Wien – Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, spielt noch immer mit dem Gedanken, bei der EU-Wahl 2019 mit einer eigenen Liste anzutreten. Auch wenn er jetzt als möglicher nächster EU-Kommissar gehandelt wird, übt er weiterhin Kritik am "Zungenschlag der Ausgrenzung", den es auch in seiner eigenen Partei gebe. Sein erklärter Gegner bleibt aber die FPÖ, über deren Fehlverhalten er nicht aus Koalitionsräson schweigen wolle, wie Karas sagt.

STANDARD: Bis jetzt wagt sich in Sachen EU-Wahl niemand aus der Deckung. Wird Othmar Karas 2019 neuerlich antreten?

Karas: Ich habe es für mich noch nicht entschieden. Wir sind mitten in der österreichischen Ratspräsidentschaft, deren Erfolg von der Bewältigung großer inhaltlicher Herausforderungen abhängt. Ich denke an die Bankenunion, den Brexit, das große Migrationspaket, die Investitionspolitik. Oder die Frage, wie wir die Union demokratischer und zum globalen Player machen können.

Über inhaltliche und personelle Weichenstellungen habe er mit Sebastian Kurz noch nicht gesprochen, sagt Othmar Karas beim STANDARD-Interview in seinem Haus im 19. Wiener Bezirk.
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STANDARD: Wieso hängt Ihre Entscheidung von der Ratspräsidentschaft ab?

Karas: Ich habe politische Funktionen immer als Instrument verstanden, Ziele durchzusetzen, zu gestalten. Da geht es um inhaltliche Rahmenbedingungen. Ich habe immer gesagt: Mir ist es wichtig, welche Weichen in der österreichischen Ratspräsidentschaft erfolgreich gestellt werden und wie daher die Ausgangsbasis für die Europawahl aussieht.

STANDARD: Haben Sie mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz schon über inhaltliche Rahmenbedingungen gesprochen?

Karas: Über inhaltliche oder personelle Rahmenbedingungen haben wir noch nicht gesprochen. Wir tauschen uns natürlich über die Ratspräsidentschaft aus und haben über die Bedeutung der Europawahl gesprochen. Für mich ist sie eine grundlegende Richtungswahl: zwischen jenen, die Europa zum Sprecher des Kontinents in der Welt weiterentwickeln wollen, und jenen, die Europa zerstören oder schwächen wollen.

STANDARD: Rund um das Notenbank-Personalpaket wurden Sie jetzt schon als nächster EU-Kommissar gehandelt.

Karas: Ich war genauso überrascht über diese Mitteilung wie wahrscheinlich Ihre Leser. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Kommissarsnominierung und den Personalentscheidungen der Notenbank. Die Bestellung des Kommissars ist in hohem Maße vom Wahlergebnis der Europawahl abhängig, davon, wer Kommissionspräsident wird, wie sich die Kommission zusammensetzt und um welchen Verantwortungsbereich es sich handelt. Daher stellt sich diese Frage heute nicht. Es ist ein Gerücht, ich beteilige mich aber weder an Gerüchten noch an Personalspekulationen. An solchen Ablenkungsmanövern nehme ich nicht teil.

STANDARD: Ablenkung wovon?

Karas: Personalspekulationen lenken immer von inhaltlichen Debatten ab. Die Politik neigt dazu, vor inhaltlichen Fragen zu flüchten, indem man personalisiert oder parteipolitisiert. Ich will aber die Idee Europa über parteipolitische Auseinandersetzungen stellen. Wir müssen lernen, miteinander zu streiten, ohne einander zu verletzen. Die Menschen haben Ängste. Die kann man nicht einfach beantworten, indem man einteilt in Gut und Böse, richtig und falsch, ja und nein. Die Zusammenhänge sind viel komplexer.

Man könne nicht alles in "Gut und Böse, richtig und falsch, ja und nein" einteilen, findet Karas.
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STANDARD: Sie haben zu Beginn der Ratspräsidentschaft an Sebastian Kurz den Wunsch gerichtet, er möge jeder nationalistischen, populistischen oder egoistischen Antwort auf europäische oder globale Herausforderungen eine Absage erteilen. Haben Sie den Eindruck, Ihr Wunsch geht in Erfüllung?

Karas: Wir sehen leider in allen politischen Parteien und allen Staaten zu viel Oberflächlichkeit, Populismus und eine spaltende Sprache – da müssen wir sehr wachsam sein. Für eine Beurteilung, ob mein Ziel erreicht wird, ist es noch zu früh. Bisher ist der ÖVP in der Ratspräsidentschaft kein Fehler passiert. Große Herausforderungen werden unter anderem der Migrationsgipfel in Salzburg und das künftige EU-Budget.

STANDARD: Wird nicht momentan beim Flüchtlingsthema nur mit populistischen und egoistischen Antworten gearbeitet, die Kompromisse verunmöglichen? Gerade auch von Österreich?

Karas: Mir gefällt in Europa und auch in Österreich sehr oft die Sprache, die Reduzierung auf Einzelfragen, nicht. Weil es keine Einzelmaßnahme gibt, die diese gesamteuropäischen Probleme lösen kann. Daher lautet die Frage: Ist man bereit, die EU zu einem globalen Player in der Krisenbekämpfung zu machen – zum Beispiel was die Fluchtursachen betrifft? Wenn man Ja sagt, braucht man nicht nur sehr viel Geld, sondern auch den politischen Willen zu einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik. Gemeinsamer Außengrenzschutz heißt nicht: Es darf niemand rein. Es braucht eine gesamteuropäische Verantwortung. Das bedeutet ein gemeinsames Asylrecht, Registrierung, Differenzierung, legale Zuwanderung und gemeinsame Mindeststandards in der Integration.

STANDARD: In Österreich wird eher über mehr nationale Kompetenzen geredet. Da wird das schwierig.

Karas: Diese Probleme kann man nicht national lösen. Ich denke an die Initiative des oberösterreichischen Landesrats Rudi Anschober "Ausbildung statt Abschiebung". Wir haben erstens einen Fachkräftemangel, bieten zweitens während des Asylverfahrens Ausbildungsplätze an und schieben drittens Leute während der Ausbildung ab. Das ist in sich ein Widerspruch. Daher müssen wir Neues und europäisch denken, um diese Widersprüche aufzulösen.

Karas unterstützt die Initiative des Grünen-Politikers Rudi Anschober, "Ausbildung statt Abschiebung".
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STANDARD: Da sind Sie also auf Anschobers Seite, dass man für diese Fälle eine Regelung finden muss?

Karas: Man muss Regelungen finden. Die Politik muss lernen, ganzheitlich zu denken. Der Nationalismus ist der Tod jeder Gemeinschaft. Der Egoismus ist das Ende jeder solidarischen Rücksichtnahme aufeinander.

STANDARD: Ist der Nationalismus auch in Ihrer Partei zu stark ausgeprägt?

Karas: In allen Parteien, auch in meiner, gibt es manchmal einen Zungenschlag, der nicht der meine ist. Der Zungenschlag der Ausgrenzung statt des Verständnisses. Man muss sich immer überlegen: Löse ich ein Problem, wenn es einfach von mir fernhalte? Und wie kann ich ein Problem nachhaltig so lösen, dass ich mich am nächsten Tag auch noch in den Spiegel schauen kann?

STANDARD: Wenn ich Ihnen so zuhöre, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass für Sie eine eigene Liste bei der EU-Wahl eine ernsthafte Option ist.

Karas: Ich habe immer gesagt, und das bleibt auch so, wenn ich kandidieren sollte: Man muss die Idee Europas über die Parteipolitik stellen. Deshalb habe ich auch das überparteiliche Bürgerforum Europa gegründet. Natürlich muss ich mich entscheiden, ob ich kandidiere und wo ich kandidiere. Aber klar ist: Dort, wo Othmar Karas draufsteht, ist auch Othmar Karas drinnen. Ich lasse mich nicht auf die Partei reduzieren.

STANDARD: Es muss aber nicht zwingend die Liste Volkspartei sein, wo Othmar Karas draufsteht?

Karas: Ich bin seit elf Jahren Delegationsleiter der ÖVP, habe zwei Wahlen gewonnen und das Europakapitel im ÖVP-Grundsatzprogramm geschrieben. Das kann daher sein, muss aber nicht. Das hängt von den inhaltlichen und personellen Rahmenbedingungen ab. Die europäische Demokratie muss eine europäische Souveränität begründen, sonst sind wir die Verlierer der Globalisierung, werden zerrieben zwischen Trump und Putin, die Europa spalten wollen.

Mit Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger tauscht sich Karas regelmäßig aus, über eine Kooperation habe man aber noch nicht gesprochen, versichert er.
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STANDARD: Wäre eine Kooperation mit den Neos denkbar? Die Parteichefin kennen Sie ja gut.

Karas: Beate Meinl-Reisinger war vor zwölf Jahren meine Mitarbeiterin. Ich bin mit ihr und anderen Parteivorsitzenden in engem Kontakt. Wir haben aber nicht konkret über eine Zusammenarbeit geredet.

STANDARD: Putin war ein gutes Stichwort. Die Einladung Putins durch Außenministerin Karin Kneissl zu ihrer Hochzeit und ihr Knicks vor dem russischen Präsidenten haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt.

Karas: Ich kann die Logik, die Sinnhaftigkeit dieser Einladung bis heute nicht nachvollziehen. Ein so persönliches Fest wurde politisch inszeniert und absichtlich missbraucht. Es wäre mir auch lieber gewesen, der Bräutigam hätte ein Herzerl auf das Auto gemalt und nicht Putin.

STANDARD: Ist Kneissl als Ministerin noch tragbar?

Karas: Es hängt jetzt sehr von der Frau Außenministerin und der Bundesregierung ab, wie sie mit den Zweifeln der anderen europäischen Länder umgeht. Die Zweifel, die durch diese Bilder erzeugt wurden, müssen durch Handlungen ausgeräumt werden. Ich gehe davon aus, dass es während Österreichs Ratspräsident zu einer neuerlichen Verlängerung der Russland-Sanktionen kommt, weil das Minsker Friedensabkommen noch immer nicht erfüllt ist.

STANDARD: Wobei die FPÖ bei jeder Gelegenheit betont: Die Sanktionen müssen weg.

Karas: Das ist reiner Populismus, das ist verantwortungslos. Die Sanktionen sind die europäische Antwort auf die Verletzung der Souveränität der Ukraine, die Besetzung der Krim. Wir haben auch eine Verantwortung für die Menschen im Baltikum und in jenen Ländern, die früher Teil der Sowjetunion waren. Die haben Angst und sagen: Wenn man das jetzt duldet, wer ist der Nächste?

STANDARD: Das sieht die FPÖ offenbar anders.

Karas: Deshalb sage ich: In der Politik liegt die Frage zwischen öffentlicher Verantwortung und privatem Verhalten sehr eng beisammen. Diese Doppelmoral der FPÖ werde ich aufzeigen. Ich habe die Koalition zu respektieren, aber Loyalität gegenüber Österreich kann nicht bedeuten, dass ich die politische Auseinandersetzung mit Marine Le Pen, Geert Wilders, Matteo Salvini, Horst Seehofer oder der FPÖ in Europa nicht führe.

STANDARD: Ist die FPÖ für Sie im außenpolitischen Bereich überhaupt regierungsfähig?

Karas: Es gibt ein Koalitionsabkommen. Das Agieren der FPÖ als Partei oder von einzelnen Abgeordneten im Kosovo, in Russland oder in anderen Bereichen steht aber im Widerspruch dazu. Das muss man darstellen. Es wäre ein Fehler, wegen des Koalitionsfriedens zu Fehlentwicklungen oder zu Fehlverhalten zu schweigen. Das gehört zum politischen Diskurs. Wir sollten aus der Geschichte gelernt haben, wohin eine Schwächung der Parlamente, wohin ein autoritäres System, wohin der Nationalismus führt. Wir sollten aus der Geschichte auch gelernt haben, dass der Kommunismus und der Faschismus eine Folge einer nicht bewältigten Globalisierung des letzten Jahrhunderts und nationalistischer Antworten darauf waren.

STANDARD: Die ÖVP-EU-Abgeordnete Claudia Schmidt hat zuletzt mit einem rassistischen Posting über Afrikaner für Empörung gesorgt. Sie hat das Posting gelöscht und sich entschuldigt. Aber sollte so jemand noch einmal kandidieren?

Karas: Das war ein inakzeptables Posting, eine derartige Geisteshaltung hat in der ÖVP nichts zu suchen. Daher war es richtig, dass die ÖVP nicht zur Tagesordnung übergegangen ist und sich Frau Schmidt entschuldigt hat. Die Kandidatenaufstellung ist Sache der Salzburger Landespartei und des Bundesparteiobmanns. (Günther Oswald, 24.8.2018)