermeiden", schrieb Oettinger. "Ich vertraue darauf, dass die italienischen Behörden alle nötigen Maßnahmen ergreifen."

Aktie von Autostrade-Mutter stark gefallen

Am Donnerstag ist die Aktie der Infrastrukturgruppe Atlantia – Mutterkonzern des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia – an der Börse in Mailand bereits stark gefallen. Der Kurs sank um über 24 Prozent auf knapp 17,80 Euro. Die Aktie notierte damit so tief wie seit knapp vier Jahren nicht mehr. Zuvor war sie für knapp eine Stunde vom Handel ausgesetzt worden. Auch die Kurse der Konkurrenten Sias und ASTM gaben bis zu zehn Prozent nach.

Der global operierende Atlantia-Konzern ist auch in der Luftinfrastruktur aktiv, hinter ihm steht die Benetton-Familie. Die Italiener hatten sich jüngst mit dem deutschen Bauriesen Hochtief verbündet, um den spanischen Mautautobahnbetreiber Abertis zu übernehmen.

200 Meter lange Strecke eingestürzt

Die vierspurige Morandi-Brücke im Westen von Genua war am Dienstag auf einer Strecke von mehr als 200 Metern eingestürzt. Die Brücke verband Genua mit Südfrankreich. Sie überspannte einen Fluss, ein Gewerbegebiet und eine Eisenbahnstrecke.

Bei ihrem Einsturz wurden dutzende Fahrzeuge in die Tiefe gerissen. Die Ursache der Katastrophe ist noch unklar. Lastwagen und Autos stürzten etwa 45 Meter weit ab und wurden teilweise unter Betontrümmern begraben. Die Regierung verhängte am Mittwoch einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand in der Hafenstadt. (APA, 16.8.2018)