Sind Sie glücklich? Würden Sie vollen Herzens auf diese Frage "Ja" antworten? Wiener geben an dieser Stelle ganz gern ein gedehntes "Jo eh" zum Besten – was mit Sicherheit nicht bedeutet, dass sie unzufrieden sind. Das vollkommene Hochgefühl offenbaren sie ungern, skeptisch wie sie sind. Sie gelten ja weltweit auch als melancholisch, da wäre rundherum glücklich sein fast schon imageschädigend.

So heißt es in einer kleinen, natürlich nicht repräsentativen Umfrage des Autors dieser Zeilen: "Glücklich" sei "wirklich übertrieben", "zufrieden" würde es schon besser treffen. Man sei in Augenblicken glücklich, beim Sport, beim Yoga, nach dem Sex, beim Schwimmen, beim Gitarrespielen, beim Kicken, beim Schreiben, beim Mondscheinspaziergang mit der oder dem Richtigen. Aber man habe für Dinge, die glücklich machen, auch viel zu wenig Zeit. Natürlich wäre darauf zu erwidern: Aber immerhin hast du ja manchmal doch Zeit, oder?

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Schüttet der Körper genug Hormone aus, ist der Mensch glücklich.
Foto: Getty Images / Cultura RF / Walter Zerla

Österreich liegt im World Happiness Report, der alljährlich vom Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen erstellt wird, an der zwölften Stelle. Nimmt man derlei Rankings ernst, kann also von einer relativ hohen Zufriedenheit in der Alpenrepublik ausgegangen werden.

Finnland ist Spitzenreiter, obwohl aufgrund langer Winter durch fehlende Sonneneinstrahlung eigentlich benachteiligt, was die Produktion des für positive Gefühle wichtigen Serotonins betrifft. Auf den Plätzen liegen Norwegen, Dänemark, Island und der Schweiz.

Das Ranking setzt sich aus einzelnen Indikatoren zusammen. Dabei spielen nicht die obengenannten Momente des Hormonrauschs – wie eben Sex oder Sport – die entscheidende Rolle, sondern wirtschaftliche, sozioökonomische und gesellschaftspolitische Faktoren. Demnach wären die Basics für ein glückliches Leben: das Brutttoinlandsprodukt eines Landes, die Lebenserwartung, die Freiheit, wichtige Entscheidungen treffen zu dürfen.

Wir wissen also, was wir brauchen, um glücklich zu sein. Aber wissen wir deswegen auch, wie wir dieses große Ziel erreichen? Versuchen wir es einmal mit einem Glückskeks und schauen, ob hier vielleicht Antworten zu finden sind. "Es führen viele Wege zum Gipfel eines Berges, doch die Aussicht bleibt dieselbe" war da nach dem Verzehr eines Hühnchens auf Szechuan-Art zu lesen. Auch nicht wirklich erhellend.

Streben nach Reichtum

Denn des Menschen Wünsche an ein glückliches Leben haben wenig mit Bergen zu tun: Bis zu 80 Prozent der Generation Y, das sind die Jahrgänge zwischen den frühen 1980er- bis zu den frühen 2000-Jahren, geben als Lebensziel an, reich und berühmt zu werden. Dem widersprechen wissenschaftliche Studien: Geld allein (oft sind die banalsten Sprichwörter die treffendsten) macht auch nicht happy. Im Gegenteil.

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Was Glück und Gesundheit in guten Beziehungen machen, zeigt sich am Valentinstag in Tianjin, China: Paare, die seit 50 Jahren verheiratet sind, heiraten noch einmal.
Foto: Reuters / Tingshu Wang

Wer gut verdient, Wert auf Status und Besitz legt, ist oft sogar unzufriedener als Menschen, die das nicht tun. Das Verlangen nach mehr steht dem Gefühl tiefer Zufriedenheit entgegen. Zu diesem Schluss kamen Wissenschafter der University of California 2017 nach der Auswertung von mehr als 1500 Fragebögen, deren Ergebnis im Fachjournal "Emotion" veröffentlicht wurde.

Erst wurden die Teilnehmer nach ihrem Einkommen befragt, danach zu den Gefühlen, die zum Kern eines glücklichen Lebens zählen. Während die Besserverdiener Glück außerdem mit stark ichbezogenen Emotionen in Verbindung brachten und die Erfüllung nur darin fanden, sind die Ärmeren offenbar mehr im Augenblick zufrieden.

Eine Art von Bescheidenheit, die man so umschreiben kann wie Clemens Reischl, Pfarrer von Arnsdorf im Bezirk Krems, der durch ein Facebook-Video Bekanntheit erlangte, in dem er über die Abschiebung einer syrischen Familie beklagte: "Ich kenne Menschen, die nicht immer ein beneidenswertes Schicksal haben, sondern manchmal sehr heimgesucht sind. Zugleich erlebe ich sie als glücklich, weil sie sich innerlich offen halten."

"Ich bin in besonders intensiven Momenten glücklich, was auch eine Gefahr in sich birgt, weil ich ein Hysteriker bin." Franz Schuh, Essayist
Foto: Imago / Rudolf Gigler

Der Philosoph und Essayist Franz Schuh sieht das etwas nüchterner. Die westliche Gesellschaft sei in ihrem Streben nach Glück neurotisiert. "Die Frage nach dem Glück" stelle man nur, wenn man ohnehin genug davon habe. Man vergleiche sich mit anderen, habe Ressentiments, empfinde Neid – da bleibe kein Platz mehr für etwaige Hochgefühle. "Ressentiments hat jeder, das Einzige, was dabei hilft, ist der sogenannte Humor", sagt Schuh. Wer über sich selbst lachen könne, der sei doch schon mal ziemlich glücklich.

Die virtuelle Glücksinszenierung

Seit Aristoteles geht die Menschheit davon aus, der Sinn des Lebens sei das Streben nach Glück. In der Antike wurde Glück allgemeingültig bestimmt, in der Moderne ist es subjektiviert worden – als Sammelbegriff für die Befriedigung individueller Präferenzen.

Dabei spielen die Medien eine entscheidende Vermittlerrolle, sagt Kulturwissenschafter Thomas Macho, Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK). Ein typisches Beispiel sei Werbung mit dem Glücksversprechen vor Nachrichten: Da gebe es den zufrieden machenden Tee, die Hautcreme, die schöner, jünger und damit glücklicher macht, und Säftchen, die die Erinnerungsfähigkeit im Alter verbessern wollen.

"Wenn wir Bilder von Glücksmomenten sehen, könnten wir über das vielleicht langweilige, eigene Leben nachdenken." Robert Waldinger, Psychiater
Foto: HO

Die Medien spielen auch für Robert Waldinger eine entscheidende Rolle bei den Erwartungen an ein erfülltes Leben. Der Psychiater, Professor an der Harvard Medical School in Boston, ist der bereits vierte Direktor einer Studie, die seit 1938 unter dem Titel "The Good Life" läuft und Menschen über Jahrzehnte begleitet.

"In den 1930er- und 1940er-Jahren gab es auch Medien, aber es waren Zeitungen und das Radio. Heute werden wir jederzeit in den sozialen Medien mit Bilder von Urlaubserlebnissen, Stränden, tollen Partys oder Festessen konfrontiert." Das könnte viele Menschen nachdenklich darüber machen, wie langweilig möglicherweise das eigene Leben ist, und in ein veritables Tief stürzen.

Waldinger erzählt von den bisherigen Ergebnissen der Langzeitstudie: Wer glückliche Beziehungen hat zu geliebten Menschen, zum Partner, zur Partnerin, zur Familie, zu Freunden, zu einer Art Community, in er er sich zu Hause fühlen kann, ist glücklich – und lebt damit auch langfristig gesünder.

Das Forscherteam befragt die Probanden regelmäßig, filmt sie zu Hause beim Erörtern kritischer Situationen im Familienverband, scannt ihre Gehirnaktivitäten und führt auch regelmäßig Gesundheitschecks durch. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Menschen, die nach ihrer Pensionierung Kontakte zu Gleichaltrigen pflegen, halten sich geistig länger fit – und laufen nicht so schnell Gefahr, das Erinnerungsvermögen zu verlieren.

TEDx Talks

Glück sei absolut kein Dauerzustand, sondern immer eine Momentaufnahme, wird nach einer entsprechenden Frage auf Twitter geantwortet. "Es ist der Gott der kleinen Dinge, der glücklich macht", meint ein Follower, der sich gleichzeitig als nicht religiös bezeichnet.

Auch Kulturwissenschafter Macho sagt, Glücksmomente seien in Sekundenbruchteilen zu spüren, können zu einem Flow führen – aber auch schnell verflogen sein. Nicht ohne Grund heißt es in einem legendären Wienerlied aus dem 19. Jahrhundert: "Das Glück is a Vogerl, (...) es lasst si schwer fangen, aber fortg’flogn is glei."

Die Konzentriertheit auf den gegenwärtigen Moment betont auch Elisabeth Baroud von Ausbildungszentrum der Caritas, die unter anderem schwerkranke Schüler zum Beispiel im St. Anna Kinderspital unterrichtet. Diese Jugendlichen würden es merken, wenn man ihnen etwas vorspielt, sagt sie. Zum Glück gehöre daneben auch "Zufriedenheit, inspiriert sein, einen Motor in sich spüren".

"Zum Glück gehört auch Zentriertheit, Zufriedenheit, ein Leben im Augenblick, den inneren Motor spüren." Elisabeth Baroud, Lehrerin
Foto: privat

Das dauerhafte Glück gibt es also nicht. Franz Schuh meint, diejenigen, die immer nur vom Glück beseelt sind, seien wie unter einem Schutzmantel. Ähnlich wie der legendären Disney-Figur Gustav Gans widerfährt ihnen nie Unglück, weshalb Glückserfahrungen selbstverständlich sind und kaum geschätzt werden. Bei einer plötzlich auftretenden Misere könnte ihnen dann die Kraft fehlen, wieder herauszukommen.

Schuh setzt auf Zufallsglück – zum Beispiel in einer Zeit das Rauchen aufgegeben zu haben, als man noch nicht wegen der Gefahr von Lungenkrebs sensibilisiert war. Er könne sich in diese Momente besonders intensiv hineinsteigern, "was aber eine gewisse Gefahr in sich birgt, weil ich nämlich ein Hysteriker bin. Wenn ich im Zug an einem Ort vorbeifahre, der ‚Zahnschmerz‘ heißt, bekomme ich sofort Zahnschmerzen."

Was braucht ein gutes Leben noch außer Gesundheit und Beziehungen? Kulturwissenschafter Thomas Macho erinnert in der Glücksfrage an die Existenzialisten. Albert Camus Mythos vom Sysiphos beginnt aufgrund der fehlenden Sinnhaftigkeit des Tuns mit Selbstmordgedanken, sei aber am Ende doch unvergleichbar tröstlich und optimistisch. Denn das Hinaufrollen des Steins, die ständige Routine – das alles bringt auch Sicherheit und Struktur ins Leben. Vielleicht hat also Monotonie auch etwas Gutes. (Peter Illetschko, 18.8.2018)