Lange Wartezeiten im niedergelassenen Bereich treiben die Patienten zunehmend in die teuren Spitalsambulanzen.

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Gut, aber extrem teuer: So beschreiben Experten das österreichische Gesundheitssystem. In Zahlen: 2015 waren die jährlichen Gesundheitsausgaben mit 3.808 Euro pro Kopf um fast 1.000 Euro höher als im EU-Schnitt. Mit 81,8 Jahren leben wir im Mittel aber nur geringfügig länger als die restlichen EU-Bürger (81 Jahre), bei der Anzahl der "gesunden Lebensspanne" hinken die Österreicher sogar im internationalen Vergleich hinterher.

Demnach verbringen wir durchschnittlich rund 20 Jahre mit chronischen Leiden wie Diabetes Typ 2, COPD oder Bluthochdruck. Das kostet viel Geld. Mindestens 75 Prozent der Gesundheitsausgaben macht die Behandlung chronischer Erkrankungen aus, hat Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien, berechnet.

Das hat vor allem einen Grund. Meistens werden chronisch Kranke im Spital behandelt – und damit genau dort, wo es am teuersten ist.

Österreich im Spitzenfeld

Diabetes Typ 2 kann zu Folgeschäden an Nieren, Augen und Herz führen. Bei frühzeitiger Behandlung lassen sich diese Probleme weitgehend vermeiden. "Wir investieren aber zu wenig, um solche Folgeerkrankungen zu verhindern", kritisiert der Experte.

Die Folge: Patienten brauchen eine Dialyse, erleiden Schlaganfälle oder Herzinfarkte, müssen stationär behandelt werden. Österreich liegt mit etwa 7,5 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohner im europäischen Spitzenfeld, das sind mehr als doppelt so viele wie in Dänemark und rund das Dreifache im Vergleich zu Irland oder Schweden.

Das lässt sich auch an den Kosten ablesen: 15,3 Milliarden Euro oder 42 Prozent der Gesundheitsausgaben werden in Österreich für Spitäler, Rehabilitations-, Kur-und Pflegeheime aufgewendet, nur ein Viertel der Finanzmittel fließt in den ambulanten Bereich.

Die großen Baustellen

Kenner des österreichischen Gesundheitssystems warnen zunehmend vor einem drohenden finanziellen Kollaps. Die größten Baustellen: Wochen- bis monatelange Wartelisten im niedergelassenen Bereich treiben die Patienten zunehmend in die teuren Spitalsambulanzen. "Wenn nur zehn Prozent der Patienten, die ein Krankenhaus aufsuchen, umgeleitet werden, spart das zwei Milliarden Euro", sagt Elias Mossialos von der London School of Economics.

Der niedergelassene Bereich weist allerdings Versorgungslücken auf, der zunehmende Trend zu Wahlarztpraxen verschärft das Problem. Für die Zukunft schaut es nicht rosig aus, denn zwei Drittel der praktischen Ärzte sind heute über 55 Jahre alt und werden sich in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand verabschieden, warnt etwa die Österreichische Ärztekammer.

Doch der medizinische Nachwuchs hat andere Pläne, als eine der frei werdenden Praxen zu übernehmen. Das zeigte zumindest eine Studie der Med-Uni Graz, die rund 5.000 angehende Ärzte nach ihren Berufswünschen befragte. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Nur zwei Prozent können sich vorstellen, nach der Ausbildung Allgemeinmediziner zu werden. "Der niedergelassene Bereich muss wieder attraktiver, und das überbordende Wahlarztsystem muss eingedämmt werden", meint Jan Pazourek, Leiter der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse.

Nicht automatisch besser

Dänemark hat vorgezeigt, wie das gelingen kann. Ende der 1990er-Jahre wurde das System reformiert und rund zwei Drittel der Kliniken geschlossen oder zusammengelegt. Der Gedanke dahinter: Die Behandlung im Spital ist nicht automatisch besser, viele gesundheitliche Probleme lassen sich im ambulanten Bereich genauso gut und vor allem effizienter lösen. Gleichzeitig wurden Primärversorgung, Ambulanzzentren und Reha massiv ausgebaut, nur wer schwer erkrankt ist, kommt in Dänemark in eine Klinik.

98 Prozent der Dänen sind bei einem Hausarzt im Umkreis von zehn Kilometern vom Wohnsitz eingetragen. Er ist erster Ansprechpartner in allen Fragen der Gesundheit und Vorsorge. Ein Wechsel muss der Gemeinde mitgeteilt und begründet werden. Für Fachärzte ist mit Ausnahme des Zahn-, Augen- und HNO-Arztes eine Überweisung nötigt. "Die Standardtherapie wird von diplomierten Pflegefachkräften übernommen, der Arzt hat so mehr Zeit für die heikleren Fälle. Dadurch steigt auch die Behandlungsqualität", ergänzt Czypionka.

Dänemark, Schweden und die Niederlande haben zudem ein Telemonitoringsystem für chronisch kranke Menschen eingeführt. Der Patient gibt Vitalwerte wie Blutdruck, Sauerstoffsättigung oder Herzfrequenz von zu Hause aus in ein Tablet ein, das System schlägt Alarm, sobald die Werte nicht in Ordnung sind.

Gar nicht erst krank werden

Worin sich alle Experten einig sind: Der Schlüssel für ein nachhaltiges Gesundheitssystem liegt in der Prävention. "Damit sich Menschen gesund verhalten, müssen auch die Rahmenbedingungen, innerhalb deren sie leben und arbeiten, geändert werden", betont Pazourek.

So haben etwa zahlreiche Studien gezeigt, dass sich die Bevölkerung mehr bewegt, wenn das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut, Stadtteile verkehrsberuhigt und zusätzliche Grünflächen angelegt werden.

"Das Einzige, was der Gesundheitspolitik einfällt, ist, die neun Gebietskrankenkassen zum Supermoloch ÖGK zusammenzulegen. Ob damit tatsächlich Kosten eingespart werden können, ist mehr als fraglich", kritisiert Pazourek. (Günther Brandstetter, CURE, 1.10.2018)