Willem De Kooning, "Woman-Ochre": Das abstrakte Bild des gebürtigen Niederländers war 1985 aus dem Museum der University of Arizona gestohlen worden und blieb für 32 Jahre verschwunden. In dieser Zeit vervielfachte sich sein Wert. Kolportiert werden Beträge von 100 bis 160 Millionen Dollar. Dabei orientierte man sich an einem Privatdeal unter amerikanischen Milliardären: 2006 verkaufte Filmproduzent David Geffen "Woman III" (1953) für 142,5 Millionen Dollar an den Hedgefondmanager Steven A. Cohen. Das Gemälde ist allerdings deutlich größer als "Woman-Ochre". Vergleichbare Werke aus den 1950er-Jahren brachten bei Auktionen zuletzt deutlich weniger: "Woman (Blue Eyes)" von 1953 erzielte bei Christie’s (New York) 2013 beispielsweise rund 19 Millionen Dollar.

Foto: University of Arizona

Die 1985 veröffentlichten Phantombilder der mutmaßlichen Diebe. Der Museumsmitarbeiter hatte das Alter der Frau auf etwa 55 bis 60 Jahren geschätzt, das halblange rotblonde Haar sei teils von einem Kopftuch bedeckt gewesen. Der dunkelhaarige Mann mit einem Schnurrbart sei wohl jünger gewesen (25-30 Jahre).

Foto: Screenshot WFAA

Eine Aufnahme, die sich im Fotoalbum des Ehepaares Jerry und Rita Alter erhalten hat. Ähnlichkeiten zu den Phantombildern von 1985 sind gegeben.

Foto: Screenshot WFAA

Fern der Öffentlichkeit hing hinter der Schlafzimmertür im Haus des Ehepaars jahrzehntelang das wertvolle Gemälde. In der Sockelleiste entdeckten die Ermittler eine lange Schraube, die verhinderte, dass die Tür unabsichtlich vollständig geöffnet werden konnte (und der Türgriff das Bild beschädigt).

Foto: Screenshot WFAA

Dass sich der Diebstahl eines Kunstwerkes nach 32 Jahren klärt, ist eher die Ausnahme. So geschehen in den USA, wo Ende November 1985 ein Gemälde von Willem de Kooning aus einer öffentlichen Sammlung stibitzt wurde und sich im August 2017 unversehrt bei einem Altwarentandler fand. Ein Einzelfall, dessen ungewöhnliche Geschichte mittlerweile wohl Drehbuchautoren beschäftigen dürfte.

Zur besseren Einordnung: Es vergeht keine Woche, in der kein Kunstgegenstand gestohlen wird. Mehrheitlich aus privaten Eigenheimen, Galerien oder Lagern, seltener aus Museen. In den Kriminalstatistiken rangiert dieses Delikt seit Jahrzehnten unter den Top Five, nach Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel.

Bekannt werden diese Diebereien nur sporadisch. Etwa bei Tatverläufen der spektakulären Art, bei prominenten Institutionen oder wenn wertvolle Objekt betroffen ist. Aus ermittlungstaktischen Gründen gelangen manche Fälle übrigens erst zeitverzögert an die Öffentlichkeit.

Hauptmotiv: Geld

Die Motive? In kleinen Details mögen sie variieren, letztlich geht es in der Hauptsache immer um Geld. Darin sind sich Kriminalisten weltweit einig. Die Beute wird schnellstmöglich als Privatverkauf getarnt verscherbelt: manchmal an Kunsthändler, auf Flohmärkten oder über Onlineplattformen, die vom Gesetzeshüter kaum überwacht werden können.

Im Vergleich zu anderen Delikten haben Diebstähle für Strafverfolgungsbehörden oft nur eine untergeordnete Priorität. Das ist bei Kunst nicht anders als bei anderen Gütern. Dementsprechend trist ist die Aufklärungsquote.

Laut dem jüngst vom Bundeskriminalamt vorgelegten "Lagebericht Kulturgutkriminalität 2017" betrug diese in Österreich zuletzt 22,1 Prozent. Immerhin. International gibt es dazu kaum offizielles Zahlen. Laut Medienberichten pendeln die jährlichen Quoten zwischen 1,5 und zehn, selten auch über 20 Prozent.

Gesichert ist: Eine deutliche Mehrheit der Diebstähle wird nie aufgeklärt. Dem FBI zufolge bleiben Kunstwerke im Wert von mehreren Milliarden Dollar verschwunden. Je länger die Tat zurückliegt, desto geringer ist die Chance einer Auffindung, lehrt die Realität. Nur einer der Aspekte, der den Fall rund um erwähntes De-Kooning-Gemälde so außergewöhnlich macht.

Tatort Museum

Women-Ochre titelt das zu einer in den 1950er-Jahren entstandenen Serie von Aktdarstellungen gehörende Bild, das der University of Arizona in Tucson 1958 geschenkweise überlassen wurde. Bis zu Thanksgiving 1985 konnte man es dort bewundern. Anderntags, am 29. November, erfolgte der Coup. Das Museum hatte soeben erst geöffnet, als sich die ersten Besucher einstellten: eine Frau, die den Security in ein Gespräch verwickelte, während ihr männlicher Begleiter in die Ausstellungsräume im Obergeschoß verschwand.

Zehn Minuten später verließ das Paar eilig das Museum, stieg in einen dunkelroten Zweitürer und fuhr davon. Die Eile irritierte den Security. Zu Recht: Statt des de Kooning zierte die Wand nurmehr der Rahmen. Das Bild war mit einem Teppichmesser ausgeschnitten, die Leinwand zusammengerollt und unter der Winterjacke versteckt entwendet worden. Sowohl die Fahndung als auch monatelange Ermittlungen liefen ins Leere.

Das Gemälde blieb verschwunden. Die Versicherung galt den Schaden mit 400.000 Dollar ab, die die Universität teils in Sicherheitsmaßnahmen investierte, etwa auch in eine Überwachungskamera.

Entdeckung beim Tandler

Rund um Thanksgiving 2015 rief ein Zeitungsbericht das nunmehr 30 Jahre zurückliegenden Husarenstück in Erinnerung. Der Artikel sollte im August 2017 eine Rolle spielen, konkret bei der Identifizierung des Bildes durch die Eigentümer eines Geschäftes, das sonst gebrauchte Möbel und anderen Gegenstände anbietet. Angesiedelt im benachbarten Bundesstaat New Mexico.

Dort war in einem 300-Seelen-Kaff namens Cliff einige Wochen zuvor eine Witwe namens Rita Alter verstorben. Ihr Neffe verkaufte den Hausrat samt vermeintlich wertloser Bilder für 2000 Dollar an die Tandler. Einer der Kunden machte die Geschäftsleute darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Gemälde um ein Werk von de Kooning handeln dürfte.

Die waren skeptisch und wähnten eine Nachahmung. Eine Googlesuche förderte jedoch erwähnten Artikel aus dem Jahr 2015 zutage. Man kontaktierte die University of Arizona, und schnell war klar, dass es sich um das 32 Jahre zuvor gestohlene Werk handelt. Das FBI schätzte den Gegenwert des Gemäldes auf 100, wenn nicht sogar 160 Millionen Dollar. Mangels anderer Alternativen wurde es bis zur Übergabe an das Museum im einzig versperrbaren Raum des Altwarentandlers gelagert: in der Toilette.

Die Entdeckung sorgte für einiges Aufheben, nicht nur in den regionalen Medien. Zumal die Behörden die Ermittlungen wieder aufnahmen, um den Verbleib des Kunstwerkes in den vergangenen Jahrzehnten so exakt wie möglich zu rekonstruieren.

Die Dokumentation "Discovering De Kooning".
WFAA

Visuelles Vergnügen

Der TV-Sender WFAA widmete dem Fall eine Dokumentation, die im Jänner auf Youtube veröffentlicht wurde und eine erstaunliche Geschichte erzählt. Demnach dürfte das Diebespaar nun als Jerry, der 2012 verstorben war, und Rita Alter identifiziert worden sein. Woman-Ochre hing über Jahrzehnte hinter der Tür ihres Schlafzimmers, wie eine Fotoaufnahme belegt.

In ihren privaten Unterlagen fanden sich zahlreiche Hinweise, etwa auch, dass sie ein dunkelrotes Auto besaßen und im Jahr 1985 zu Thanksgiving in Tucson waren. Vermutlich hatten sie das Bild "nur" zu ihrem visuellen Vergnügen gestohlen. Die Familie, Freunde und Nachbarn können sich rückblickend allesamt keinen Reim darauf machen.

Einzig der Lebenswandel des Pärchens hätte stutzig machen sollen: Jerry, einst Musiklehrer, war mit 48 Jahren in Pension gegangen, danach war seine Ehefrau als Sprachlehrerin tätig.

Die einzig bekannte Leidenschaft: teils wochenlange Reisen, die sie in 140 Länder führten. Mit einem Gehalt dürfte das nur schwer zu finanzieren gewesen sein. Nach Rita Alters Tod im Juni 2017 belief sich das Bankguthaben auf mehr als eine Million Dollar. Die Ermittlungen laufen noch. Gut möglich, dass der de Kooning nicht das einzige Kunstwerk war, das die beiden einst stahlen. (Olga Kronsteiner, 26.8.2018)