Bild nicht mehr verfügbar.

Der ikonische Baumstammwurf ist auch bei den Highland-Games-Kopien in den USA Pflichtprogramm. Ansonsten nehmen sich die Versionen anderer Länder viele Freiheiten – Stichwort Wetttrinken.

Foto: AP Photo/Chuck Burton

Lukas Prettenthaler steht im schottischen Nieselregen auf einer Landzunge, wie sie schöner kaum sein könnte: Durch vereinzelte Laubbäume blickt er über die Bucht des Städtchens Portree auf eine vorgelagerte Insel, die mit satthellgrüner Farbe gemalt scheint. Er ist hier, um an den Highland Games teilzunehmen, einer eintägigen Mischung aus Sportfest, Wetttanzen und Frühschoppen.

Doch in diesem Moment hat er anderes im Sinn: "Wir haben nur zufällig überlebt", sagt er über den Autounfall, den er vor wenigen Stunden mit seinem Begleiter Martin Schiller miterlebt hat. "Irgendwie" sei er dem Frontalcrash ausgewichen. Der Lenker des vor ihnen fahrenden Minivan starb, seinen jungen Beifahrer zogen die Österreicher aus dem Wrack.

Die Skye Highland Games leben auch von der Aussicht vom Wettkampfgelände.
Foto: Martin Schauhuber

Der tragische Unfall hat nun ganz praktische Konsequenzen. Die Isle of Skye, an dessen Ostseite Portree liegt, ist lahmgelegt. Auf dieser Insel im Nordwesten Schottlands, wo die bemoosten Hügel und schroffen Küsten so unberührt wirken, dass man sich am Ende der Welt wähnt, gibt es nur eine Straße, die in Österreich als Bundesstraße durchgehen würde. Und die bleibt den ganzen Tag gesperrt. Teilnehmer und Besucher aus der Südhälfte der Insel müssen einen einstündigen Umweg fahren, deshalb wird die Eröffnung der Spiele um eine halbe Stunde verschoben.

Kein Kilt, kein Baumstamm

Und Prettenthaler und Schiller müssen ihre Pläne ändern: Sie wollten eigentlich Baumstämme, Hämmer und schwere Gewichte werfen, aber diese Bewerbe fallen unter die Kategorie "heavy" – und bei denen ist das Kilttragen Pflicht. Die Kilts der Österreicher liegen im Kofferraum ihres Mietwagens, der steht in einem Straßengraben. Ohne Kilt bleiben nur Hochsprung, Weitsprung und Laufen, diese weniger kultigen Sportarten gelten im schottischen Hochland als "light".

Peter MacDonald geht voran, die Pipe Band folgt ihm.
Moreen Pringle

Schließlich führt Drum Major Peter MacDonald seine Pipe Band doch noch in die Arena. Trommeln und Dudelsäcke, trara trara. Das Summen und Tröten des Traditionsinstruments ist der Soundtrack dieses Hochamts des schottischen Brauchtums. MacDonald ist mit seiner Band seit 45 Jahren dabei, er hat sich bis zum Chef hochgetrommelt. Nun marschiert er in einer 18-teiligen Paradeuniform von Straußenfederkopfschmuck bis Kilt vorneweg, befehligt lautstark und wirbelt sein Zepter herum.

"Die Games haben sich seit hundert Jahren nicht verändert", sagt MacDonald, "und das ist wichtig." Die Highland Games sind Tradition, leben von ihrer Tradition. Auf Skye finden sie seit 1877 nur von den Weltkriegen unterbrochen alljährlich statt. Die Idee dahinter ist noch viel älter.

Bei dem Drum Major ist jede Bewegung einstudiert...
Moreen Pringle

Mögliche Ursprünge der Games gibt es schon im vierten Jahrhundert, die am weitesten verbreitete Variante legt den Beginn ins elfte Jahrhundert: König Malcolm III. ließ die schnellsten Männer mehrerer Clans in Braemar gegeneinander zu einem Berglauf antreten, um die besten Boten zu rekrutieren. Informelle Kräftemessen verschiedener Clans wurden im 19. Jahrhundert zu in ihrer heutigen Form organisierten Highland Games. Rund 70 dieser Veranstaltungen listet die "Scottish Highland Games Association" offiziell.

Volksfest

Parallel zu den Sportwettkämpfen laufen Dudelsack- und Highland-Dance-Wettbewerbe, die Zuseher plaudern, applaudieren leistungsunabhängig und trinken Bier aus Plastikbechern, Kinder spielen auf den umliegenden Aussichtshügeln und betteln um Süßigkeiten – das ist Volksfeststimmung, trotz des regelmäßig einsetzenden Regens. Ob Schotte oder Tourist, an den hat man sich gewöhnt.

...Gleiches gilt für die Tänzerinnen in den Highland-Dance-Bewerben.
Foto: APA/AFP/ANDY BUCHANAN

Die meisten Sportbewerbe gibt es zwei Mal: vormittags nur für ortsansässige Teilnehmer, am Nachmittag "open", dann darf jeder mitmachen, der möchte. In der ersten Runde schwingt neben veritablen Muskelbröckerln ein untersetzter, aber kräftiger Durchschnittsschotte in Mittvierziger-Alltagshemd und Schlabberhose den Hammer, der Platzsprecher hat Spaß: "Habt Verständnis! Manche haben den Hammer seit vorigem Jahr nicht mehr angegriffen."

Macs gegen Wenta

Und während die Namen des Local-Bewerbs – MacKenzie, Leitch, MacDonnel – wie aus "Braveheart" klingen, stapft nach der Mittagspause ein schwarzgraubärtiger Pole namens Lukasz Wenta in den Wurfkäfig. Er ist den Highland Games zuliebe nach Schottland gezogen und wird heute gutes Geld verdienen, pro Bewerb sind zwischen 40 und 100 Pfund zu holen. Wer einen Rekord bricht, bekommt zusätzlich 40 Pfund und eine Flasche Whiskey.

Lukasz Wenta beim Geldverdienen.
Foto: Moreen Pringle

Nicht nur die Sportler kassieren. "Normalerweise sind etwa 4000 Zuschauer da, heuer wegen des Unfalls spürbar weniger. Die Highland Games sind für den Tourismus der Isle of Skye die wichtigste Veranstaltung des Jahres", sagt MacDonald. Insgesamt verzeichnen die Highland Games über 150.000 Zuschauer pro Jahr, die Queen Margaret University beziffert den Gesamtwert mit 25 Millionen Pfund. Freilich gibt es auch reichlich Zuschauer aus der Gegend. "Sehr viele sind Verwandte und Freunde von Teilnehmern", sagt die Schottin Fiona. "Für uns ist es ein Ausflug mit der Familie." Wie sehr man dabei den Traditionsfaktor spürt? "Das kommt darauf an, ob es die Games deiner Heimatstadt sind."

Ein Mal Österreich

Zurück nach Skye. Die Sonne lässt die feuchte Wettkampfwiese glänzen. Der 37-jährige Prettenthaler springt beim Hochsprung mit 1,61 m auch der deutlich jüngeren, ortsansässigen Sportskanone davon – im alten Scherensprungstil, denn eine Matte gibt es nicht. Alles wie vor 100 Jahren. "Congratulations to our winner, Lukas from Austria! Well done!", ruft der Platzsprecher. Well done sagt er an diesem Tag hunderte Male, Austria nur ein Mal. Die Kilts, der Kofferraum.

Lukas Prettenthaler gewinnt den Hochsprung-Bewerb.
Foto: Moreen Pringle

Der schlaksige Körper des Ex-Zehnkämpfers Prettenthaler ist auch für die "lights" geeignet, er ist so etwas wie die hammerwerfende Wollmilchsau im Highland-Zirkus. Schiller hat die klassische, stämmigere Highlander-Statur und beschränkt sich auf die "heavies". Der Besuch der originalen Highland Games ist für das Duo Tradition, jedes Jahr verbinden sie eine Woche Schottland-Urlaub mit etwa fünf Teilnahmen. Und, auch das ist eine Eigenheit der Games: Keines gleicht den anderen.

Next Stop Nethy Bridge

Drei Tage später, die Abernethy Highland Games: Hier ist alles größer. Schluss mit Wildromantik, Schluss mit urig. Die Wiese ist etwa so groß wie ein Fußballfeld, außen reiht sich Verkaufszelt an Foodtruck an Verkaufszelt. Schmuck, Lederwaren, mittelmäßiges Wildgulasch, Gesichtsbemalung, Hundefutter, alles da.

In einem Eck stehen Hüpfburg, Trampolin und bunt blinkendes Kettenkarussell, auf zwei Bühnen tanzen junge Mädchen um die Wette, die internationalen schweren Jungs stoßen in einer Hälfte Kugel, die Locals werfen in der anderen Hammer, auf der Seite laufen Kinder 100 Meter, auf einem angrenzenden Tennisplatz messen sich die Trommler, die unerbittlichen Dudelsackklänge kommen aus allen Richtungen. Jahrmarkt-Sinnesüberreizung auf schottisch. Große Worte wie Tradition und Kultur werden da ganz klein.

Martin Schiller beim Hammerwurf in Nethy Bridge.
Foto: David Garman

Dann ruft der Platzsprecher zur Pause und die Show beginnt. Eine Heerschar von Trommlern und Dudelsackspielern in Kilt und Schottenmütze zieht in die Arena ein, sechs Pipe Bands verschmelzen zu einem Getöse. Es durchdringt Hirn, Ohren, Herz und Lunge, es gibt kein Entkommen, man würde auch nicht wollen, wofür ist man denn in Schottland, und mit geschlossenen Augen fühlt es sich an, als marschierten die Musiker an der Seite von Robert the Bruce in den Krieg gegen die Engländer. Wäre man Schotte, man wäre stolz.

Hinter den Bands folgen in Tracht und bemühtem Gleichschritt die anwesenden Mitglieder des Clan Grant, der diese Region einst regierte und im Rahmen der Games alljährlich ein britisch-kanadisch-deutsch-neuseeländisch-australisch-österreichisches Familientreffen feiert. Und auch wenn die fokussierte, zelebrierte Intensität der Bands wieder der allgemeinen Sinnesüberreizung weichen muss – etwas Magie bleibt in der Luft. Selbst – oder gerade dann? – wenn sich die Pipe Bands wenig später im Tauziehen duellieren.

Der Einmarsch der Pipe Bands.

Der Sport soll nicht vergessen werden: Schiller holt – wieder mit Kilt – einige zweite und dritte Plätze, er nimmt 190 Pfund, rund 210 Euro, mit. Das regelmäßige Training in der Wiener Seestadt hat sich für den Ex-Hammerwerfer ausgezahlt. Der tschechische Kapitalathlet Vlad Tulacek war unbezwingbar, überschlug in der Bonusrunde der Königsdisziplin "Tossing the Caber" sogar den extraschweren, im Fluss getränkten Baumstamm – mit gerader Landung auf "12 Uhr", das eigentliche Ziel beim Baumstammwerfen. Die Belohnung: eine Flasche Whiskey.

Vlad Tulacek wirft den Challenge Caber.

Die Schotten sind abgeschlagen. "Die haben ein Nachwuchsproblem", sagt Schiller. Also räumen die Ausländer ab, immer wieder, die Österreicher sind Stammgäste: "Sie freuen sich, wenn du kommst, sie freuen sich aber auch, wenn du wieder gehst." Schiller berichtet von Jahren, in denen Hammerwurf und Co. in Abernethy eine ausländische Privatveranstaltung waren, die Österreicher erhielten das Spektakel quasi am Leben.

Mittlerweile gibt es wieder ein paar schottische Konkurrenten. Denn, auch wenn den Zauber der Highland Games die Dudelsäcke gleichermaßen ausmachen: Das Fleisch ist der Sport. Egal, ob so wie beim berühmten Gathering in Braemar 15.000 Besucher und die Queen zuschauen oder in einem abgelegenen Dorf ein paar Kinder im Matsch spielen. (Martin Schauhuber, 24.8.2018)

Dieser Text entstand im Rahmen von eurotours 2018, einem Projekt des Bundespressedienstes, finanziert aus Bundesmitteln.