Wir schreiben das Jahr 4,603 × 10^9. Zorg beginnt seine tägliche Morgenroutine mit einem Spaziergang um den Olympus Mons. Für Zorg ist der 16 Meilen hohe Vulkan keine Hürde – als allbekannter Tharsianer wird er in seiner Region für seine Schnelligkeit und Ausdauer bewundert. Zorg ist Bewohner des Mars. Heute ist ein besonderer Tag für Zorg. Während seines Morgenspaziergangs rollt ihm ein seltsames Objekt entgegen. Dieser weiß-graue Vierbeiner scheint Zorg sehr sonderbar. Er scheint per Funksignal zu agieren und all seine Organe bestehen aus Kabeln und Metallplatten. Zorg denkt sich nun: Ist das ein Lebewesen?

Wie lebt man auf dem Mars?

Um dies herauszufinden, muss "Leben" zunächst definiert werden. Doch schon hier treffen wir auf die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft. Das Gedankenspiel mit Zorg wurde konzipiert, um dieser Frage auf den Grund zu gehen und wurde bereits mit Kindern oft diskutiert. Studenten aus allen Himmelsrichtungen und Disziplinen haben sich letzte Woche in Alpbach versammelt  und sich Gedanken darüber gemacht, was eigentlich "Leben" sein soll und was nicht.

Wie soll man Leben definieren? Im Bild: Bakterien, die von einer weißen Blutzelle gefressen werden.
Foto: REUTERS

Wie leben die kleinsten Lebewesen der Erde?

Christine Moissl-Eichingers und Gerhard Kmineks Seminar über Mikrobiome fing eigentlich ganz harmlos an. Das Thema begegnet einem nicht unbedingt im neuesten Kaffeehaustratsch, jedoch sind diese unterschätzen Geschöpfe Grundbestandteil unseres Alltags und die kleinsten Lebewesen, die bisher von Wissenschaftern entdeckt wurden. Denn wer hätte gewusst, dass in unserem Darm eine ein Kilogramm schwere Masse an Mikroben haust und uns bei der Verdauung hilft? Viel ist noch nicht über unsere Kleinstgenossen bekannt, jedoch können sie sowohl als bereits bekanntes Bakterium, als mit dem Mensch verwandten Eukaryot oder als fabelähnliches Archaea auftreten. Wissenschafter streiten, ob nicht auch Viren dazugehören, jedoch werden diese per se nicht als Lebewesen erachtet. Ob nun als berüchtigtes E.Coli-Bakterium in der Darmflora, als wohltuendes Lactobacillus im Joghurt oder als abgefahrenes Vulcanisaeta in heißen Quellen – Mikrobiome sind sehr flexibel und können an jeder Ecke ein Zuhause für sich finden.

Die Suche nach Mikroben führte die Seminarteilnehmer in die menschliche Darmflora, ins Krankenhaus und schließlich sogar in das Weltall. Denn die Existenz von Mikroben beschränkt sich keinesfalls auf die Erde. Menschen tragen sie mit sich auf Raumschiffen, wo sie durch die Isolation einen gewissen Selektionsdruck ausgesetzt sind. Forscher haben bereits festgestellt, dass sich besonders überlebensstarke Mikroorganismen auch an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) an ihr Umfeld anpassen und eine Resistenz gegen veränderte und extreme Umweltbedingungen entwickeln.

Die Seminarteilnehmer durften im Laufe des Seminars schließlich auch selbst auf Mikrobensuche gehen: Mit Wattestäbchen und Petrischale gewappnet wurden Türgriffe, Handys, Mund und vieles weiter untersucht und eine beträchtliche Anzahl an Mikroben gefunden. Ein Abstrich der Lippen ergab beispielsweise etwa 9.000 Mikroben, während die zehnfache Anzahl, also ganze 90.000 Mikroben, auf einem einzigen Zungenabstrich enthalten waren.

Welche Formen wird Leben in Zukunft annehmen?

Während über Mikroben im Weltall diskutiert wurde, kam schnell die Frage auf, ob es auf anderen Planeten Mikroben, ja sogar andere Lebewesen gebe. Die Antwort auf diese Frage war gewiss keine vollständige, denn Leben kann verschiedenste Formen annehmen. Wer weiß, ob es nicht auch eine Art von Leben gibt, die uns nicht bekannt ist? Existiert vielleicht ein Leben anderswo, das mit unseren bestehenden wissenschaftlichen Mitteln noch nicht sichtbar gemacht oder gemessen werden kann? Bereits Erwin Schrödinger hat in seinem Werk "Was ist Leben?" herauszufinden versucht, aus was "Leben" im Grunde besteht und damit indirekt den Grundstein für die Etablierung der Molekularbiologie und die Erforschung von "unsichtbarem Leben" gelegt. Die Max-Plack-Gesellschaft hat sich auf diverse Kriterien geeinigt um "Leben" zu definieren. Biologisch gesehen ist "Leben" ein offenes System, das durch einen ständigen Energie- und Stofffluss reguliert wird. Zusätzlich ist das Wachstum sowie die Fortpflanzung ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Die Reproduktion ist essentiell, um die genetische Information – also das "Programm" – an zukünftige Generationen weiterzugeben.

Schnell nahm die Diskussion im Seminar ganz andere Formen an. Das Thema wurde auf den technologischen Fortschritt im Bereich künstlicher Intelligenz und Robotik gelenkt, der die klassischen Kriterien von Leben herausfordern könnte. Selbstreplizierende Roboter würden nach naturwissenschaftlicher Definition die oben genannten Bedingungen erfüllen – sind sie also in später Zukunft als Lebewesen einzuordnen? Oder würde ein Marsianer, also in unserem Beispiel Zorg, den Mars Rover als lebend bezeichnen?

Anfang hätten sich die Seminarteilnehmer sicherlich nicht gedacht, dass Mikroben einen zu solchen Diskussionen, ja sogar philosophischen Gedanken anregen können. Es ist noch unklar, wann und ob wir überhaupt jemals eine einheitliche und vollständige Definition für Leben und Lebewesen finden werden. Sicher ist jedoch, dass nach Alpbach das Feld der Mikroben noch unzählig viel Potenzial für Forschung und Diskussion auf der Erde und im Weltall sowohl für Naturwissenschafter, als auch vielleicht für Philosophen offenlässt. (Tina Emambakhsh, 28.8.2018)

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