Brexit-Minister Dominic Raab erhöht den Druck auf Brüssel.

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London – Lange hat die britische Regierung eine solche Möglichkeit öffentlich gar nicht in Erwägung gezogen. Nun, da es in die Endphase der Verhandlungen mit Brüssel geht, hat sie erkannt, dass das Szenario ihr helfen könnte, Druck auf die EU auszuüben. Auch deshalb präsentierte der britische Minister für den Brext, Dominic Raab, am Donnerstag in London wohl 25 von 70 "technischen Anmerkungen", mit denen die britische Regierung skizziert, wie sie sich einen Abschied aus der EU ohne Deal mit Brüssel vorstellen würde.

Für wahrscheinlich, das sagte er auch am Donnerstag immer wieder, hält Raab ein solches Szenario zwar nicht. Aber: London will vorbereitet sein. Daher gab die Regierung nun bekannt, dass sie Firmen im Finanzdienstleistungsbereich weiterhin Zugang zum britischen Markt gewähren würde, auch dann, wenn es keine entsprechenden Vereinbarungen gebe – das ist auch den zahlreichen Banken in der City of London ein Anliegen. Außerdem will manche Regeln des EU-Marktes weiterhin akzeptieren. EU-Standards für Lebensmittel, Medikamente und Arbeitnehmerrechte sollten vorübergehend weiterhin gelten.

Medikamente für den Notfall

Allerdings: Vieles würde sich auch ändern. Zwar will Großbritannien nicht unmittelbar Zoll einheben, allerdings müssten Empfänger teurer Pakete aus Europa gleich nach dem Austritt Steuern dafür bezahlen. Außerdem könnten Auslandsbriten Probleme haben, ihre Konten zu erreichen. Die rund eine Million Briten im Ausland und die EU-Ausländer in Großbritannien würden zudem vermutlich Schwierigkeiten haben, ihre Kreditkarten zu verwenden.

Wie schon im Vorfeld bekannt wurde, plant die britische Regierung für die Eventualität eines Brexits ohne Deal, Medikamente zu importieren und zu lagern, weil man nach dem EU-Austritt von möglichen Lieferschwierigkeiten ausgeht. Die Vorräte sollen sechs Wochen länger halten, als dies in bisherigen Notfallplänen vorgesehen ist.

Kühle Reaktion Brüssels

Die EU-Kommission reagierte kühl. Sie hat am Donnerstag in Brüssel betont, dass "wir von Tag eins an hart am Zustandekommen eines Abkommens mit Großbritannien arbeiten". Dennoch gelte es, auf alle mögliche Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen vorbereitet zu sein. "Wir sehen die Notwendigkeit, dass sich Unternehmen vorbereiten", sagte der Sprecher.

Daher habe die Kommission auch bereits im Juli knapp 70 Vorschläge veröffentlicht, wie sich Unternehmen am besten auf alle möglichen Ergebnisse der Verhandlungen vorbereiten könnten. Zu Beeinträchtigungen werde es mit Sicherheit kommen, sei es mit einem Abkommen oder ohne ein solches, betonte der Sprecher.

Die Wahrscheinlichkeit für einen Brexit ohne Deal war nach Ansicht vieler Beobachter in den vergangenen Wochen gestiegen. Premierministerin Theresa May hat Schwierigkeiten, ihre Variante für einen Deal mir der EU innerhalb ihrer konservativen Partei durchzusetzen. Zugleich signalisiert Brüssel immer wieder, dass man nicht zu einem weiteren Nachgeben bereit sei. Kürzlich hieß es seitens Brüssel aber, dass man von einer Verzögerung beim eigentlich angepeilten Verhandlungsende im Frühherbst ausgeht. Man rechnet stattdessen damit, bis zur letzten Sekunde über Details sprechen zu müssen. (Manuel Escher, 23.8.2018)