Durch Agrarsubventionen sind aus Europa importierte Produkte künstlich billiger als das, was vor Ort in Afrika angebaut wird.

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Auch durch Bildung kann sich die Situation Afrikas verbessern. Im Bild: eine Demonstration für freien Hochschulzugang in Südafrika 2016.

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Die ÖVP-Europaabgeordnete Claudia Schmidt schreibt in einem Facebook-Posting, dass "Afrikaner nicht wie wir Europäer denken und arbeiten wollen" und "die afrikanische Kultur" nur für "Leid, Verfolgung, Unterdrückung und Perspektivenlosigkeit" sorge. Sie geht sogar noch weiter und behauptet, dass Entwicklungen in Afrika nichts mit den Aktivitäten westlicher Konzerne oder der Kolonialisierung zu tun haben, sondern lediglich ein "Resultat der afrikanischen Kultur" seien, die "für Gewaltbereitschaft und hohes Aggressionspotenzial" bekannt ist. Sie hat den Kommentar zwar mittlerweile gelöscht, aber dass das alles nur durch Zufall und Unachtsamkeit passiert sein soll, fällt einem schwer zu glauben.

Ihre Aussagen sind gefährlich, weil sie nicht nur unverhohlen rassistisch sind, sondern von einer Abgeordneten der stärksten Fraktion im Europäischen Parlament kommen. Schmidt gibt sich den Anstrich einer Expertin, aber unter ihrer konservativen Maske versteckt sich dasselbe rassistisch-kulturelle Überlegenheitsgefühl wie das der Kolonisatoren des 19. Jahrhunderts.

Pfadabhängigkeit: Auswirkungen des Kolonialismus

Schmidts Grundaussage ist: Afrika ist selbst an seiner Unterentwicklung schuld. Weder die Kolonialisierung damals noch die Ausbeutung durch westliche und chinesische Konzerne heute spielen eine relevante Rolle. Das ist falsch.

Die beiden Wirtschafts- und Politikwissenschafter Daron Acemoğlu und James A. Robinson haben in ihrem von einem halben Dutzend Wirtschaftsnobelpreisträgern empfohlenen Buch "Warum Nationen scheitern" ("Why Nations Fail") genau dargelegt, dass die Hauptursache für den wirtschaftlichen und politischen Erfolg oder Misserfolg von Staaten in der Stärke der politischen Institutionen liegt. Institutionen überdauern Weltkriege, Friedenszeiten, Despoten und Demokraten.

Ein Beispiel dafür ist die Bildungspolitik: Großbritannien hatte in seinen Kolonien ein dezentralisiertes Bildungssystem mit einem Fokus auf Schulautonomie und relativ geringen Kosten für Schüler. Frankreich hatte im Gegensatz dazu ein stark zentralisiertes System, das nur auf die Ausbildung lokaler Eliten fokussiert war. Diese Unterschiede bestehen bis heute: In ehemaligen britischen Kolonien ist der Prozentanteil der Schüler, die eine Grundschule besuchen, viel höher als in ehemaligen französischen Kolonien. Selbst innerhalb der ehemaligen französischen Kolonien in Westafrika ist es nach wie vor so, dass in Regionen, wo die französischen Kolonisatoren mehr in Bildung investiert haben, auch heute noch mehr Schulen existieren.

Joseph Conrad hat 1899 in der Erzählung "Herz der Finsternis" ("Heart of Darkness") die rohe Gewalt und die ausbeuterischen Strukturen des Kongo-Freistaates beschrieben, der als Privatbesitz von König Leopold II. von Belgien beherrscht wurde. Jeder Bewohner des Kongos musste eine gewisse Gold- und Elfenbeinquote abliefern, ansonsten wurden Arme oder Beine abgehackt. Ein Zustand, der selbst den anderen Kolonialmächten zu brutal war.

Der erste Premierminister des unabhängigen Kongos, Patrice Lumumba, hat diese unsagbare Unterdrückung und Ausbeutung durch die belgische Kolonialverwaltung 1960 gegenüber dem belgischen König Baudouin angesprochen. Ein Jahr später wurde er ermordet, angeordnet von den Regierungen Belgiens und den USA, welche die Kontrolle über die Rohstoffe behalten wollten. Bis heute sind die reichen Kupfer-, Kobalt- und Uranvorkommen im kongolesischen Katanga in der Hand europäischer, amerikanischer und chinesischer Konzerne.

Afrikanische Kultur?

Statt an die Pfadabhängigkeit seit der Kolonialzeit und die Verteilungsprobleme in rohstoffreichen Ländern zu denken, erwähnt Schmidt "die afrikanische Kultur". Wie diese genau aussieht, kann sie nicht beschreiben. Wenig verwunderlich, da zwischen Tanger und Kapstadt mehr als 2.000 verschiedene Sprachen gesprochen werden und die Kulturunterschiede zwischen dem Senegal, dem Kongo und Eritrea größer sind als zwischen allen EU-Staaten. Das Einzige, was Schmidt nennt, sind Gewaltbereitschaft und hohes Aggressionspotenzial.

Wenn man einen kurzen Blick auf eine Karte Afrikas wirft, dann sieht man schnell eines: Die meisten afrikanischen Staaten haben keine organisch gewachsenen, sondern von Kolonialherren auf dem Reißbrett entworfene Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen finden sich verschiedenste Ethnien, die weder Sprache noch Kultur teilen. In Europa zeigt der Untergang Jugoslawiens, dass nicht einmal eine gemeinsame Sprache vor Gewalt und Krieg schützt. Mehrere wissenschaftliche Studien belegen, dass die Häufigkeit, die Intensität und die Dauer von politischen Konflikten und Gewalt in Afrika direkt auf die ethnische Teilung durch künstliche Grenzen zurückführen ist.

Wirklicher Freihandel mit Afrika wäre eine Idee

Wenn es Schmidt wirklich um Afrika gehen würde, dann könnte sie in Brüssel viel tun. Fast jeder dritte Euro des EU-Budgets fließt in Landwirtschaftsförderungen – knapp 375 von 1.279 Milliarden Euro. In den meisten afrikanischen Ländern ist die Landwirtschaft der größte Arbeitgeber, in Eritrea beispielsweise für 85 Prozent der Bevölkerung. Durch die Agrarsubventionen sind aus Europa importierte Produkte künstlich billiger als das, was vor Ort angebaut wird. Subventionierte Tiefkühlhühner aus den Niederlanden, in Ungarn abgefüllter Ananassaft und verflüssigtes Milchpulver aus der EU kosten – weil hochsubventioniert – weniger als lokal hergestellte Produkte.

Bei diesen Zuständen brauchen wir uns nicht zu wundern, dass viele Menschen aus purer Verzweiflung den Weg nach Europa wählen, weil sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Die Europäische Kommission hat dies bereits erkannt und im November 2017 erstmals einen Zusammenhang zwischen Agrarsubventionen und Migrationsbewegungen aus Afrika zugegeben. In ihrem Bericht über die Zukunft der Landwirtschaft gibt es ein eigenes Kapitel über Migration, das mit den folgenden Worten beginnt: "Die zukünftige GAP muss eine größere Rolle dabei spielen, Migrationsursachen zu bekämpfen." Hier müssen wir handeln.

Bildung als Alternative

Ein weiterer Aspekt ist Bildung – die meisten afrikanischen Staaten haben nicht die Ressourcen, um ein den Ansprüchen von Arbeitgebern entsprechendes Bildungssystem zu organisieren. Veraltete Lehrpläne, schlecht bezahlte Lehrer und mangelnde Infrastruktur führen dazu, dass die Jobs – die es auch in Afrika zuhauf gibt – von Chinesen oder Europäern gemacht werden.

Ein Beispiel: Das gesamte Bildungsbudget von Liberia, einem Land mit vier Millionen Menschen, halb so groß wie Österreich, liegt bei 42 Millionen US-Dollar. Davon sind 38 Millionen für Lehrergehälter reserviert, also bleibt nur ein US-Dollar pro Person und Jahr übrig. Dass das nicht funktionieren kann, ist klar. Selbst die Baggerfahrer in Liberia kommen aus Indonesien. Wenn sich Schmidt in ihrer Zeit als Berichterstatterin des EU-Parlaments für den Europäischen Entwicklungsfonds für Afrika um Lösungen dafür bemüht hätte, wären wir schon weiter. So bleibt nur zu hoffen, dass sich bei der kommenden Europawahl nicht wieder nur Berufspolitiker ohne realen Einblick aufstellen lassen. (Stefan Windberger, 21.8.2018)