Farbe, Form und Größe dieses "Nurdachhauses" in Island lassen Assoziationen mit einem Gartenzwerg zu, spießig ist der Urlaub im Tiny House aber nicht.

Auf 1.000 Meter Seehöhe mit "unverbaubarem Fernblick" auf die Kärntner Nockberge kann man in vier Tiny Houses wie diesem urlauben.

Foto: TAMARA FRISCH PHOTOGRAPHHY

Die Tiny Houses der Artlodge haben eine große Glasfront, ...

... im Bett ist's aber kuschelig.

Tiny heißt nicht, dass man auf Komfort verzichten muss.

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Hanglage

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Wer im Tiny House sitzt, sollte nicht mit Steinen auf Kleinhäusler werfen! Wenn ich mich recht erinnere, galt es bis vor kurzem als spießig, in seinem Schrebergarten zu sitzen, eine Kabane zu kaufen oder in einem Wohnwagen zu weilen. Das soll nun alles anders sein? Die Bobos von der Wieden bis nach Washington sprechen plötzlich von bewusster Reduktion und Downsizing, nur, weil winziges Wohnen einen englischen Namen hat.

Die Tiny-House-Bewegung – spätestens beim Wort "Bewegung" sollten alle Alarmglocken schrillen, siehe der rasante Aufstieg und Niedergang des BZÖ – ist letztlich Ausdruck eines Missverhältnisses: Obwohl demografisch gesehen die Anzahl der in einem Haushalt zusammenlebenden Personen in vielen Industrienationen sank, nahm in einigen dieser Ländern – allen voran in den USA – die Größe der neuerrichteten Einfamilienhäuser weiter zu. Das fanden Leute wie Sarah Susanka, eine aus England stammende und in den USA lebende Architektin, maßlos. Ende der 1990er-Jahre begannen sie daher, Konzepte für sehr kleine Häuser zu entwickeln, und behaupteten, ohne die Präsidentschaft des Immobilientycoons Donald Trump vorauszusehen, schon da mals: "Bigger ist nicht immer better."

Kleine Häuser vom Kaffeeröster

Tiny Houses sind also nichts anderes als zum Gesundschrumpfen verurteilte Kleinstfamilienhäuser. Der Hype um den – meist temporären – Aufenthalt in einer Schuhschachtel erklärt sich durch einen anderen Umstand: In Deutschland sind Gebäude mit weniger als 50 Quadratmeter von der Ausstellung von Energieausweisen ausgenommen. In Österreich ist die rechtliche Situation von Tiny Houses – wie könnte es anders sein – noch nicht ganz klar. Man hört aber vonseiten mehrerer Hersteller, dass die Aufstellung sowohl auf gewidmetem Bauland als auch auf Grünland von den Gemeinden eher genehmigt als abgelehnt wird. Wie ließe es sich sonst erklären, dass auch der Kaffeeröster Tchibo vor kurzem auf diesen Zug aufgesprungen ist und nun rund 20 Quadratmeter große Tiny Houses für zwei Personen um 39.999 Euro in der Basisversion verklopft?

Doch wie unterscheiden sich Tiny Houses eigentlich von einer russischen Datscha oder von einem Wohnwagen? Gerade von Letzterem vielleicht gar nicht so sehr, wie man glaubt, und das ist zugleich ihr größter Vorteil. Wenn die Hersteller nicht ohnehin Räder und eine Anhängerkupplung an das Häuschen montieren, kann es zumindest auf einen Tieflader gehoben und – wie seit Jahrzehnten in den USA üblich – problemlos von einem Standort zum anderen kutschiert werden. Da ist es doch erstaunlich, dass der Trend zum verschickbaren Eigenheim erst mit einiger Verspätung in Österreich, Land der Biwakschachteln, ankommt. Erst seit gut fünf Jahren gibt es die ersten heimischen Hersteller. Und erst seit kurzem finden sich unter den Abnehmern auch Vermieter, die Urlaub im Tiny House anbieten. Also haben wir uns eines angeschaut, meine Freundin, das Kind und ich, ein Wochenende lang in Kärnten. Weil sehr groß sind wir ja nicht, alle drei zusammen.

Ruhiges Wochenende

Beim Betreten des hölzernen Containers im Kärntner Verditz klopfen nicht wir an die Tür, sondern der Hagel trommelt aufs Flachdach. Eine gute Gelegenheit, um einen Eindruck von der akustischen Beschaffenheit der schwarzen Wohnkiste zu bekommen: Werden wir wenig später das Schnarchen aus einem der drei anderen Häuschen, die hier in über 1.000 Meter Seehöhe aufgestellt wurden, hören? Eher nicht, denn selbst der Hagel klingt nur wie der dumpfe Soundtrack zu einem ruhigen Wochenende – die Kiste scheint gut isoliert zu sein.

Was hinter der nahezu raumbreiten Glasfront auf 23 m² Platz findet, ist durchaus beachtlich: ein komfortables Doppelbett ebenso wie ein kleiner Tisch neben der völlig ausreichenden Kochnische. Durch eine auf alt getrimmte Holztüre, die wohl Anleihe bei der Architektur eines edlen Alm-Châlets nimmt, betritt man einen weiteren Raum: das fesche Badezimmer. Aus dem Duschkopf tröpfelt es dort nicht wie aus einem abgeknickten Gartenschlauch, sondern da ist richtig Druck dahinter. Und zum Glück kommen bei der Toilette keinerlei Assoziationen zum Campingklo im Caravan auf. Derweil hat der Hagel aufgehört, einen auf Beatbox zu machen, die Lichter auf der Terrasse vor dem verglasten Container sind erloschen, und wir legen uns ins Bett.

Aufwachen im Bilderbuch

Um zwei Uhr früh dann ein Knall. "Schatz, hast du das auch gehört?" – "Klar, das war mein Kopf", sagt die Freundin. Das Downsizing hat am oberen Ende des Doppelbetts ein kleines Opfer gefordert. Für Nachtkästchen ist dort einfach zu wenig Platz, also wurde das Bett in einen Wandverbau mit Ablagen für ein Buch oder das Handy gezwängt. Das sieht ein wenig aus wie früher die Schrankbetten im Gemeindebau, nur hübscher. Das Kind hat von der Kollision des mütterlichen Kopfes mit dem Edelholz nichts mitbekommen – es schläft seelenruhig weiter auf einer Matratze zu unseren Füßen. Konzipiert ist dieses Tiny House nur für zwei, worauf uns die Eigentümerin auch ausdrücklich hingewiesen hat. Doch wir bewussten Reduktionisten haben uns gedacht: Was für eine Verschwendung von Wohnraum, auf der freien Bodenfläche könnte man noch die halbe Schulklasse des Kindes einquartieren.

In der Früh wachen wir in einem Bilderbuch auf, weil wir es wie die Niederländer halten: die Vorhänge bleiben offen. Durch die frisch geputzten Fenster erscheinen die Nockberge zum Greifen nahe, und als wir auf die Terrasse treten, können wir es auch hören: Über allen Gipfeln ist Ruh'. Nur das gleichförmige Geräusch grasender Schafe lässt darauf schließen, dass da noch etwas ist außer uns. Und da ist tatsächlich noch etwas: ein kleines Hotel direkt daneben, das das karge Leben in den vier Kartausen ein wenig verfälscht. In der "Artlodge" wartet ein üppiges Frühstücksbuffet, jeden Abend ein liebevoll vom Patron zubereitetes Menü und tagsüber Annehmlichkeiten wie ein Naturwasserpool oder Massagen. Die Verpflegung ist für die Bewohner der Tiny Houses im Objektpreis von 99 Euro zwar nicht inkludiert, die gesamte Infrastruktur des Hotels kann aber mitbenutzt werden.

Völlig autark

Warum sich die ehemaligen Werber Katrin und Dirk Liesenfeld vor gut einem Jahr als eine der Ersten in Österreich dazu entschlossen haben, Urlaub im Tiny House anzubieten? Die Kabanen sprechen andere Gäste an als die mit modernen Designklassikern ausgestatteten Hotelzimmer, und wer will, kann dort völlig autark leben. "Wir hatten schon eine Frau mit Baby zu Gast, die holte sich den Schlüssel ab und brachte ihn uns am Ende wieder zurück. In den drei Wochen dazwischen haben wir sie nie zu Gesicht bekommen", erzählt Katrin Liesenfeld.

Unter den noch nicht sehr zahlreichen heimischen Herstellern von Tiny Houses haben sich die Liesenfelds bewusst für ein kleines Start-up aus Graz entschieden. Nach nur fünf Stunden sind die vier Häuschen, die mit dem Sattelschlepper kamen, auf den Schraubfundamenten gestanden. Doch nicht alles lief dabei so, wie man es sich bei einem architektonischen Fertigprodukt vorstellt. Liesenfeld: "Es gab mehrere Zulieferer, die ihre Arbeit nicht aufeinander abgestimmt haben, zum Teil traten Baumängel auf." Auch bei einem Pauschalpreis bleibt es nur selten, weil verbesserte Ausstattung und persönliche Gestaltungswünsche rasch die Verdopplung des Basispreises nach sich ziehen können.

Horizont erweitern

Nachdem wir uns wieder ins Kabäuschen zurückgezogen haben, fragt das Kind beim Uno-Spielen: "Was sind eigentlich Spießer?" – "Das genaue Gegenteil unserer Gastgeber." Das genügt ihm nicht als Erklärung, also noch ein Versuch: "Spießbürger sind Menschen, die eine ausgeprägte Abneigung gegenüber jeder Veränderung in der gewohnten Lebensumgebung zeigen." Klingt zu geschwollen für ihn, also sage ich: "Spießer machen Urlaub in Häusern, die oft größer sind als ihr geistiger Horizont." (Sascha Aumüller, RONDO, 23.8.2018)

Die Reise erfolgte teilweise auf Einladung der Artlodge: www.artlodge.at

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