Arma 3 ist nur eine von vielen Militärsimulationen.

Foto: Bohemia Interactive

Jedes Jahr dieselbe Diskussion: Die deutsche Bundeswehr ist Dauergast auf der Gamescom. Vor Jahren war das deutsche Militär mit einem waschechten Panzer zwischen den Größen der Spielebranche vertreten, dieses Jahr sorgte eine Plakatserie für Irritation: "Mehr Open World geht nicht" und "Multiplayer at its best", so die Sujets der Bundeswehr, mit denen in und um die Köln Messe für eine Militärkarriere geworben wurde. Das sorgte – wie auch schon früher – für Aufregung.

Ein Fest des Spielens, eine friedliche Messe zum größten Unterhaltungsmedium des Planeten und mittendrin Werbung fürs reale Soldatentum – das geht für viele nicht zusammen. Doch die Bundeswehr steht nicht zufällig auf der Spielemesse, und das nicht nur aus dem naheliegendsten Grund, dass hier das gesuchte jugendliche oder junge erwachsene Zielpublikum massenhaft vertreten ist.

Eine polemische Frage: Warum soll die Bundeswehr auf der Suche nach Nachwuchs nicht Werbung für das reale Militär machen, wenn zahllose Videospiele selbst das ebenso tun?

Besagte Werbung der Bundeswehr auf der Gamescom.

Sehr viele Spiele sind Militainment

Fast jede und jeder, der oder die besonders populäre Videospiele spielt, hat ein Grundwissen von Kriegsgerät, das noch unsere Eltern in Erstaunen versetzen würde. Wenn in PUBG neue automatische Waffen nach realen Vorbildern eingeführt werden, entspannen sich ellenlange Forumsdiskussionen über Feuerrate, Zuverlässigkeit und Eigenheiten, Spieler von Militärshootern wie Squad oder ARMA prahlen mit dem besonderen Realismus ihrer Lieblingsspiele, der enge Kooperation mit dem Team einfordert, und mit Call of Duty und Battlefield haben sich zwei der erfolgreichsten Videospielserien der Gegenwart voll und ganz dem militärischen Konflikt verschrieben. Dass mit America’s Army ein zeitweise populäres Multiplayerspiel direkt von den amerikanischen Streitkräften entwickelt und zu Werbezwecken genutzt wurde, fügt sich ebenso ins Bild wie zahllose Lizenzierungs-Deals, durch die indirekt durch Software-Verkauf Waffenhersteller Lizenzgelder lukrierten. Und natürlich bekennen auch Waffenhersteller freimütig den "Werbeeffekt", den die virtuelle Nachbildung ihrer Waffen auf zukünftige Konsumenten ausüben soll.

"Militainment", die enge Zusammenarbeit zwischen Militär und Entertainmentbranche, ist ein Riesengeschäft für beide Seiten, und das nicht erst seit die US-Luftwaffe mit ihrer Unterstützung des Film-Hits Top Gun unbezahlbare und den Kalten Krieg überdauernde Imagewerbung im Tausch für den Verleih von Heeresgerät bekommen hat. Bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg kooperierte das US-Militär mit der Traumfabrik Hollywood, um die Bevölkerung patriotisch auf den Krieg einzustimmen. Erst zu Zeiten des Vietnamkriegs kühlte das Verhältnis wieder ab, doch unter Ronald Reagan, zu Zeiten des Kalten Krieges und des "Reichs des Bösen", kehrte mit Filmen wie Top Gun oder Rambo 2 fast reine Militärpropaganda auf die Leinwände zurück. Aktuell nutzt das Pentagon Blockbuster wie die Transformers-Reihe, um Militär und Rüstungsindustrie zu bewerben. Die interaktive Animation Operation Hollywood gibt einen sehenswerten Überblick.

Operation Hollywood.
disposable culture

Krieg als Massenunterhaltung

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen – natürlich und schon immer auch im Medium Videospiele. Krieg zu spielen, und das sei absolut ohne jede moralische Wertung festgehalten, gehört zum Medium dazu – ob es einem gefällt oder nicht. Kein Wunder, dass die Bundeswehr sich auf der Gamescom am richtigen Ort fühlt; sie ist es auch. Bei aller Differenzierung und dem Bewusstsein des Unterschieds von real und virtuell: Dem Medium Computerspiel gelingt es aktuell besser als jedem anderen, Krieg als Unterhaltung zu verkaufen.

Es ist schwierig, auf diesen Umstand hinzuweisen, ohne sofort alte Reflexe auszulösen. Die alten Spieleskeptiker, Bierzeltpolitiker und Müttervereine, die vor Jahren jede Gewalttat den schrecklichen "Killerspielen" anlasten und am liebsten das ganze Medium verbieten wollten, haben aber auch deshalb kein taugliches Rezept gegen diese Verzahnung von Militär und Kinderzimmer anzubieten, weil sie ja eigentlich weit über Spiele hinausgeht: Nicht nur Hollywood, auch die Nachrichtenmedien leben von der Faszination des Krieges, und die, die am lautesten gegen das "junge", bedrohliche Medium schreien, finden oft am wenigsten dabei, am Stammtisch kriegerische Tabula-Rasa-Aktionen in anderen Weltteilen einzufordern, (Polizei-)Gewalt zu rechtfertigen oder in Schützenvereinen militärische Folklore hochzuhalten.

Auf Spielerseite hingegen wird jegliche differenzierte Thematisierung als weiterer Angriff angesehen und verbissen reflexhaft abgewehrt: Genauso absurd wie der alte Vorwurf, brutale Spiele würden Kinder zu Mördern machen, seien auch alle anderen Einwände gegen die als selbstverständlich hingenommene Militarisierung, heißt es. In Videospielen schießt man eben, Realismus ist super, dass realer Krieg reales Leid produziert weiß man ohnehin, und überhaupt: Hände weg von unseren Spielen!

Dass die Präsenz des realen Militärs auf einer Spielemesse, die voller virtueller, teils minutiös genau und realistisch simulierter Schlachtfelder ist, für Empörung sorgt, ist so betrachtet einerseits scheinheilig und andererseits ignorant. Denn das Militär kommt nicht jetzt erst zu einem quasi "unschuldigen" Unterhaltungsmedium, um Ahnungslose zu ködern; es war immer schon da. Und das nicht nur im übertragenen Sinn.

ARMA 3 im Trailer.
IGN

Missbrauch von Heeresgerät

Der Medientheoretiker Friedrich Kittler hat es lange vor Videospielen festgehalten: "Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Missbrauch von Heeresgerät." Das trifft auf die Videospielindustrie noch mehr zu als auf jede andere Unterhaltungsbranche. So gut wie alle technischen Innovationen, die im 20. Jahrhundert dazu führten, dass wir heutzutage auf dem Sofa mit Controller in der Hand in virtuelle Welten eintauchen, sind militärischen Ursprungs, wie der Kulturwissenschafter Christian Huberts in einem Essay über das militärische Erbe der Gamesindustrie konstatiert.

Mehr noch, und umgekehrt: Die Videospielindustrie hat sich längst wieder zum Zulieferer des militärisch-industriellen Komplexes gewandelt. "Games und Krieg wachsen zusammen", konstatiert etwa Martin Ganteföhr, dem man übrigens keine allgemeine Games-Skepsis unterstellen kann: Als Autor großer Adventure-Klassiker sowie des aktuellen Daedalic-Cyberpunk-Adventures State of Mind hält er in seinem Text "Nahtoderfahrungen" seine Gedanken und Erfahrungen bei wiederholten Besuchen der ITEC fest, einer Messe für militärische Simulations- und Trainingstechnologie.

Nicht nur Bohemia Interactive, die Macher der bekannten ARMA-Reihe, und der deutsche Games-Goliath Crytek beliefern längst das Militär, die Talente und Ressourcen einer Unterhaltungsindustrie mit bekannt schlechten Arbeitsbedingungen wenden sich zunehmend militärischen Unternehmen als Arbeitgeber zu. Dort arbeiten sie an Trainingssimulationen oder der Zukunft des Krieges, in der aus sicherer Distanz per Joystick Drohnen und Roboter zum Einsatz kommen – für reale Bildschirmkrieger.

Die Bundeswehr auf der Gamescom.
Foto: apa/afp/dpa/henning kaiser

Wer kein Militär auf Spielemessen will, muss die Gesellschaft ändern

Videospiele, geboren aus militärischen Technologien, das größte Unterhaltungsmedium des Planeten, vor allem bei Jugendlichen, können ihre enge Verbindung zum Militärischen also nicht verleugnen. Dass reales Militär auf Spielemessen wirbt, hat viele gute Gründe; der unwiderlegbarste darunter ist zweifellos jener, dass militärischer Konflikt in unserer Gesellschaft allgemein, nicht nur in Videospielen, als notwendig akzeptiert, beschönigend gerechtfertigt und allzu oft als unvermeidlich hingenommen wird. Krieg ist faszinierend – solange er konsequenzlos und weit weg von einem selbst stattfindet. Kein Zufall: Alternativen dazu, etwa Diplomatie oder komplexere Interaktionen, finden sich in Videospielen weitaus seltener. Sieht jemand, der immer nur einen Hammer in die Hand bekommt, irgendwann nur mehr Nägel?

Wer gegen die Faszination, die dieses Spektakel der Gewalt aus sicherer Distanz auf Spielerinnen und Spieler, aber letztlich die ganze Gesellschaft ausübt, ankämpfen will, wird mehr tun müssen, als Spieleverbote zu fordern oder die Bundeswehr von der Gamescom zu verbannen. Videospiele spiegeln unsere Welt. Wer weniger Militär in ihnen sehen will, sollte in der Realität damit beginnen. (Rainer Sigl, 25.08.2018)