Es ist eine verkorkste Angelegenheit, das Gedenken an den Prager Frühling und seine gewaltsame Niederschlagung: Eigentlich gibt es in Tschechien niemanden, der die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968 öffentlich lobt – und dennoch bringt der Jahrestag regelmäßig verkrampfte rhetorische Pirouetten und handfeste Auseinandersetzungen hervor.

Da ist zum einen die Sorge auf der rechten Seite des politischen Spektrums, man könnte mit der verbalen Verurteilung des Überfalls auf die Tschechoslowakei implizit den damaligen Reformern rund um KP-Chef Alexander Dubcek huldigen. In Festreden beeilen sich konservative Politiker deshalb meist, den Prager Frühling als Kampf zwischen zwei Flügeln der KP darzustellen, der letztlich nur die mangelnde Reformierbarkeit des Systems unter Beweis stellte.

Die jüngste Volte des kommunistischen Parteichefs Vojtech Filip wiederum, der hinter der sowjetisch gesteuerten "Operation Donau" vor allem Ukrainer sieht, darf man durchaus als aktuell motivierte Parteinahme für Moskau sehen – zumal die russische Annexion der Krim häufig mit den Ereignissen von 1968 verglichen wird.

Morgen, nach dem 50. Jahrestag, dürfen alle durchatmen. Vielleicht gelingt es nächstes Jahr ein bisschen besser, den Prager Frühling nicht politisch zu missbrauchen, sondern als das zu sehen, was er vor allem war: Ausdruck des aufkeimenden Wunsches, eine noch ungewisse Zukunft selbst zu gestalten – gegen alle Widrigkeiten. (Gerald Schubert, 20.8.2018)