Über den Höhepunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele herrscht Einigkeit: Strauss’ "Salome" begeisterte Publikum wie Kritik gleichermaßen. Und mit Asmik Grigorian in der Titelpartie wurde fast nebenbei ein neuer Star geboren.

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Es gab Zeiten, da durfte bei den Festspielen mit ungeplanter Erregung gerechnet werden, die sich lärmend übers Programm legte. Ob eine Eröffnungsrede, die den Bundespräsidenten triezte (Gerard Mortier), oder der Streit zwischen dem Intendanten und dem Theaterleiter, der sich finanziell ausgehungert fühlte. Ob Budgetprobleme oder zu große Programmideen (jene Alexander Pereiras), die das Kuratorium schreckten: Mit kunstferner Aufregung war zu rechnen.

Seit Markus Hinterhäuser die Festspiele übernommen hat, ist davon nichts zu spüren. Da wird ein durch Erkrankung ausfallender Jedermann schon zum Drama. Da werden Regentropfen, die während des Konzerts des Pianisten Grigori Sokolow durch die Decke des Großen Festspielhauses drangen, zur peinlichen Besonderheit. Letztere verweisen wohl symbolträchtig auf die Notwendigkeit einer bald zu stemmenden Renovierung. Aber kein außerkünstlerischer Skandal, keine Ablenkung.

Künstlerisch herrscht wiederum eine Art angespannte Entspanntheit samt Vertrauen, das Gebotene würde ausreichend Niveau haben. Und ja: Rund um Richard Strauss' Salome in der Regie von Romeo Castellucci, die mit Asmik Grigorian eine intensive Sängerschauspielerin präsentierte und Momente geheimnisvoller Unmittelbarkeit schuf, gruppierte sich Interessantes.

Fantasievolle Munterkeit

Die ambitionierte Zauberflöte von Lydia Steier hätte dramaturgische Straffung vertragen können. Sie flutete das Große Festspielhaus aber mit fantasievoller Munterkeit. Veteran Jan Lauwers wiederum umgarnte bei Monteverdis L'incoronazione di Poppea das schreckliche Paar, Poppea und Nerone, mit unablässig kommentierender Tanzästhetik. William Christies Les Arts Florissants und Szenisches fanden dabei im Haus für Mozart durch räumliches Zusammenrücken auch noch kammermusikalisch zueinander.

Kammermusik ging aber auch im Großen: Bei Tschaikowskis Pique Dame beschenkte Altmeister Hans Neuenfels mit etwas greller Ideenroutine. Dirigent Mariss Jansons glückte mit den Philharmoniker jedoch diskret-romantische Poesie.

Überhaupt die Philharmoniker: Mit Franz Welser-Möst hoben sie Salome in Bereiche des Besonderen – wie auch gemeinsam mit Kent Nagano Henzes The Bassarids, die Regisseur Krzysztof Warlikowski sehr respektabel meisterte.

Bedauerlich, dass Dirigent Constantinos Carydis seine Zauberflöten-Ideen in kleiner Orchesterbesetzung nicht rüberbrachte. Insgesamt jedoch war das Musikniveau sehr hoch. Es reicht von der spannenden Idee, Dirigent Teodor Currentzis alle Beethoven-Symphonien erforschen zu lassen, bis hin zu profunden Moderne-Schwerpunkten zu Galina Ustwolskaja und Beat Furrer.

Die Gerüchtekunst

Bleibt zu wünschen, dass das Niveau hoch bleiben und nicht in Routine übergehen möge. Der Mut, etwas zu wagen, möge nicht mit Überlegungen zu Hinterhäusers Vertragsverlängerung belastet werden. Personaldebatten verlagern in Salzburg programmatische Energie schnell auf Nebengleise – siehe Osterfestspiele.

Dort beendet Peter Ruzicka 2020 seine Tätigkeit als "Intendant" hinter dem eigentlichen Leiter (Dirigent Christian Thielemann). Schon jedoch rumort es im Großen: Bleiben Thielemann und seine Dresdner Staatskapelle? Wird Staatsoperndirektor Dominique Meyer Ruzicka nachfolgen? Oder wollen die Sommerfestspiele das Osterfest einkassieren und mit den Wiener Philharmonikern bestreiten? Das Gerüchteteufelchen kommt in Salzburg nie ganz zur Ruhe. Möge es den Intendanten in Ruhe lassen.

Das Salzburger Schauspiel blieb dagegen eigentümlich hartnäckig auf die Frage konzentriert, wie es um das Wohlbefinden des Jedermann-Darstellers bestellt sei. Das Husarenstück Philip Hochmairs, mit einer Vorlaufzeit von 36 Stunden den Domplatz zu stürmen und den an der Lunge erkrankten Tobias Moretti zu ersetzen, stahl allen anderen Unternehmungen von Schauspielchefin Bettina Hering einigermaßen die Show.

Dramaturgische Klammer

Herauszuheben bleibt eine dramaturgische Klammer. Durch sie wurde das Schauspiel zum Durchgangsort politischer Repräsentation. Von Ulrich Rasches fulminanter Perser-Inszenierung mit ihrer Belebung des chorischen Theaters reichte der Bogen zurück zum keuschen Friedensangebot. Dieses richtete Regisseur Johan Simons posthum an den wahnwitzigen Preußen von Kleist.

Dessen Penthesilea erstand zum Auftakt des Schauspielprogramms komplett neu, als Duell zweier Artikulationsartisten. Sandra Hüller und Jens Harzer schmeckten Kleists skandalös dröhnende Verssprache neu ab.

Das Schauspiel, so ließe sich mit Blick auf Salzburg 2018 sagen, zerfiel in Einzelschauplätze, Kampfstätten und Konfliktzonen eines auf mittlerer Temperatur köchelnden Weltbürgerkrieges. Rasche mobilisierte das Kollektiv als politisches Subjekt, als Träger von Empathie und Entsetzen. Simons wählte den Weg der Vereinzelung, um den Kampf der Geschlechter scharf zu fokussieren. Und zwischen beiden kam Frank Castorfs vazierende Volksbühne-Ost zu stehen: als fahrbares Institut zur Erforschung von Gegenwartsfragen. Wobei mithilfe von Knut Hamsuns Hunger der Urschlamm des europäischen Rechtspopulismus neu aufgerührt wurde.

Die Registratur der Empfindungslage ist recht gut geglückt. Der nächste Salzburger Schritt müsste im Salzburger Schauspiel nun heißen: Was bleibt zu tun? (Ljubisa Tosic, Ronald Pohl, 24.8.2018)