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Venezuelas Währung verliert rasant an Wert: Für viele taugt der Bolívar nur noch für den Mist.

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Der weltbekannte britische Ökonom John Maynard Keynes machte Anfang der 1920er-Jahre eine interessante Beobachtung. Viele Gasthausbesucher in der Weimarer Republik bestellten zwei Krüge Bier auf einmal. Der Grund laut Keynes: Das Bier wurde langsamer warm, als die Preise dafür anstiegen. Bei Teuerungsraten von 20 Prozent am Tag war das Bestellverhalten eine logische Reaktion.

Solche witzigen Anekdoten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hyperinflationskrisen wirtschaftlich und sozial immensen Schaden anrichten und betroffene Länder in eine tiefe Misere stürzen können. Gut beobachten lässt sich das aktuell am Beispiel Venezuelas. Das südamerikanische Land erlebt gerade eine Periode extremer Preissteigerungen.

Keine offiziellen Zahlen

Die Entwicklung ist derart chaotisch, dass es kaum messbar ist, wie sehr die Preise steigen. Die Nationalbank in Caracas veröffentlicht keine Zahlen mehr. Der US-Ökonom und Inflationsexperte Steve Hanke schätzt die jährliche Inflationsrate in Venezuela auf 61.400 Prozent. Laut Internationalem Währungsfonds könnte die Teuerungsrate heuer sogar bei einer Million Prozent zu liegen kommen.

Sicher ist, dass die venezolanische Landeswährung Bolívar völlig wertlos geworden ist. Die Regierung des autoritären Staatschefs Nicolás Maduro versucht seit dieser Woche mit einer Währungsreform das Ruder herumzureißen, der allerdings Experten wenig Aussicht auf Erfolg zuschreiben. Bei den Geldscheinen werden fünf Nullen gestrichen, aus 100.000 alten Bolívar wird ein neuer.

Die Währung wird zudem an die Kryptowährung Petro gekoppelt. Damit hofft die Regierung, den Wertverfall des Bolívar stoppen zu können. Petro ist wie Bitcoin eine Kryptowährung, bei der, so behauptet Staatschef Maduro, nur eine begrenzte Menge für den digitalen Handel zur Verfügung gestellt wird. Das soll das Vertrauen von Investoren stärken.

Ungarn führt im Inflationsranking

Aber wie entsteht Hyperinflation, und wie lautet die richtige Strategie, um den rasanten Preisanstieg zu stoppen? Der Ökonom Hanke, der an der Johns Hopkins University forscht, hat in einer Studie sämtliche Hyperinflationskrisen analysiert. Als solche definiert er Perioden, in denen die Preissteigerungen mehr als 50 Prozent im Monat erreichten. Insgesamt konnte er bis heute 57 Hyperinflationskrisen identifizieren. Die dramatischste betraf Ungarn zwischen August 1945 und Juli 1946.

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Protestaktion gegen die Politik von Venezuelas Staatschef Maduro.
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Damals stiegen die Preise um 207 Prozent am Tag, der Preis für einen Laib Brot verdoppelte sich in 15 Stunden. Auf Platz zwei folgt Simbabwe mit einer Inflationsrate von 98 Prozent zwischen 2007 und 2008, auf Platz drei Jugoslawien in den frühen 1990ern. Auch die Weimarer Republik und die junge Republik Österreich nach dem Ersten Weltkrieg kommen in diesem Ranking vor.

Kriege und Krisen

Laut Hanke gibt es drei Auslöser für eine Hyperinflation: Kriege, Regimewechsel oder ein wirtschaftlicher und sozialer Kollaps gepaart mit Misswirtschaft.

Venezuela fällt ohne Zweifel in die letzte Kategorie. Das sozialistisch regierte Land befindet sich im fünften Jahr einer Wirtschaftskrise. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte allein heuer um 15 bis 20 Prozent sinken. Venezuela gilt als Land mit den höchsten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt, der Staat exportiert kaum etwas anderes.

Doch die Ölförderung ist in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen. Staatschef Maduro hat ausländische Erdölkonzerne mit Zwangsverstaatlichungen verschreckt. Die Haupteinnahmequelle des Staates brach ein. Das Regime hat diese Lücke mit der Notenpresse zu schließen versucht: Der Staat bezahlte seine Angestellten und finanzierte Sozialleistungen für Haushalte, nahm also hohe Defizite in Kauf. Der Versuch, damit die Wirtschaft zu stabilisieren, ging gehörig schief.

Mit der Vertrauenskrise kommt die Hyperinflation

Die Folge der Strategie war, dass die Nachfrage nach Waren des täglichen Bedarfs konstant blieb. Die schwächelnde Industrie und rückständige Landwirtschaft kamen mit der Produktion nicht nach, das Angebot wurde knapper, Preise stiegen.

Um den Exporteuren zu helfen, wertete Venezuela die Währung ab, was aber importierte Waren noch verteuerte. Damit aus dieser Ausgangslage eine Hyperinflation wird, "muss aber stets noch eine Vertrauenskrise dazukommen", sagt Josef Baumgartner vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. Erst wenn die Bevölkerung dem Wert der Währung nicht mehr vertraut, versucht jeder das Geld so schnell wie möglich loszuwerden. Die Nachfrage steigt dann, im Grunde egal wonach, nur werthaltig soll es sein. Die Preise für Waren explodieren – in Venezuela blühte der Schwarzhandel mit Dollar auf.

In der Ersten Republik Österreich war die Entwicklung ähnlich, nur war die Krise hier so wie in der Weimarer Republik eine Spätfolge des Weltkriegs. Der österreichische Staat hat nach 1918, um soziale Konflikte zu vermeiden, die Notenbank damit beauftragt, exzessiv Geld zu drucken. Damit wurden schwächelnde Industriebetriebe und das Gewerbe gestützt. Die Regierung erhöhte zudem ihre Ausgaben und Defizite. Das Vertrauen in die alte Krone schwand. Nicht Dollar, sondern Zigaretten wurden damals zu einer Art Reservewährung, so Baumgartner.

Nullen zu streichen ist nicht genug

Hyperinflationsepisoden, darin sind sich Ökonomen einig, lassen sich nicht allein dadurch beenden, dass eine alte Währung gegen eine neue getauscht wird. "Nur fünf Nullen zu streichen, so wie das Venezuela tut, ohne die wirtschaftlichen Grundlagen zu ändern, bringt nichts", sagt Baumgartner.

Österreich konnte die Hyperinflation nur mit einem Sparkurs und einem Kredit des Völkerbunds beenden, gepaart wurde das mit einer Währungsreform. Die Weimarer Republik gelang das Kunststück mit einer geschickten Währungsreform, ebenfalls gepaart mit Einsparungen. Diese Einschnitte ließen die Arbeitslosigkeit zumindest kurzzeitig stark steigen. (András Szigetvari, 22.8.2018)