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Religion ist für muslimische Schüler kaum Thema. Forscher hinterfragen, ob das eine Konfliktvermeidungsstrategie ist.

Foto: Getty Images / Thomas Kronsteiner

"Wie kommst du intellektuell damit zurecht, deine religiösen Überzeugungen über wissenschaftliche Erkenntnisse zu stellen?" Dass diese Frage ausgerechnet von einem jungen Muslim an seinen christlichen Klassenkollegen gestellt wird, mag überraschen.

Ein Muslim in der Rolle des Aufklärers? Ein zumindest ungewohnter Gedanke. Denn was man als Österreicher über seine muslimischen Mitbürger weiß, stammt großteils aus den Medien – und die setzen mit wenigen Ausnahmen auf Polarisierung und Problematisierung: hier die eigene Kultur, dort der Islam. Die Menschen dahinter bleiben unbekannt.

Um diese für viele bedrohliche Welt inmitten unserer eigenen etwas klarer zu sehen, haben Forscher von zwei Instituten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte und Institut für Sozialanthropologie) vor einem halben Jahr ein Projekt im Rahmen des Programms Sparkling Science gestartet.

"Wir wollen mithilfe sozialanthropologisch-kulturwissenschaftlicher Methoden herausfinden, wie junge Muslime in Österreich leben, in welcher Weise sie den Islam im Alltag praktizieren und wie sie in und außerhalb der Schule mit nichtmuslimischen Altersgenossen zusammenleben", berichtet Projektleiter Georg Traska.

Zu diesem Zweck wurden die Schüler der sechsten und siebenten Klassen von drei Wiener Schulen (BRGORG Henriettenplatz, BRG Ettenreichgasse und Islamisches Realgymnasium Rauchfangkehrergasse) in das Projekt eingebunden.

Forschende Akteure

Wobei die Jugendlichen in diesem vom Wissenschaftsministerium finanzierten Projekt nicht nur als "Untersuchungsobjekte" dienen, sondern auch als forschende Akteure mitwirken. "Wir stellen zwar unsere Fragen, gehen aber auch auf das ein, was in den Diskussionen mit und zwischen den Jugendlichen zur Sprache kommt", betont der Experte für Oral History und Videodokumentation.

Dass diese Gespräche in sehr unterschiedlichen Settings stattfinden – vom Einzelinterview bis zu Gruppengesprächen mit verschiedenen Teilnehmerkonstellationen -, habe sich auf die Bandbreite und Differenziertheit ihrer Inhalte sehr positiv ausgewirkt.

Was sich bereits in den ersten Projektmonaten deutlich zeigt, ist eine Vielfalt an Haltungen und Lebensformen der muslimischen Jugend. "Diese Grauschattierungen gehen im medialen Diskurs unter", so Traska. Zwar beeinflusse der polarisierende öffentliche Diskurs über Muslime und Islam auch die Gespräche der Schüler, "aber eine Art Gegenpolarisierung lässt sich nicht erkennen".

Thema Kopftuch

So seien etwa Freundschaften zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zumindest in den genannten Schulen selbstverständlich. "Religion ist hier üblicherweise kein Thema." Anders als bei Beziehungen: "Da scheint die Religion als Teil der Identität eine größere Rolle zu spielen", hat Georg Traska beobachtet. Dass unter den 15- bis 18-Jährigen in der Schule generell so wenig über Religion gesprochen wird, könnte auch eine Konfliktvermeidungsstrategie sein, vermutet der Forscher. "Diesen Punkt wollen wir in den nächsten Monaten noch genauer untersuchen."

Ein mit Religion assoziiertes Thema, das von den Schülern allerdings häufig eingebracht wird, ist das Kopftuch. "Wir haben viel darüber erfahren, wie bei jungen Musliminnen der mitunter sehr komplexe Entscheidungsprozess für oder gegen diese politisch aufgeladene Kopfbedeckung abläuft", berichtet Georg Traska.

"Selbst hier konnten wir keine einheitliche Praxis und Begründung feststellen – sogar innerhalb einer Familie oder in Freundesgruppen gibt es eine breite Ausdifferenzierung." Wobei die Entscheidung für das Kopftuch letztlich aber fast immer auch religiöse Gründe habe und in den meisten Fällen nicht auf Druck von außen oder einem Oppositionsbedürfnis heraus erfolgt.

Auffällig in den vielen auf Video dokumentierten Gesprächen ist die bewusste Unterscheidung zwischen Tradition und Religion durch die Schüler. Da die meisten bereits in Österreich geboren wurden, sind sie mit zwei sehr unterschiedlichen Kulturen vertraut "und haben damit eine natürliche Expertise für diese Frage", meint der Wissenschafter.

Wenig Deutungskultur

Als weniger ausgeprägt haben sich die Fähigkeiten der jugendlichen Projektpartner allerdings im Feld der Deutungskultur erwiesen. "Für Fragen zu Auslegungsmöglichkeiten des Korans haben sie leider relativ wenig Verständnis", so Traska.

"Die meisten sehen sich nicht in einer Entscheidungsposition als schriftdeutende Menschen – das ist aber bei den Nichtmuslimen auch nicht anders."

Dass die Möglichkeiten einer kritischen Deutung von Geschriebenem nur wenigen Schülern zugänglich sind, zeigte sich übrigens auch bei der Medienanalyse zu Projektbeginn: "Über wertende Aussagen wie gut/schlecht, Wahrheit/Lüge sind viele Schüler und Schülerinnen nur schwer hinausgekommen."

Und wie denken die Jugendlichen über brisante Themen wie Gewalt im Namen der Religion? "Auch hier beobachten wir eine gewisse Abwehrhaltung – nach dem Motto 'Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun'", berichtet Traska. "Das Bedürfnis nach klarer Selbstabgrenzung ist ja völlig verständlich, aber die Ausgrenzung bleibt doch hoch problematisch."

Dabei will man die Sache aber natürlich nicht bewenden lassen. Immerhin hat man noch ein Jahr Zeit, den Finger auch auf besonders empfindliche Stellen zu legen. Ende nächsten Jahres werden die zentralen Inhalte und Erkenntnisse des Projekts dann auf einer Webseite sowie in einer eigenen Ausstellung im Volkskundemuseum Wien unter anderem in Form von Kurzvideos zu sehen sein. (Doris Griesser, 23.8.2018)