Demonstrant mit Eigenbau-Mörser: Seit April gehen in Nicaragua tausende Menschen auf die Straße, so auch diese Woche in Managua. Die Regierung greift brutal durch.

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Gabriela blickt im Café nervös um sich. Seit zwei Wochen ist die 21-jährige Studentin wieder frei. Paramilitärs hatten sie an einer Straßensperre abgefangen, drei Tage lang festgehalten, gefoltert, mit Messern ihre Haut angeritzt, drei haben sie vergewaltigt. Sie musste sich ausziehen und bekam nichts zu essen. Gesehen hat sie ihre Peiniger nie, nur gehört. Sie hatten ihr die ganze Zeit eine Kapuze übergestülpt.

"Wer sind deine Chefs? Wer hat euch bezahlt?", wollten sie wissen. Gabriela gab nichts preis. Sie hatte vor der Festnahme noch Zeit, ihren Handychip zu zerstören. Auf der schwarzen Liste mit Regierungsgegnern steht sie trotzdem. Sie sagten ihr, sie solle abhauen aus Nicaragua, wenn ihr ihr Leben lieb sei. Gabriela will nicht. "Wenn wir Studenten nichts tun für Nicaragua, wer dann?" Jetzt lebt sie im Untergrund. Zum Treffen ist sie mit dem BWL-Studenten Leddy gekommen. Ihn verhaftete die Polizei, aber auch dem 20-Jährigen erging es nicht besser. Sie zerquetschten ihm die Finger, quälten ihn mit brennenden Zigaretten und zwangen ihn, Lobgesänge auf Präsident Daniel Ortega anzustimmen.

Die blauen Flecken sind kaum noch zu sehen, aber die Narben sind noch jung. Alles ging so schnell: Die Besetzung der Universität, die Verteidigung gegen die Angriffe der Paramilitärs, die mit Maschinengewehren auf die Steinewerfer schossen. Seit Mai standen die beiden auf den Barrikaden der staatlichen Universität UNAN, forderten Demokratie, Rechtsstaat und dass der 72-jährige und seit elf Jahren autoritär regierende sozialistische Ortega endlich anderen Platz mache.

Dutzende kritische Ärzte entlassen

Eine bewaffnete Revolution brachte ihn 1979 an die Macht, ein Bürgerprotest droht ihn nun zu stürzen. Und Ortega antwortet auf die Bedrohung, wie es einst Diktator Anastasio Somoza tat: mit brutaler Gewalt. Die Demonstranten, so Ortega, seien gar keine Studenten, sondern rechte Schlägertruppen. Gabrielas Studentenausweis haben ihre Folterknechte deshalb behalten, aus den Registern der Unan hat die regierungstreue Rektorin alle kritischen Studenten gelöscht. So als habe es Gabriela und Leddy nie gegeben.

Javier Pastora arbeitete 32 Jahre lang als Chef der Chirurgie im Spital von Leon. Er hat weltweit Partnerschaften aufgebaut, Gratisoperationen für Bedürftige organisiert. Vor zwei Wochen ist der 55-Jährige plötzlich entlassen worden. So wie ihm erging es rund 50 Ärzten im ganzen Land. Ihr Vergehen: Sie sind Kritiker der Regierung und haben verletzte Demonstranten medizinisch versorgt. "Dabei ist das doch meine ärztliche Pflicht", sagt Pastora, der nun mit anderen Betroffenen eine Sammelklage einreichen wird. Aussicht auf Erfolg habe die nicht, räumt er ein.

"Jeder ist Herr seiner eigenen Ängste"

Der Parkplatzaufseher Luis Herrera wurde von seinem Chef entlassen, weil er zu den Protesten ging, und bettelt jetzt auf der Straße am Rande eines Protestmarsches in Managua. Pfarrer Edwin Roman, der sein Pfarrhaus während der Proteste in ein Lazarett umwandelte, musste nach Todesdrohungen seine Stadt verlassen.

Auch kritische Medien sind Ziel der allgemeinen Repression. Ein Kanal, der seit Beginn der Proteste im April berichtet und seine Sendungen mit einem Trauerflor für die 317 Ermordeten versieht, wurde von Vermummten angegriffen. Und Carlos Chamorro, Direktor der unabhängigen Mediengruppe Confidencial, wird als Putschist verunglimpft. Schon sein Vater wurde 1978 von Killern Somozas erschossen. Auf die Frage, ob er Angst habe, antwortet er mit einem Satz, den sein Vater kurz vor seiner Ermordung einem Journalisten sagte: "Ja, aber jeder ist Herr seiner eigenen Ängste." (Sandra Weiss, 17.8.2018)