Nun beginnen die Aufräumarbeiten. Am dringendsten werden Trinkwasser, Nahrungsmittel und Medikamente gebraucht.

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Die ökologisch sensible Zone der Westghats, das Gebirge im Süden Indiens, wurde nicht vor Eingriffen geschützt.

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Jetzt, wo der Regen nachlässt, wird das wahre Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Die Jahrhundertflut im indischen Bundesstaat Kerala hat mindestens 400 Menschen das Leben gekostet, mehr als eine Million Menschen haben ihr Zuhause verloren und sind derzeit in Notunterkünften untergebracht. Die Geretteten brauchen Nahrungsmittel und müssen rechtzeitig medizinisch versorgt werden, um zu verhindern, dass sich Krankheiten ausbreiten. Innenminister Rajnath Singh sagte, es handele sich um die schwerste Flut in Indien seit der britischen Kolonialzeit 1924.

Hilfe aus Saudi-Arabien, Oman und Katar

Die Regierung in Neu-Delhi hat rund 60 Millionen Euro Hilfe zugesagt – zu wenig, wie die Regierung von Kerala meint, die etwa das Vierfache verlangt hat. Doch auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben massive Hilfen zugesagt. Saudi-Arabien und der Oman wollen sich den Maßnahmen anschließen. Kerala kann auf eine jahrhundertelange Tradition des Handels mit den Golfstaaten zurückblicken und ist dort mit einer großen Diaspora vertreten. Von den etwa sieben bis acht Millionen Indern, die am Golf leben, stammt etwa ein Drittel aus Kerala. Sie tragen erheblich zum Wohlstand des indischen Bundesstaats bei.

Das südliche Kerala erlebt in normalen Jahren einen Großteil des Regens während des Nord-Ost-Monsuns von Oktober bis Dezember. Im Norden von Kerala ist der Süd-West-Monsun von Juni bis September ausgeprägter. Dieses Jahr jedoch gingen im ganzen Bundesstaat seit Juni heftige Regenfälle nieder: 37,5 Prozent mehr als üblich. Von 39 Staudämmen in der Region mussten aufgrund der Wassermassen 35 geöffnet werden, was zu weiteren massiven Überschwemmungen führte.

Ökologisch sensible Zone

Zwar passen die massiven Regenfälle gut in das Erklärungsmuster, wonach durch den Klimawandel Wetterextreme weltweit zunehmen – Umweltschützer in Indien weisen aber auch auf eine Reihe hausgemachter Problemen hin. "Kerala erlebt derzeit eine von Menschen verursachte Katastrophe", sagt Vadayil Sankaran Vijayan, Umweltwissenschafter und Mitglied eines Expertenkomitees zu den Westghats, dem Gebirge, das auch durch Kerala verläuft.

Laut Vijayan hat ein Team von Experten der Regierung in Kerala bereits 2011 eine Studie vorgelegt, in der gefordert wird, dass viele der Regionen, die jetzt am heftigsten von der Flut getroffen wurden, zu "ökologisch sensiblen Zonen" erklärt werden, in denen der Abbau von Mineralien sowie Steinbruch verboten werden sollte. In diesen Regionen sollte auch die weitere Abholzung von Wäldern und den ungehinderten Bauboom gestoppt werden.

Wirtschaftlichkeit ging vor Naturschutz

Die Westghats waren ursprünglich weitgehend von Regenwald bewachsen. Sie sind einer der wichtigsten Biodiversität-Hotspots weltweit. Das bedeutet, dass hier eine Großzahl von Pflanzen und Tierarten lebt, die besonders bedroht sind. 2012 wurden 39 Schutzgebiete in den Westghats in die Liste des Unesco-Weltnaturerbes aufgenommen.

Die Experten hatten auch empfohlen, 140.000 Quadratkilometer der Westghats nach der jeweiligen ökologischen Schutzbedürftigkeit in drei Zonen aufzuteilen, die nur beschränkt wirtschaftlich genutzt werden können. Doch die Regierung von Kerala verwarf den Bericht als "unpraktikabel".

"Die Regionen, in denen es jetzt zu den heftigsten Erdrutschen gekommen ist, waren alles ökologisch sensible Gebiete", sagt V. Madhusoodhnan, Gründer des World Institute of Sustainable Energy in Pune und Autor eines Buches über Keralas Umweltgeschichte. "Die Städte, die total überflutet wurden, sind diejenigen, die auf landwirtschaftlichen Nutzflächen gebaut wurden, für die zuvor Land abgetragen wurde und die jetzt normale Wasserstraßen blockieren."

Noch dominiert derzeit praktische Hilfe für die Opfer und der notwendige Wiederaufbau die Diskussion in Kerala. Doch wenn die schlimmsten Schäden beseitigt sind, wird es Zeit zum Nachdenken über die Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung sein. (Britta Petersen aus Neu-Delhi, 21.8.2018)