Wien – Hat eine 34-Jährige zu Selbstjustiz gegriffen und Benjamin F., den angeblichen Vergewaltiger einer Freundin, in einem Lokal schwer verletzt? Oder ist sie Opfer einer Intrige, um möglicherweise die Zeuginnen im Vergewaltigungsprozess gegen F. unglaubwürdig wirken zu lassen? Richter Stefan Romstorfer muss im Prozess gegen Iris W. versuchen, die Lösung dieser Fragen herauszufinden.

Schon das laufende Verfahren gegen den 30-jährigen F., das am Donnerstag fortgesetzt wird, ist eigenartig. Er soll mehrere Frauen in seiner Wohnung betäubt und anschließend sexuell missbraucht haben, was er vehement bestreitet. Angeklagt wurde von der Staatsanwaltschaft allerdings nur ein Fall von Vergewaltigung – das Opfer soll eine Freundin von W., die nun wegen schwerer Körperverletzung hier sitzt, sein.

Zufällige Begegnung um 3 Uhr

"Sie wird sich nicht schuldig bekennen, und das zu Recht", erklärt ihre Verteidigerin Iris Dullnig. W. selbst habe vor eineinhalb Jahren mit F. einen einvernehmlichen One-Night-Stand gehabt, danach sei sie selbst Opfer unfreiwilliger Kontakte mit ihm geworden. Als sie am 18. März gegen 3 Uhr Früh mit zwei Freundinnen, eine davon das angebliche Vergewaltigungsopfer, in ein Lokal in Wien-Neubau ging, sei F. mit anderen an einem Tisch gesessen. W. habe F. den Inhalt ihres Glases ins Gesicht geschüttet, mehr sei nicht passiert, behauptet die Rechtsvertreterin.

Die Angeklagte selbst sagt, sie habe beim Betreten des Lokals F. gar nicht bemerkt. Erst im Keller habe eine ihrer Begleiterinnen davon gesprochen. Ich habe mir gedacht 'Was machen wir jetzt' und habe erst einmal eine Runde Cola-Whisky spendiert", erzählt die Unbescholtene. Dann beschloss das Trio, wieder hinauf an die Bar zu gehen, da dort Freunde saßen.

Platzwunde auf der Stirn

"Oben habe ich ihn dann auch erstmals seit Juni 2017 gesehen und ihm mein teures Cola-Whisky ins Gesicht geschüttet." Es sei wieder alles hochgekommen, begründet sie die Attacke. Das leere Glas habe sie danach wütend auf den Tisch gestellt und sei gegangen. "Ich würde ihm gerne etwas antun, aber ich mache es nicht", bestreitet sie den Vorwurf, F. das Glas aus eineinhalb bis zwei Metern gegen den Kopf geschleudert zu haben. Eine kleine Platzwunde, die der Verletzte erlitt, könne maximal durch einen Eiswürfel entstanden sein.

Das Eiswürfel die Haut durchdringen können, halten allerdings zwei ungenannt bleiben wollende Mediziner auf STANDARD-Anfrage für äußerst unwahrscheinlich. "Vorausgesetzt, es waren normale Eiswürfel und keine Eisbrocken", meint der eine Experte. "Vielleicht, wenn man sie mit einer hohen Geschwindigkeit wie ein Cricketspieler wirft, sonst schließe ich das aus", der andere.

Die Herausforderung für den Richter: Auch die Geschichte des Verletzten und seiner damals am Tisch sitzenden Freunde zeigt deutliche Widersprüche. Die Angeklagte will F. nicht sehen und bittet darum, seiner Aussage aus dem Nebenraum bei geöffneter Tür folgen zu dürfen. Der 30-Jährige schildert, er sei zum Tatzeitpunkt mit einem Freund und zwei Frauen an einem Tisch gesessen. "Plötzlich, nichts ahnend, kommt jemand auf mich zugestürmt und wirft ein Glas auf mich", erzählt der Zeuge.

"Ganze Küchenrolle" für Blutstillung

Wer das Glas geworfen habe, wisse er nicht, als er aufsah, habe sich W. gerade hinter einer Freundin versteckt. Sein Freud Daniel O. habe ihn verarztet. "Er hat eine ganze Küchenrolle gebraucht, bis die Blutung gestillt war", behauptet F., der angeblich doppelt sah, Schwindel und Kopfschmerzen hatte.

"Warum sind Sie dann nicht ins Spital gefahren?", wundert sich Romstorfer. "Bedauerlicherweise erst am nächsten Morgen. Dort wurde mir gesagt, ich habe eine Gehirnerschütterung, daraufhin habe ich sofort eine Anzeige gemacht. Dann rief das Spital an und sagte, ich müsse sofort wiederkommen, da der Verdacht einer Hirnblutung besteht. Ich war eine Woche im Spital und einen Monat im Krankenstand!"

Eine Aussage, die nicht stimmt, wie ihm der Richter vorhält. Tatsächlich sei er vom 19. bis 21. März im Spital gewesen. F.s Privatbeteiligtenvertreter wiederum behauptet, der Krankenstand habe fast zwei Monate gedauert, und will 2.500 Euro Schmerzensgeld für seinen Mandanten. W.s Verteidigerin kann einen weiteren Widerspruch aufdecken: "Sie haben gesagt, Sie sind am nächsten Morgen ins Spital gefahren. Auf dem Ambulanzzettel steht, Sie sind um 16.07 Uhr gekommen." – "Ich bin gefahren, nachdem ich aufgewacht bin. Das war nicht in der Früh, Entschuldigung", gibt der Arbeitslose zu.

Taschentuch reichte aus

F.s Begleiter sagt als nächster Zeuge, sein Freund habe ihn auf die Angeklagte und ihre Freundinnen schon aufmerksam gemacht, als die das Lokal betreten haben. Rund 15 Minuten später sei ein Whiskyglas an seinem Kopf vorbeigeflogen und habe F. getroffen. Wer es geworfen hat, kann allerdings auch dieser Zeuge nicht sagen. Dafür berichtet er, ein Taschentuch habe ausgereicht, um die Blutung des Verletzten zu stoppen.

Eine der beiden Damen am Tisch behauptet dagegen, nach dem Angriff sei eine Blutlacke auf dem Tisch gewesen. "Ich habe es eigentlich gesehen, dass die Angeklagte das Glas geworfen hat", sagt sie. "Was heißt 'eigentlich gesehen'?", fragt Romstorfer die 22-Jährige. "Also ich bin mit dem Rücken zu ihr gesessen, aber als ich mich umgedreht habe, hat sie noch die Bewegungen gemacht, wie wenn sie gerade etwas geworfen hätte", schwächt die Zeugin ab.

Die zwei Begleiterinnen der Angeklagten bestätigen dagegen deren Version, dass sie geschüttet, aber nicht geworfen habe. Da der Richter auch noch die zweite Dame an F.s Tisch hören möchte, vertagt er auf September. (Michael Möseneder, 23.8.2018)