"Diversität" ist eine soziale Tatsache – die Gesellschaften, in denen wir heute leben, sind tatsächlich vielfältig. Das betonen aufmerksam Beobachtende zwar seit langem. Es wird aber ebenso lauthals bestritten.

Aktuell beschreiben viel zu viele die weltweite Migration als "Flut" oder "Welle" – als wäre es eine vorübergehende Gefahr für homogene Verhältnisse und nicht schon lange globale Tatsache, die Nordeuropa nur verzögert erreicht. Andere ereifern sich ob der Sichtbarkeit unterschiedlicher Religionen im Straßenbild – als wären der Islam oder auch das nicht versteckt gelebte Judentum in Europa ganz neu, gänzlich fremd und zwingend überfordernd.

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Desgleichen wird der Schutz der Liebe zweier Männer oder Frauen durch das Recht, die Ehe zu schließen, also nicht nur dezent versteckt zu leben, als "Angriff auf unsere Werte" mit neuer Verve bekämpft – als wäre das kein Bekenntnis zu einer eher konventionellen Zweierbeziehung, die seit langem gelebt wird und sonst als so wertvoll gilt.

Und wir hängen von der Kindererziehung über die Arbeitswelt bis zum Umgang mit dem Altern nach wie vor an nicht nur langweilig stereotypen, sondern an sexistisch ungleichen Vorstellungen, was ein "echter Mann" und was eine "wunderbare Frau" ausmacht und damit auch zu tun oder zu lassen hat, als gäbe es nicht zahllose Lebensentwürfe in aller Unterschiedlichkeit, weit jenseits des Geschlechts. Dazu kommen Idealnormen des Körpers, die heute Algorithmen in Versicherungsprämien und auch in Verhaltensgebote übersetzen können, was wir dann sogar selbst per App regulieren, in einer Illusion von Freiheit, die zur Bioherrschaft geworden ist.

Tatsache ist also: Wir Menschen sind sehr verschieden. Und "unsere Werte" besagen, dass wir alle das möglichst selbstbestimmt leben können. Das müssen wir verteidigen. Daher müssen wir die Herausforderungen, die mit sozialer Diversität einhergehen, klug annehmen.

Gesellschaftliche Vielfalt gestalten

Recht eignet sich dazu. Es ist das Mittel, um gesellschaftliche Vielfalt demokratisch zu gestalten. Dabei muss es – das versprechen heute nationale Verfassungen ebenso wie internationale Menschenrechtspakte – allen Menschen in Achtung ihrer Würde gleiche Freiheit ermöglichen. Und wo Mehrheiten im populistischen Überschwang nur eigene Interessen verfolgen, sorgen – jedenfalls in funktionierenden Rechtsstaaten – Gerichte dafür, dass niemand unter die Räder kommt.

Konkret: Wir wollen unsere je eigene Vorstellung von einem gelingenden Leben möglichst konfliktfrei verwirklichen, in gleicher Freiheit auch der je anderen. Wer, wie sehr viele Menschen in Europa, das bislang schon durfte und konnte, möchte es nicht mehr missen, und wer daran oft mit Gewalt gehindert worden ist, möchte an diesem aufgeklärten Humanismus teilhaben. Aber einige Weichen, die ein friedliches Miteinander in dieser selbstgewählten und geschätzten Vielfalt gewährleisten, sind in Europa nicht sehr gut gestellt.

Recht und Resilienz

Wir können das besser. Dazu müssen wir die soziale Diversität, in der wir tatsächlich längst leben, anerkennen und auch angemessen beschreiben. Und dann müssen wir unsere Regeln des Zusammenlebens präzisieren. Das sind insbesondere Regeln gegen Diskriminierung. Sie werden gefährlich missverstanden, um unterschiedliche soziale Gruppen auch noch zu zementieren: als "die" Frauen oder Männer, "die Flüchtlinge" oder "die Afrikaner" oder gar "diese Schwarzen", "die Schwulen" oder "die Behinderten". Um möglichst effektiv Benachteiligung zu beenden, müssen sie stattdessen als Instrumente gegen Sexismus und Rassismus und analoge Diskriminierung verstanden werden.

Recht ist damit nicht zuletzt ein Instrument, um Krisen zu bewältigen, also auch bei großen Veränderungen einigermaßen geordnete und damit verlässliche, vor allem aber für alle gleichermaßen faire und gestaltbare Verhältnisse herzustellen. Nur dann sorgt Recht für eine gesellschaftliche "Resilienz", für die sich heute der Einsatz lohnt und für die er auch gefordert ist. (Susanne Baer, 24.8.2018)