"Die Unesco schützt die Häuser. Aber das ist zu wenig. Wir müssen auch das städtische Leben schützen." – Námestí Svornosti in Ceský Krumlov.

Foto: Roman Franc

Die Taube. Die Schildkröte. Der Hahn steht auf einem Bein. Die Schlange schleicht durchs Gras. Der weiße Kranich breitet seine Flügel aus. Hinter den bunten Yogamatten, die heute um neun Uhr früh auf dem Hauptplatz, auf dem Námestí Svornosti, auf dem sogenannten Platz der Einigkeit, ausgerollt wurden, herrscht alles andere als Eintracht. Während die einen aus Fernost entzückt ihr Smartphone zücken, um damit die exotische Gymnastikstunde zu dokumentieren, schütteln die anderen den Kopf und kommentieren das Ganze in wütendem Tschechisch. "Das werde ich Ihnen jetzt aber nicht übersetzen", sagt eine junge Frau, tiefer Atemzug, angespannter Rücken, im herabschauenden Hund.

Was sich dieser Tage in Ceský Krumlov abspielt, ist nicht normal. "Aber was ist schon normal in dieser Stadt?", fragt Roman Kyselka. Der 61-jährige Puppenspieler aus Brno, der mit seiner Familie für einen Monat angereist ist, hat vor ein paar Tagen erst auf der Ulicka Siroká, direkt vor seinem Erdgeschoßzimmer, das er vorübergehend bewohnt, bei 33 Grad Celsius eine Wasserschlacht mit Spritzpistolen und kleinen Wasserbomben gemacht. "Und stellen Sie sich vor", sagt er, "die Touristen haben uns ignoriert und sind an uns vorbeigegangen, als wären wir gar nicht da, und die Einheimischen haben geschimpft, sobald sie auch nur einen Tropfen abbekommen haben."

"Gar nichts mehr normal"

Aber was ist schon normal. "In Ceský Krumlov ist eigentlich gar nichts mehr normal", sagt Katerina Sedá. "Ceský Krumlov ist vielleicht eines der schönsten Städtchen Europas, seit 1992 ist die gesamte historische Innenstadt sogar Unesco-Weltkulturerbe. Doch das Problem ist, dass die Unesco nur die Häuser schützt, der Erhalt des städtischen Lebens jedoch ist ihr egal. Und so ist die Stadt eigentlich nur noch Kulisse, tote Staffage, eine einzige Ansammlung von Souvenirgeschäften, überteuerten Bierlokalen und hunderten Airbnb-Apartments." Das stimmt. Und wie das stimmt. Nach Auskunft des Rathauses leben im Stadtzentrum aktuell nur noch 300 Menschen. Der Rest gehört den Touristen.

Um auf diesen besorgniserregenden und stadtzerstörenden Umstand hinzuweisen, hat Katerina Sedá, die letztes Jahr zur Architektin des Jahres gekürt wurde, vorgeschlagen, das südböhmische Städtchen an der Moldau mit urbanem Leben zu füllen – mit Ritualen des Wohnens, mit ganz alltäglichen Beschäftigungen im städtischen Alltag, aber auch mit provokanten, zum Teil abstrusen Aneignungen des öffentlichen Raums. Das dreimonatige Projekt mit dem provokanten Titel Unes-Co (ein tschechisches Wortspiel: "Wie viel ertragen") und dem an die echte Unesco erinnernden Logo wird gefilmt und als Livestream im tschechisch-slowakischen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig übertragen. Es ist, wie sich schon bei der Eröffnung Ende Mai zeigte, einer der subtilsten und zugleich radikalsten Beiträge zum diesjährigen Generalthema Freespace.

Bilder wiederbeleben

"Ich habe mir angesehen, wie die Menschen ihre Städte früher genutzt haben", sagt Sedá. "Tatsächlich sind viele typisch urbane Beschäftigungen wie etwa Fußball auf der Straße, eine Partie Schach im Park oder das Lüften und Hinaushängen von Bettwäsche zum Fenster hinaus im Laufe der Zeit weniger geworden. In historischen und Unesco-geschützten Städten wie etwa Ceský Krumlov, Venedig oder Brügge sind diese Tätigkeiten sogar ganz aus dem Alltag verschwunden. Ich will diese Bilder wiederbeleben."

Zu diesem Zwecke schaltete sie Anfang des Jahres in diversen Medien und sozialen Netzwerken eine Kampagne, für die sich mehr als 1500 Menschen beworben haben. Einige davon wurden ausgewählt, um für die Dauer der Biennale – sie bekommen dafür den gesetzlich festgelegten Mindestlohn bezahlt – die leerstehenden Wohnungen zu bewohnen und die Straßen, Plätze und Moldauufer im wahrsten Sinne des Wortes zu bespielen. Die Leute scheinen die Erwartungen des Biennale-Projekts zu übertreffen. Sie machen Yoga, waschen ihre Wäsche in der Moldau, spielen Fangen und Verstecken, veranstalten einen Grillnachmittag auf dem Hauptplatz oder rücken mit Putzmitteln an, um zwischen all den tausenden Touristen und den mehr als 300 denkmalgeschützten Bauwerken ihren Skoda zu waschen.

Sedá, deren Arbeit im Bereich der Konzeptkunst und der Social Art angesiedelt ist, trifft damit mitten ins Herz der Stadt. Und auch in jenes des Bürgermeisters. "Frau Sedá spaltet die Stadt und ihre Touristen in zwei Hälften", erklärt Dalibor Carda, seit acht Jahren im Amt, während er aus seinem 400 Jahre alten Rathausbüro auf den Námestí Svornosti blickt. "Sie macht wirklich gute Arbeit, und ich schätze sie als bildende Künstlerin enorm, aber manches davon, was sie hier tut, ist im Stadtzentrum von Ceský Krumlov schlichtweg verboten, und das macht die Leute böse."

Schon lange böse

Doch böse sind sie sowieso schon lange. Zumindest die wenigen, die noch im Stadtzentrum geblieben sind. Jährlich fallen rund 1,8 Millionen Touristen über die 13.000 Einwohner kleine Gemeinde her, die einst, in seinen jungen Jahren, Egon Schiele auf dutzenden Gemälden festgehalten hat. Das ist – pro Einwohnerkopf gerechnet – um 20 Prozent mehr, als Venedig ertragen muss. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Sie kommen für vier Stunden, für einen ganzen Tag, für eine Nacht oder zwei. Aus Deutschland, aus Österreich, aus Großbritannien, aus China, Japan, Südkorea und den USA. "Touristen sind Terroristen", steht im Biennale-Katalog, Seite 46.

"Die Situation ist sehr traurig", meint Hana Jirmusová-Lazarowitz, "und ich beobachte, dass die Krumauer schon selbst nicht mehr wissen, wie sie die Stadt benützen sollen." Jirmusová-Lazarowitz, Direktorin des Egon Schiele Art Centrum, ist diejenige, die Sedá letztes Jahr überhaupt erst nach Ceský Krumlov holte und ihr die Stadt zeigte, natürlich nicht ohne Hintergedanken. "Durch das aktuelle Kunstprojekt, das die Bevölkerung ganz gewiss in Freunde und Feinde spaltet, bekommen die Krumauer langsam wieder Lust auf die Stadt. Wenn das das Resultat von Kunst ist, dann bin ich mehr als zufrieden."

Nicht allen ist fröhlich zumute. Die echte Unesco drohte der Künstlerin und ihrer Unes-Co bereits mit anwaltlichen Briefen. "Das ist die Freiheit der Kunst", sagt Sedá mit einem Schulterzucken. "Die Unesco schützt die Häuser. Aber das ist zu wenig. Wir müssen auch das städtische Leben schützen." (Wojciech Czaja aus Ceský Krumlov, 19.8.2018)