Noch kaum als Schildkröte erkennbar: Eorhynchochelys sinensis.
illustration: IVPP

Peking/Chicago – Schildkröten haben Evolutionsbiologen seit jeher Kopfzerbrechen bereitet. Traditionell wurden diese einzigartig gebauten Tiere den Reptilien zugeordnet. Allerdings spricht in der Biologie heute niemand mehr von Reptilien, da das Wort die Vögel ausschließt und diese den Krokodilen näherstehen als die Krokodile den Echsen und Schlangen.

Als Überbegriff wurde Sauropsiden geprägt – und hier schwelte lange Zeit die Frage, ob die Schildkröten da dazu gehören. Sauropsiden haben zwei sogenannte Schläfenfenster (Aussparungen hinter der Augenhöhle) an jeder Seite, Säugetiere nur eine – und Schildkröten gar keine. Damit hielt sich lange Zeit die Theorie, dass Schildkröten die letzten Vertreter einer urtümlichen Gruppe von Landwirbeltieren sein könnten, der ebenfalls schläfenfensterlosen Anapsiden.

"Die Debatte ist vorbei"

Verschiedene Studien in den vergangenen Jahren haben dieser Theorie widersprochen. Ein neuer Fund aus China zieht nun endgültig einen Schlussstrich darunter: Die frühe Schildkröte Eorhynchochelys sinensis, die vor 228 bis 230 Millionen Jahren lebte, wies am Schädel klare Anzeichen von Schläfenfenstern nach Sauropsidenart auf. Dieses Merkmal hat sich offenbar im Verlauf der Schildkrötenevolution wieder verloren und die Tiere sind zu einem vermeintlichen Urzustand zurückgekehrt. "Das ist jetzt einbetoniert, die Debatte ist vorbei", sagt Olivier Rieppel vom Field Museum in Chicago zu dem Fund.

Das im Fachmagazin "Nature" vorgestellte Tier ist aber noch in anderer Hinsicht interessant: Die über zwei Meter große Schildkröte hatte einen langen Schwanz und einen scheibenförmigen Körper – aber noch keinen Panzer. Dafür hatte sie bereits ein schnabelartiges Maul, ganz wie ihre heute lebenden Verwandten.

Das kennt man auch umgekehrt: Eine schon früher entdeckte Urschildkröte vergleichbaren Alters hatte noch keinen Schnabel – aber dafür bereits einen teilweise ausgeprägten Panzer.

Das Fossil von Eorhynchochelys sinensis.
Foto: Nick Fraser, National Museums Scotland

Die Forscher um Li Chun vom Chinesischen Institut für Wirbeltierpaläontologie sehen dies als Anzeichen für einen Fall von Mosaikevolution: Nach diesem Konzept hätte eine Tiergruppe die heute für sie typischen Merkmale nicht Schritt für Schritt ausgebildet, sondern unabhängig voneinander. So können sich Arten mit unterschiedlichen Merkmalskombinationen entwickeln, bis schließlich eine auftritt, in der alle zugrundeliegenden Mutationen durchschlagen. (jdo, 26. 8. 2018)