In Alpbach kamen (von links) EU-Kommissar Johannes Hahn, Tena Prelec von der London School of Economics, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der kosovarische Präsident Hashim Thaçi, der slowenische Präsident Borut Pahor und Analyst Adnan Ćerimagić zusammen. Auch hier war eine Teilung des Kosovo nach ethnischen Kriterien Thema.

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Harte Zeiten in Prishtina. Das Bild entstand beim Graffiti-Festival im Mai dieses Jahres.

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"Lasst die Serben und die Albaner ihre Probleme selbst lösen", sagte der serbische Präsident Aleksandar Vučić am Samstag beim Forum Alpbach. Er saß mit seinem kosovarischen Amtskollegen Hashim Thaçi am Podium und versuchte Stimmung für Grenzänderungen auf dem Balkan zu machen. "Wir sind die größten Nationen auf dem Westbalkan und werden dies auch noch über 100 Jahre bleiben. Wer wird dieses Problem lösen, wenn wir es nicht können?", so Vučić.

Beide – sowohl Vučić als auch Thaçi – betonten, dass sie einander nicht mögen. Es sei aber ihre Pflicht eine Lösung zu finden. Tatsächlich sind sie dauernd in Kontakt. Auch in Alpbach ging es um den "großen Deal" – ein historisches Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo, das eine indirekte Anerkennung des Kosovo durch Serbien bringen soll. Vertreter des Auswärtigen Dienstes der EU waren deswegen in Alpbach. In den malerischen Bergen von Tirol wollten die beiden starken Männer für ihre Version der Lösung lobbyieren: Neue Grenzziehungen auf dem Balkan entlang ethnischer Linien und die Teilung des Kosovo.

Gebietsaustausch vereinbart

Diplomaten zufolge haben sich Thaçi und Vučić bereits auf einen Gebietsaustausch nach völkischen Kriterien geeinigt. Demnach soll der mehrheitlich von Serben besiedelte Nordkosovo an Serbien gehen und das mehrheitlich von Albanern besiedelte Preshevo-Tal in Südserbien an den Kosovo. Auch in der EU gibt es dafür Zustimmung, so soll Frankreich nichts gegen eine derartige Lösung haben und auch die USA unter Trump sind auf diese Linie eingeschwenkt. Das einzige Land, das öffentlich klar dagegen hält, ist Deutschland. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht es als ein Spiel mit dem Feuer, das unabsehbare Folgen für Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben und die ganze Region ins Chaos stürzen könnte.

Mitte August betonte sie: "Die territoriale Integrität der Staaten des westlichen Balkans ist verbürgt und unantastbar. Das muss immer wieder und wieder gesagt werden, weil es wieder und wieder Versuche gibt, über die Grenzen zu sprechen und wir können das nicht tun." Deutschland steht nicht ganz alleine da. Auch Großbritannien und Schweden sind gegen Grenzänderungen. Großbritannien kommt dabei eine wichtige Rolle zu, weil es im UN-Sicherheitsrat sitzt.

Friedenspolitik in Gefahr

Falls sich das "ethnische Prinzip" auf dem Balkan aber durchsetzen würde, wäre die Friedenspolitik des Westens der vergangenen dreißig Jahren in Gefahr. Kernpunkt dieser Politik war es, Staaten zu schaffen, in denen Minderheiten und Bürger, die sich nicht ethnisch definieren wollen, Rechte zugesichert bekommen. Die Idee von ethnischer Homogenität, die Vertreibungen und Massenmord auf dem Balkan gebracht hat, sollte nicht zum Prinzip werden. Alle Staaten auf dem Balkan sind deswegen heute multiethnisch und im Kosovo wurde durch den Ahtisaari-Plan besonders darauf geachtet, dass die Kosovo-Serben ihre Rechte bekommen.

Diplomaten in der EU, die trotzdem aus "Pragmatismus" für den Vorschlag von Thaçi und Vučić sind, versuchen einstweilen zu beteuern, dass man sicher stellen müsse, dass es sich um keinen Präzedenzfall handeln wird und dies keine Folgen auf andere Staaten hätte. Allerdings erklären sie nicht, wie das gemacht werden soll. Sollte sich der Kosovo entlang ethnischer Kriterien teilen, würde dies jedenfalls ein Signal senden, dass sich Minderheiten in den Staaten Südosteuropas nicht mehr sicher fühlen können. Zudem würden sämtliche Prinzipien der Internationalen Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg einfach über Bord geworfen werden.

Tabubruch

Bisher war die Veränderung von Grenzen ein Tabu. Es ging darum, Instabilität zu vermeiden und dem Internationalen Recht zu folgen. Beim Zerfall Jugoslawiens orientierte man sich am Völkerrechts-Prinzip "uti possidetis", das besagt, dass die gegenseitigen internationalen Grenzen auf dem Territorium der neu entstehenden Staaten den zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit bereits bestehenden administrativen Grenzen entsprechen sollte – im Fall von Jugoslawien waren das die sechs Republiken, beim Kosovo die früheren Grenzen der autonomen Provinz.

Grenzänderungen waren auch nicht angedacht, als die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini 2014 das Mandat übernahm, den Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo zu leiten. Doch nun scheint alles anders zu sein. Im Frühling noch schlossen die EU-Kommission und wichtige Diplomaten in der EU die Teilung des Kosovo entlang ethnischer Kriterien aus. Doch in den vergangenen Monaten hat sich das Bild geändert. Weil Mogherini Thaçi und Vučić keine "roten Linien" setzte und ihnen erlaubte über den Sommer einen Gebietsaustausch zu erwägen, ist die Angelegenheit aus dem Ruder gelaufen.

Folgen für gesamte Region

Das hat längst regionale Auswirkungen. Einer schart bereits in den Startlöchern. Milorad Dodik, der prorussische Präsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, ein Mann den Barack Obama wegen seiner Politik unter US-Sanktionen stellte und der das Ziel hat Bosnien-Herzegowina zu zerstören, sieht seine Stunde gekommen. "Die Grenzen sind nicht gottgegeben", sagte er kürzlich und plädierte – wie etwa auch die FPÖ und andere völkische Nationalisten – für die "Selbstbestimmung der Völker". Dodik forciert seit Jahren die Unabhängigkeit der Republika Srpska und den Zusammenschluss mit Serbien. Die angedachte Grenzziehung entlang völkischer Kriterien im Kosovo ist für ihn ein Wahlkampfgeschenk.

Die Nationalisten wollten bereits im Krieg (1992–1995) ethnisch homogene Gebiete in Bosnien-Herzegowina schaffen – nun sieht Dodik eine Chance, dieses Ziel endgültig zu erreichen. "Wenn der Kosovo UN-Mitglied wird, dann wird auch die Republika Srpska einen Sitz in der Uno suchen", sagt er. Laut der Zeitung "Nezavisne Novine" will er den Zusammenschluss der Republika Srpska, mit Serbien und mit den vier serbischen Gemeinden im Nordkosovo. Er verfolgt damit das gleiche Ziel, dass schon in den 1990er-Jahren verfolgt wurde. Es sei an der Zeit für die Serben, mit einem klaren politischen, nationalen Programm zu kommen, sagte Dodik kürzlich. Schließlich hätten sich auch die internationalen Umstände geändert.

Russland engagiert sich auf dem Balkan stärker und die USA unter Trump hat einen Politik-Schwenk gemacht. Die neuen Botschafter der USA agieren nicht wie die alten Diplomaten – etwa jener in Kroatien. Vor wenigen Tagen sagte John Bolton, Sicherheitsberater von Donald Trump, in Kiew, dass die USA keinen Gebietsaustausch in der Frage von Kosovo und Serbien ausschließen oder verhindern würden, wenn sich beide Seiten darauf einigten. "Ich glaube nicht, dass irgendwer in Europa im Weg stehen würde, wenn die beiden Parteien eine wechselseitig zufrieden stellende Lösung erreichen werden", so Bolton.

Schwache EU ohne "rote Linie"

Der pro-russische serbische Außenminister Ivica Dačić soll mit Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner im Juli die Teilung des Kosovo besprochen haben. Der ehemalige Trump-Stratege Steve Bannon unterstützt die völkischen Nationalisten und traf sich mit Playern vom Balkan. Viele Beobachter und Balkan-Experten sind sich einig: Die Tatsache, dass es nach all den Jahren, in denen eine Teilung des Kosovo vom Westen ausgeschlossen wurde, überhaupt möglich ist, darüber offen zu diskutieren, zeigt die Schwäche der EU. Mittlerweile haben Dutzende besorgte NGOs an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini geschrieben – doch diese ist nach wie vor nicht bereit, die "rote Linie" zu ziehen.

Sie wird von vielen als die Verursacherin des Chaos betrachtet. Mogherini wird zum Abkommen zwischen dem Kosovo und Serbien, das eigentlich 2019 abgeschlossen werden sollte, möglicherweise selbst nicht mehr im Amt sein. Unter ihrer Führung ist der Dialog praktisch zum Erliegen gekommen. Und sie selbst wird als Sozialdemokratin wohl nach Ende ihres Mandats Mitte 2019 keine Chance bekommen, die Agenda weiter zu führen.

Am 7. September sollen Vučić und Thaçi wieder zu Mogherini nach Brüssel fahren. Am 9. September will Vučić in den Nordkosovo fahren und dort seine Pläne kundtun. Der Tag wird mit Spannung erwartet. Wenn er sich weiterhin für eine Teilung des Kosovo aussprechen sollte, dann wird wohl Deutschland erneut dagegen halten. In Berlin macht man dies auch mit dem Hinweis darauf, dass Deutschland für den Balkan zu wichtig sei, um es zu vergraulen. (Adelheid Wölfl, 26.8.2018)