Wien – Von nichts kommt nichts, heißt es. Aber das stimmt nicht. Der Lehrsatz des antiken Philosophen Lukrez steht der ureigenen Lebenserfahrung von Winnie Puuh diametral gegenüber. Aus nichts entsteht in Puuhs Welt sehr wohl etwas! Genau genommen ist der Moment, in dem man "nichts" tut, der allerproduktivste. Das können Konzernbosse nicht verstehen. Ihnen ist die Effizienzsteigerung wichtig. Lieblingsvokabel: Einsparung.

Vom Bären die Entschleunigung lernen: Ewan McGregor chillt mit Puuh.
Foto: Sparham / Disney Enterprises

Von diesem Spannungsfeld erzählt der Disneyfilm Christopher Robin von Marc Forster. Erst vor wenigen Wochen kam aus dem Winnie-Puuh-Kosmos das Biopic Goodbye Christopher Robin in die Kinos, eine Geschichte über den britischen Autor Alan A. Milne und dessen literarischen Welterfolg, der 1926 mit den Illustrationen E. H. Shepards Hand in Hand ging. Milne machte seinen eigenen Sohn Christopher und dessen Plüschtiere zu Protagonisten des Kinderbuches.

Controller in einer Kofferfabrik

Aus dem jungen, kreativen Stofftierbesitzer von einst ist in der aktuellen Filmfortsetzung ein gefrusteter Großstadtbewohner geworden (Ewan McGregor), Controller in einer Kofferfabrik. Ein Mann, der zu wenig auf seine Frau (Hayley Atwell) hört und der auch sonst nur gestresst ist.

Wie gerufen spaziert in diesem Realfilm (mit computeranimierten Stofftieren) eines Tages Winnie Puuh durch das magische Baumtor des Hundert-Morgen-Waldes und landet auf jener Londoner Parkbank, auf der sich sein alter Freund gerade von der hohen Schlagzahl des Industriezeitalters erholt. Dick umwölkte Dampflokomotiven unterstreichen die modern gewordene Schnelligkeit.

Original-Trailer zu "Christopher Robin".
Walt Disney Studios

Christopher Robin ist ein Plädoyer für Entschleunigung und Muße. Ein Narrativ, das oft und auch hier mit der Kinderperspektive einhergeht. Winnie Puuh fungiert als ihr würdiger Anwalt. Pausemachen und in die Luft schauen ist sein Ding. Das unterstreicht der Film mit Puuhs herrlich entschleunigter Mimik und seiner gemütsstabilen Stimme (Jim Cummings). Auch die klebrigen Honigtatzen sind nicht für Raserei geeignet. An ihnen genüsslich rumzuschlecken braucht seine Zeit.

Vor allem lassen die lässigen Dialoge im Drehbuch von Alex Ross Perry (Listen Up Philip) die einander widersprechenden Prinzipien von Leistungsdenken und Nichtstun schön gegeneinanderlaufen – zumindest in der Originalfassung. Spricht Christopher Robin gestresst von "efficiency", so versteht Puuh immer nur "a fish in the sea". "Boarding school" wird – hehe! – zu "Boring school", und das leistungsorientierte Credo ihres Vaters pervertiert Christophers kleine Tochter Madeline (Bronte Carmichael) soldatisch mit: "I will play harder than any child has done before!"

Dass sich durch das Nichtstun, das Blaumachen, den Urlaub dann tatsächlich das Controller-Problem – zack – in Luft auflöst, dankt man der Märchenlogik der Erzählung.

Deutschsprachige Film-Clips und Trailer von "Christopher Robin".
Moviepilot Trailer

Der Film streift geschickt Fragen von Identität ("Wenn ich wir wäre, würde ich da nicht hineingehen") und hat mit den charakterstarken Stofftieren einen Cast, der Publikum jeden Alters anspricht. Puuh, Piglet, Tigger und Co tragen die Räson aus dem Hundert-Morgen-Wald beherzt in den rußigen Moloch London. Geschöpfe, die bis auf ewig die Lust am Spielen und am Nichtstun verteidigen. Favorit: der aus dem onomatopoetischen I-ah eines britischen Esels benamste, allzeit unbeeindruckte, säuerlich-depressive Schlurfesel Eeyore (englische Synchronstimme: Brad Garrett).

Dass der Film in China wegen äußerlicher Ähnlichkeiten zwischen dessen Staatschef Xi Jinping und dem Bären Winnie Puuh verboten werden könnte, ist bisher nur ein Gerücht. (Margarete Affenzeller, 16.8.2018)