Der Bau der Morandi-Brücke im Jahr 1965.

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Jahrelang protestierten die Bewohner Genuas, weil die Brücke so nah an Wohnhäusern errichtet wurde.

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Mehr als 600 Personen wurden durch den Einsturz obdachlos.

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Noch immer suchen die Einsatzkräfte nach Opfern in den Trümmern.

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Zwei Tage benötigte Cinzia Barabino, um das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen. Am Donnerstag wollte sie in ihr Haus unter der vierspurigen Morandi-Brücke in der norditalienischen Stadt Genua zurückkehren. Sie wollte für sich und ihr Kind Sachen packen, um eine weitere Nacht außer Haus zu verbringen. Dann stand fest, dass sie nie wieder zurückkehren können. Die Brücke, die teilweise am Dienstag kollabiert war, ist zu instabil. Ein Pfeiler droht einzustürzen und weitere Häuser unter sich zu begraben. In nur einem Tag sank er zwölf Zentimeter weit in die Erde. "Ich saß auf einer Parkbank, als sie mir die Nachricht überbrachten", sagte Barabino der Zeitung "La Stampa".

Noch immer ist die Gefahr nach der Katastrophe mit mindestens 38 Toten nicht gebannt. Mehr als 600 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden, da ihre Häuser von der Brücke bedroht sind. Und es werden noch mehr werden, nachdem viele Bewohner nach ihrem jährlichen Urlaub rund um Ferragosto von der Küste zurückkehren. Betroffene, die weder bei Familie noch Freunden unterkommen können, übernachten im Moment in einem Gemeindezentrum nahe der Via Buranello oder werden in Hotels untergebracht. Laut Genuas Bürgermeister Marco Bucci ist die Versorgung der Obdachlosen die oberste Priorität seiner Regierung.

Fünf Millionen Euro

Hunderte Feuerwehrleute suchen in den Trümmern am Unglücksort nach Verschütteten. Die Chance, Überlebende zu retten, geht allerdings mittlerweile gegen null, schätzen die Einsatzkräfte. Dutzende Fahrzeugen waren aus einer Höhe von 45 Metern in den Abgrund gestürzt.

Um in einer ersten Phase zu helfen, hat Italiens Premierminister Giuseppe Conte fünf Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Region Ligurien freigegeben. Außerdem rief er für die kommenden zwölf Monate den Ausnahmezustand in der nordwestlichen Region Italiens aus. Es wird auch einen Tag der nationalen Staatstrauer geben – an dem Tag, an dem die Toten des Unglücks begraben werden. Conte sagte nach dem Beschluss vor Medienvertretern: "Das sind nicht akzeptable Tragödien, die in einem modernen Staat nicht passieren sollten. Diese Regierung wird alles tun, damit so etwas nicht mehr passiert."

Kritik an Konstruktion

In einer ersten Ankündigung legte der Premierminister fest, dass der Vertrag mit dem Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia, der auch für die Morandi-Brücke verantwortlich ist, aufgelöst werden soll. Das Unternehmen reagierte und versicherte, sich an die Wartungsintervalle gehalten zu haben. Alle drei Monate soll die Brücke mit spezieller Technik untersucht worden sein.

Dabei waren sich Konstrukteure bereits während des Baus der Brücke in den 1960er-Jahren hinsichtlich der Stabilität der Konstruktion unsicher. Stergios Mitoulis, ein Professor an der britischen Universität Surrey und spezialisiert auf Brückenbau, sagte zur BBC, dass es höchst ungewöhnlich ist, dass eine Brücke pro Sektion von nur vier Spanngliedern gehalten wird. In der heutigen Zeit seien bis zu viermal so viele Glieder üblich.

Auch Kritik am Brückenarchitekten Riccardo Morandi wird laut: "Er war ein Ingenieur mit viel Wissen, aber konnte in der Praxis nicht berechnen", schrieb Antonio Brencich, Baustatiker in Genua, bereits vor zwei Jahren. Bereits damals rechnete Brencich vor, dass es günstiger sei, die Brücke abzureißen und neu zu bauen, als die hohen Instandhaltungskosten zu investieren. Und noch früher, nämlich im Dezember 2012, initiierte Genua eine öffentliche Anhörung, wie man die Transportinfrastruktur der Stadt verbessern könnte. Damals war auch die Morandi-Brücke Thema, und ein Beamter der Industrievereinigung warnte, dass die Brücke "in zehn Jahren" zusammenbrechen werde.

Nach dem ersten Schock macht sich Wut unter den Betroffenen der Katastrophe breit. "Wir waren aus Respekt vor den Toten ruhig, aber wir wollen, dass Autostrade uns entschädigt, damit wir zu unseren Leben zurückkehren und Häuser weit weg von Autobahnen und Verschmutzung finden können", sagte ein Mann zu "La Stampa". Bereits während des Baus formierte sich Widerstand in Genuas Bevölkerung gegen den Standort der Brücke – so nahe an Wohngebieten. (Bianca Blei, 16.8.2018)