Mit zahlreichen Veranstaltungen in Tschechien und der Slowakei wird an die Niederschlagung des Prager Frühlings vor 50 Jahren erinnert. In der Nacht auf den 21. August 1968 hatten mehr als eine halbe Million Soldaten aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien die damalige Tschechoslowakei besetzt und der dortigen Reformbewegung, die nach einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" strebte, ein jähes Ende bereitet. Was folgte, waren weitere 21 Jahre kommunistischer Diktatur unter sowjetischer Vorherrschaft.

Beim Prager Funkhaus brannten am 21. August 1968 die Barrikaden. Am Dienstag werden hier Kränze für die Opfer der Invasion niedergelegt.
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In mehreren Städten dokumentieren Fotoausstellungen die Stunden und Tage nach der Okkupation, die als eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Tschechoslowakei gilt. Radio- und Fernsehstationen zeichnen in stundenlangen Sondersendungen die Ereignisse von damals nach. Für Dienstagabend ist ein Konzert auf dem Prager Wenzelsplatz geplant sowie eine Videoprojektion auf der Fassade des tschechischen Nationalmuseums, das 1968 unter Beschuss geraten war.

Angeblich hatten Besatzungssoldaten das Gebäude zunächst für den Sitz des Tschechoslowakischen Rundfunks gehalten, der noch im Sinne der damaligen Staatsführung rund um KP-Chef Alexander Dubček sendete. Diese hatte während des Prager Frühlings wirtschaftliche und politische Reformen eingeleitet und im Juni 1968 die Medienzensur abgeschafft.

Präsident Zeman schweigt

Vor dem richtigen Funkhaus in der Vinohradská-Straße wurden, wie jedes Jahr am 21. August, auch heuer wieder Kränze niedergelegt – "zum Gedenken an die, die bei seiner Verteidigung und der Verteidigung des Landes ihr Leben gelassen haben", erklärt der heutige Generaldirektor des Tschechischen Rundfunks, René Zavoral. Die Armee leistete damals keinen Widerstand. Zahlreiche Bürger aber errichteten Barrikaden und versuchten, die Besatzer von wichtigen Institutionen fernzuhalten. Insgesamt wurden dabei mehr als 130 Zivilisten getötet, viele davon beim Funkhaus, nur wenige Schritte vom Nationalmuseum entfernt.

Die Invasion erfolgte aus der Luft und auf dem Landweg, Panzer rollten durch die Prager Innenstadt.
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Für die Gedenkzeremonie hatten unter anderem der tschechische Premier Andrej Babiš sowie die Vorsitzenden beider Parlamentskammern Redebeiträge angekündigt. Letzterer wurde bei seiner Ansprache ausgebuht und von "Stasi-Leute raus!"-Rufen unterbrochen. Babiš wird vorgeworfen, einst mit dem kommunistischen Geheimdienst kooperiert zu haben.

Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman hingegen wollte – im Gegensatz zu seinem slowakischen Amtskollegen Andrej Kiska – gar keine Ansprache halten und hatte damit bereits im Vorfeld eine heftige Debatte losgetreten. Zeman, der als russlandfreundlich gilt und wiederholt die Aufhebung der wegen der Ukraine-Politik des Kreml verhängten EU-Sanktionen gegen Moskau gefordert hat, hätte sich bereits vor 50 Jahren zu Wort gemeldet, als es "dazu noch Mut gebraucht" habe, ließ sein Sprecher via Twitter wissen. Heute sehe der Präsident keinen Grund, die Invasion erneut zu kommentieren.

Zeman war Anfang der 1970er-Jahre wegen seiner kritischen Haltung zur Okkupation aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden. Der tschechische Politologe Jiří Pehe wies in einem Kommentar für die Tageszeitung "Právo" jedoch darauf hin, dass damals auch 500.000 andere Parteimitglieder die KP aus demselben Grund verlassen haben – oder verlassen mussten.

Besonders in Prag stießen die Invasionstruppen auf heftigen – meist passiven – Widerstand der Bevölkerung.
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Auch mehrere Politiker kritisierten Zeman scharf. Jiří Pospíšil, Chef der rechtsliberalen Partei Top 09, forderte ihn in einem offenen Brief auf, seine "Pflicht als Staatsoberhaupt nicht zu vernachlässigen". Zeman solle "in Würde der Ereignisse gedenken", die viele Menschenleben gefordert und Hunderttausende in die Emigration getrieben hätten. Petr Fiala, Vorsitzender der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), sprach von einer "merkwürdigen Entscheidung" des Präsidenten.

Für Kontroversen sorgte auch Vojtěch Filip, der Vorsitzende der tschechischen Kommunisten (KSČM). Die Partei hatte erst Mitte Juli bei der Vertrauensabstimmung im Parlament die Minderheitsregierung der liberal-populistischen Partei Ano von Premier Andrej Babiš und der Sozialdemokraten (ČSSD) unterstützt. Seither warnen vor allem Konservative vor einem wachsenden Einfluss der Kommunisten im Land. In einem Interview mit der britischen Zeitung "Guardian" hatte Filip nun insbesondere die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion wie Polen und Ungarn für die Invasion des Jahres 1968 verantwortlich gemacht. Diese hätten angesichts des Reformprozesses in der Tschechoslowakei Angst um die eigene Macht gehabt und deshalb die Idee der Okkupation vorangetrieben.

Tausende Prager strömten auf die Straßen.
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Breschnew, der Ukrainer

Mit Blick auf die Entscheidungsprozesse innerhalb der Sowjetunion wiederum kommen bei Filip die Russen besonders gut weg – im Gegensatz zu den Ukrainern: "Im sowjetischen Politbüro gab es einen einzigen richtigen Russen, und der stimmte gegen die Invasion", so Filip. Leonid Breschnew hingegen, der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, sei Ukrainer gewesen, "und auch der Großteil der Invasionsarmee war ukrainisch."

Der tschechische Historiker Petr Blažek sieht darin den Versuch, die Sowjetunion als authentische Föderation gleichberechtigter Staaten darzustellen: "Das ist natürlich Unsinn, die Sowjetunion war ein zentralistischer kommunistischer Staat", sagte Blažek dem Nachrichtenportal Idnes.cz. Die sowjetischen Einheiten, die in der Ukraine stationiert und an der Niederschlagung des Prager Frühlings beteiligt waren, hätten "nichts mit der heutigen Ukraine zu tun". Als "Unsinn" bezeichnete Filips Aussagen auch die ukrainische Botschaft in Prag. (Gerald Schubert, 21.8.2018)