Juristin Ricarda Brandts erhebt schwere Vorwürfe gegen die Politik in Düsseldorf.

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Eines ist im Fall Sami A. klar: Keine Behörde und kein Politiker wollen den gebürtigen Tunesier aus Tunesien zurückhaben. Niemand hat ein Interesse daran, dass er sein Leben in Bochum wieder aufnimmt. Denn Sami A. gilt als islamistischer Gefährder, er soll einst ein Leibwächter von Osama bin Laden gewesen sein.

Und dennoch: Sami A. muss von Tunesien nach Bochum zurückgeholt werden, dort lebte er bisher mit seiner Frau und seinen Kindern. So hat es das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) nun entschieden. Denn seine Abschiebung am 13. Juli war rechtswidrig.

An diesem Tag war Sami A. von der Bundespolizei in Düsseldorf in ein Flugzeug gesetzt worden. Als dieses schon in der Luft war, kommt der Bescheid des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen: Sami A. darf nicht abgeschoben werden, da keine "diplomatisch verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung" vorliege, dass Sami A. in Tunesien keine Folter drohe.

Zu spät, Sami A. ist bereits weg. Das Gericht in Gelsenkirchen tobt, stuft die Abschiebung als "grob rechtswidrig" ein und erklärt, getäuscht worden zu sein. Der zuständige Integrationsminister, Joachim Stamp (FDP), soll den Zeitpunkt des Abflugs verschwiegen haben – einen Rücktritt schloss Stamp am Donnerstag aber aus.

Die Stadt Bochum wollte die Rückholung nicht akzeptieren, blitzte nun aber beim Oberverwaltungsgericht ab: Sami A. muss auf Kosten der Stadt zurückgeholt werden. Doch das Gericht traf nicht nur diese Entscheidung, sondern las der Politik auch gleich noch deutlich die Leviten. "Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet", beklagt die Präsidentin des OVG, Ricarda Brandts.

"Rechtsempfinden der Bevölkerung"

Durch das Vorenthalten von Informationen hätten die Behörden verhindern wollen, dass die Justiz rechtzeitig ein Abschiebeverbot verhängen konnte. "Der Fall des Sami A. wirft Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat – insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz – auf", beklagt Brandts. Bisher seien Gerichte und Behörden "mit Respekt vor der Gewaltenteilung" vertrauensvoll miteinander umgegangen. Jetzt sei das Vertrauensverhältnis beschädigt.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hingegen kritisiert die Justiz: "Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen."

Wann Sami A. zurückkommt, ist unklar. Der 42-Jährige kann Tunesien nicht verlassen, weil sein Pass dort eingezogen wurde und gegen ihn ermittelt wird. Dennoch schwant dem SPD-Oppositionsführer von Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschay, nichts Gutes: "Wir müssen damit rechnen, dass Sami A. demnächst wieder in Bochum herumläuft." Offenbar gebe es keinen dringenden Tatverdacht, sonst wäre Sami A. in Tunesien in Haft. Vor der Abschiebung sei er "trocken, gut und sicher" in Abschiebehaft gesessen. Zurückkehren werde er als freier Mann. Kutschay: "Das ist natürlich schon ein großes Problem." (Birgit Baumann aus Berlin, 16.8.2018)