Santa Monica – In den USA liegen elektrische Tretroller im Trend. Fast ohne Vorwarnung überschwemmten die Anbieter binnen kürzester Zeit die Straßen und Gehsteige amerikanischer Großstädte mit ihren E-Scootern. Um eine Genehmigung bemühten sich die Start-ups Bird, Lime und Spin erst gar nicht und starteten ohne offizielle Erlaubnis. Rasch gewannen die Gefährte an Popularität, endlich eine zusätzliche Transportmöglichkeit. Doch lange dauerte es nicht, bis kritische Stimmen laut wurden.

Schwarze Wolken am Horizont

US-Medien berichteten laufend über zunehmende Beschwerden in Kalifornien: rücksichtslose Fahrer, die Fußgänger und Autos behindern; und Nutzer, die ihre Scooter an den unmöglichsten Stellen abstellen. Feste Stationen gibt es nicht. Die Scooter werden per App gesucht, entsperrt und benutzt. Bezahlt wird pro Minute und für das Entsperren. Nach der Verwendung können sie an einem beliebigen Ort abgestellt werden. Im schlechtesten Fall parkt man sie mitten auf dem Gehsteig und versetzt damit die Mitmenschen in Rage, wie es in den USA der Fall war.

Einige Bewohner setzten aus Wut die Tretroller in Brand oder beschmierten sie mit Exkrementen, andere warfen sie einfach ins Meer. Es dauerte nicht lange, bis die Stadtverwaltungen einschreiten mussten. Aus manchen Städten wurden die E-Scooter zeitweise verbannt, bis die überrumpelten Behörden eine Lösung finden. Der Anbieter Bird erhielt nach dem ohne Genehmigung erfolgten Marktstart eine Strafe von 300.000 Dollar von seiner Heimatstadt Santa Monica.

Die Unternehmen werben damit, eine umweltfreundliche und schnelle Transportmöglichkeit anzubieten. Bird war das erste Unternehmen, das das Vermitteln von elektrischen Rollern umsetzte. Gründer Travis VanderZanden sagte der "New York Times", er wolle mehr E-Scooter als Autos auf die Straßen bringen. Er war zuvor COO beim Fahrdienstvermittler Lyft und anschließend Vizepräsident für internationales Wachstum bei Uber.

Passanten beschweren sich über verwahrloste E-Roller und blockierte Gehsteige.
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Investoren sind mit an Bord

Auch Investoren sind überzeugt von den Zielen und vor allem vom Hype. Innerhalb weniger Monate sammelte Bird mehr als 400 Millionen Dollar von Kapitalgebern wie Sequoia Capital, das auch Youtube und Google aus den Kinderschuhen half. Der Wert des Unternehmens wird mittlerweile auf zwei Milliarden Dollar beziffert. Der Konkurrent Lime hat mit einer Finanzspritze von 335 Millionen Dollar Investoren wie Uber und die Google-Mutter Alphabet ins Boot holen können. Lime, das davor nur Fahrräder vermietete, wird mit 1,1 Milliarden Dollar bewertet.

In einigen europäischen Städten wie Berlin, Zürich und Paris ist Lime schon mit Fahrrädern vertreten. Bird plant mit seinen elektrischen Rollern ebenfalls eine Expansion nach Madrid und Tel Aviv, in Paris ist man kürzlich gestartet. Der Erfolg der Start-ups ruft jedoch auch andere Player auf den Plan. Sie wollen ebenfalls ein Stück vom Kuchen.

Ankunft der Titanen

Die Fahrdienste Uber und Lyft haben in vielen Städten mit Regulierungsversuchen in ihrer Branche zu kämpfen. Erst kürzlich wurde in New York beschlossen, ein Jahr lang keine weiteren Genehmigungen für Fahrdienstvermittler auszustellen. Die Unternehmen versuchen nun ihr Portfolio um andere Transportmöglichkeiten zu erweitern.

Erst im April kaufte der Branchenriese Uber den Fahrradverleiher Jump nach einem gemeinsamen Pilotprojekt in San Francisco auf, ohne Angaben zum Kaufpreis. Der Konkurrent Lyft kaufte im Juli Motivate, den größten Bikesharer in den USA, um rund 250 Millionen Dollar. Uber und Lyft rüsten sich damit gegen die bestehenden Scooter-Betreiber. Und ausgerechnet in der Gründungsstadt des allerersten Anbieters Bird treffen sich die Unternehmen zum Gefecht um die Vorherrschaft.

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In Santa Monica wird bis 30. August entschieden, wer die Genehmigung für das Betreiben des Sharingdienstes erhält.
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Kampf um Santa Monica

Der Konflikt begann mit einem Protest. Am Dienstag stellten Bird und Lime für einen Tag ihre Dienste vor Ort ein und forderten ihre Nutzer zu einer Demonstration vor dem Rathaus von Santa Monica auf. Der Grund: Die Stadtverwaltung hatte zuvor erklärt, welche Unternehmen die Genehmigung für das Betreiben der Sharingdienste in der Stadt erhalten sollen. Und das waren nicht etwa jene, die schon länger in der Branche aktiv sind, sondern ausgerechnet die Neulinge Uber (mit dem frisch gekauften Dienst Jump) und Lyft. "Als einer der erfahrensten Sharingdienste für Scooter und Fahrräder sind wir enttäuscht über das Vorhaben der Stadt", erklärte Toby Sun, Geschäftsführer des Konkurrenten Lime, in einer Stellungnahme gegenüber "Techcrunch".

Bird, der Erfinder des Scooter-Sharing, steht in seiner Gründungsstadt Santa Monica kurz vor dem Aus.
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Das Pilotprojekt für E-Scooter und E-Fahrräder soll zur Lösung von Park- und Sicherheitsproblemen in Santa Monica beitragen und die Einigung mit den Betreibern auf Regulierungen erleichtern. Das Angebot soll auf vier Betreiber begrenzt werden, zwei für E-Scooter und zwei für E-Fahrräder. Durch eine Bewertung der Unternehmen nach sieben Kategorien kam die Stadt auf Lyft und Uber – wobei der Uber-Dienst Jump noch über keine eigenen Scooter verfügt, man aber Lime-Scooter über die Uber-App buchen kann. Die Scooter und Fahrräder von Lyft werden derzeit in keiner Stadt angeboten.

Bird hingegen, der eigentliche Erfinder des Geschäftsmodells, befindet sich in der städtischen Rangliste für Scooter nur an zehnter Stelle. Die endgültige Entscheidung für das Pilotprojekt soll am 30. August fallen, im September soll das Projekt für vorläufig 16 Monate starten. (Muhammed Özdemir, 18.8.2018)