Die Lehre des Kampfes gegen fremde Herrschaft und politische Diktatur ist die Devise: Niemals aufgeben!

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Es gibt historische Ereignisse, die unauslöschlich im Gedächtnis bleiben, sogar Ort und Zeitpunkt der persönlichen Wahrnehmung. So erinnern sich ganze Generationen daran, wo sie zur Zeit der Ermordung Präsident John F. Kennedys oder des islamistischen Terroranschlags auf das New Yorker World Trade Center in New York waren. Für uns in Mitteleuropa ist der 21. August 1968, der Tag der Invasion der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Truppen, ein solch unvergessliches Datum geblieben.

Es war Kafka, der einmal geschrieben hat: "Es gibt nur eine Wahrheit, sie ist aber lebendig und hat daher ein ständig wechselndes Gesicht." Ungefähr so ist es auch mit unseren Erinnerungen an den Prager Frühling und den Panzerkommunismus (Ernst Fischer) fünfzig Jahre später. Ich wurde damals im Morgengrauen aus Zürich geweckt, um eine Analyse über die möglichen Folgen für die Sonderausgabe der "Tat" zu schreiben. Unvergesslich bleibt auch Jahre später die saloppe Aussage des französischen Außenministers Claude Cheysson, der die Prager Tragödie als eine Verkehrspanne auf dem Weg zur Ost-West-Entspannung bezeichnete.

Die Hoffnungen der Prager Reformer entpuppten sich als Illusion. Der "Sozialismus mit menschlichem Gesicht" ist eine Leerformel in den Büchern der Zeitgeschichte geblieben. Trotzdem wäre es töricht, auch die Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit der folgenden Jahrzehnte, von Pavel Kohout bis Václav Havel, zu vergessen. Die Lehre des Kampfes gegen fremde Herrschaft und politische Diktatur ist die Devise: Niemals aufgeben!

Überforderte Politiker

Und die Reaktion in Österreich? Ich wurde damals zusammen mit den Korrespondentinnen der "FAZ" und des "Spiegel", Hanni Konitzer und Inge Santner, zu einem vertraulichen Informationsgespräch mit Kanzler Klaus, Außenminister Waldheim und Verteidigungsminister Prader sowie mit einigen hohen Offizieren eingeladen. Die drei Politiker wirkten überfordert und unsicher, als sie unsere Fragen beantworteten.

Bruno Kreisky, der bei einer Kampfabstimmung anderthalb Jahre vorher zum SPÖ-Vorsitzenden gewählt worden war, wies in einer glänzenden Rede vor 3000 SPÖ-Funktionären in der Stadthalle auf drei Lehren aus der Tragödie hin: Hoffnungen, eine kommunistische Diktatur zu "demokratisieren", seien trügerisch; militärische Intervention gehöre zum Inventar aller Diktaturen; und schließlich machten auf Diktaturen nicht Willfährigkeit und Leisetreten, sondern Zusammenstehen und entschlossenes Auftreten Eindruck.

Ein Jahr später folgte die berühmte "Eisenstädter Erklärung" gegen Diktatur und jedwede Zusammenarbeit mit der KPÖ. Damit korrigierte Kreisky einen folgenschweren taktischen Fehler: Die kommunistische Wahlempfehlung war von der SPÖ nicht eindeutig zurückgewiesen worden. Vielleicht sollten die SPÖ-Würdenträger heute, von Wien bis Eisenstadt, neben Boulevardzeitungen und Meinungsumfragen auch die von Heinz Fischer herausgegebenen gesammelten Reden Kreiskys, des bedeutendsten sozialdemokratischen Politikers, lesen, wenn sie den Wandel der so erfolgreichen Zweiten Republik zu einem Operettenstaat verhindern wollen. (Paul Lendvai, 20.8.2018)