Viele Menschen träumen in Mali von einem besseren Leben im Ausland. Wer geht, schickt Geld nach Hause. Mehr als eine Milliarde Dollar waren es 2017.

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Die Pizzeria vom Sissoko Moussa liegt versteckt hinter dem Kulturpalast am Niger-Fluss. Der ist in Malis Hauptstadt Bamako Treffpunkt für Konzerte, Ausstellungen und politische Kundgebungen. Dort brauchte es "dringend ein Restaurant, das bei Bedarf das Catering übernehmen kann", sagt Moussa. Er macht mit beiden Händen eine ausladende Geste und strahlt.

Am frühen Nachmittag ist seine Paillotte, eine riesige Hütte mit Strohdach, in der er kocht und Gäste bewirtet, leer. Zwei Mitarbeiter spülen in der kleinen Küche das Geschirr. Moussa hat französische Schlager aufgelegt, ein Mitbringsel aus Paris, wo der 43-Jährige 13 Jahre lebte und über das er heute sagt: "Ich wollte nie dortbleiben." Dennoch wird er wieder hinfliegen, sobald er Geld gespart hat. "Tagelang durchsuche ich Geschäfte nach gutem Käse für meine Pizza. Uns fehlt es an Qualität, egal ob bei Maurern, Mechanikern oder eben beim Essen."

Und natürlich vermisse er seine Frau und die kleinen Töchter, die ein und drei Jahre alt sind. "Wenn das Geschäft besser läuft, werden sie nachkommen. Wir bauen uns in Mali etwas auf."

2002 ging Moussa nach Paris. "Ohne Abitur konnte ich nur bei meinen Eltern auf dem Feld arbeiten", sagt er über die mangelnden Perspektiven, die sich für die Masse der Jugendlichen bis heute nicht geändert haben. 2016 schätzte die Internationale Organisation für Arbeit (ILO), dass die Jugendarbeitslosigkeit bei 30,5 Prozent liegt. In einer Studie der Afrikanischen Entwicklungsbank von 2012 ist selbst im afrikanischen Vergleich die Jobsituation in Mali für die Jungen besonders prekär. Nur 5,4 Prozent hatten Jobs mit geregeltem Gehalt. Dagegen halfen 53 Prozent ihren Eltern.

Das Geld der Auswanderer

Sissako Moussa hat aber nicht nur das angetrieben. Seine Cousins waren längst nach Europa gegangen und boten Hilfe bei Job- und Wohnungssuche an. Er hatte ein Netzwerk, bevor er Frankreich erreichte. Die Unterstützung ist typisch für seine Heimatregion Kayes, die an Mauretanien und den Senegal grenzt und die Gegend ist, aus der Malis Migranten mehrheitlich stammen. Nach Einschätzung der Weltbank haben sie vergangenes Jahr 1,04 Milliarden US-Dollar an ihre Familien zurücküberwiesen. Damit sind ganze Dörfer errichtet worden, Krankenstationen und Schulen. "Die, die es geschafft haben, werden als Helden gefeiert", erklärt Mohamed Keita, der Gründer und Geschäftsführer von Impact Hub ist.

Das Tech-Hub Keitas liegt mitten in Bamakos Wirtschaftsviertel ACI2000. In dem ehemaligen Ladengeschäft sitzen zehn junge Malier und tippen auf Smartphones und Laptop-Tastaturen, manchmal unterhalten sie sich leise. Seit 2015 hat es rund 50 Unternehmen auf dem Weg von der ersten Idee bis zur Geschäftsgründung begleitet. Keita erlebt häufig, dass es Gründern neben dem Kapital vor allem an rechtlichem Wissen, etwa wie man eine Firma gründen kann, fehlt. Seit Eröffnung des Tech-Hubs seien gut 100 dauerhafte Jobs geschaffen worden. "Das ist unsere Antwort auf fehlende Stellen", sagt der 36-Jährige, der die Jugendarbeitslosigkeit als eine Hauptherausforderung in seinem Heimatland sieht.

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Und die wird täglich größer. Heute sind mehr als 67 Prozent der rund 18 Millionen Einwohner jünger als 25 Jahre alt. Malis Bevölkerung wächst jährlich um drei Prozent und hat sich in den vergangenen 25 Jahren knapp verdoppelt. Doch sind weder Straßen noch Krankenhäuser, Schulen, der Zugang zu Trinkwasser oder Strom in diesem Tempo mitgewachsen.

Die meisten Ideen für neue Unternehmen sind für die Landwirtschaft gedacht und beinhalten die Verarbeitung von Obst und Gemüse sowie Fisch- und Geflügel. Damit spiegeln sie Malis Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt – 2016 lag es bei 14,03 Milliarden US-Dollar – wird zu knapp 40 Prozent in der Landwirtschaft erwirtschaftet. In der Landwirtschaft und auf dem Land würden die Chancen liegen, sagt Mohamed Keita. Anders als etwa in der Hauptstadt, die sich längst zu einem Moloch entwickelt hat, gebe es dort noch Anbauflächen zu kaufen. Neben Baumwolle und Gold, Malis wichtigsten Exportgütern, würden sich Cashew-Nüsse und Sheabutter zur Ausfuhr eignen.

Mali ist knapp 16 mal so groß wie Österreich.
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Mali ist jedoch ein Sahel-Staat, was vielerorts ausgefeilte und teure Bewässerungssysteme notwendig macht. Aufgrund des mangelnden Regens herrscht in der Region aktuell die schwerste Ernährungskrise der vergangenen fünf Jahre. Klimatische Entwicklungen können Jungunternehmer schnell zurückwerfen.

Zurückhaltung bei Landwirtschaft

Mamadou Sinsy Coulibaly, Malis Arbeitgeberpräsident, ist zurückhaltend, was den Sektor betrifft. "Die Art der Landwirtschaft, die wir heute betreiben, ernährt zwei oder drei Familien. Aber sie entwickelt kein Land", sagt er. Das liege an den enormen Kosten. Er beziffert die Schaffung eines Arbeitsplatzes mit umgerechnet mindestens 38.000 Euro. "Die Landwirtschaft müsste sehr produktiv sein. Und das ist sie bis heute nicht." Um das für junge Menschen interessant zu machen, müsste außerdem die notwendige Infrastruktur von Internetabdeckung bis hin zu Jugendzentren geschaffen werden.

Arbeitgeberpräsident Coulibaly, dessen Büro im vierten Stock liegt und von dem aus er halb Bamako überblicken kann, sieht die Politik in der Verantwortung. Sie sei nicht dazu da, Arbeitsplätze zu schaffen, aber zuständig für ein unternehmerfreundliches Umfeld und für den Schutz von Betrieben: "Wir brauchen gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung, Visionen, Wettbewerbsfähigkeit bei staatlichen Unternehmen. Niemand darf ausgeschlossen werden." Das fordert Coulibaly, der der Unternehmensgruppe Kledu vorsteht, auch von Europa.

"Es muss verstehen, dass die eine Region nicht ohne die andere kann. Egal wo auf der Welt: Sobald jemand ausgeschlossen wird, entstehen Probleme." Dann sei etwa die Sicherheit in Gefahr. "Deshalb brauchen wir eine Wirtschaft der Teilhabe" – also regeren Handel und Investitionen etwa.

Zurückkehren und aufbauen

Am Ufer des Nigers klingelt das Handy von Sissoko Moussa. Ein Kunde bestellt drei Cheeseburger, die ausgeliefert werden sollen. Der Service ist in Bamako noch recht neu. Moussa kennt ihn längst aus seiner Zeit in Frankreich. Er geht in die Küche, um die Bestellung vorzubereiten. Als er 15 Minuten später wiederkommt, entschuldigt er sich: "Ich möchte sicher sein, dass alles gut läuft." Daran würde es nämlich oft hapern. "Europa würde uns schon helfen, wenn dort Handwerker ausgebildet werden würden, Maurer, Zimmerleute, Köche. Wieder in Mali, können sie sich etwas aufbauen." Der Koch ist überzeugt, dass viele Migranten irgendwann zurückgehen wollen. "Bei diesem Wachstum ist das Potenzial hier und nicht in Europa. Man muss es nur nutzen." (Katrin Gänsler aus Bamako, 21.8.2018)