Brexit-Minister Dominic Raab von Tag eins an unter Druck.

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Wie wird er werden, der Brexit? Weich oder hart? Das ist eine Frage, bei deren Beantwortung sich nicht nur die Politiker auf dem Kontinent den Kopf kratzen. Auf der Insel, in Großbritannien, geht der Streit darüber, ob es zu einem klaren Bruch kommen soll, munter weiter – nicht zuletzt im konservativen Kabinett.

Die jüngsten Grabenkämpfe werden zwischen dem neuen Brexit-Minister Dominic Raab und Finanzminister Philip Hammond ausgetragen. Raab hatte kürzlich eine erste Tranche "technischer Anmerkungen" vorgestellt, die demonstrieren sollen, dass die Regierung auf den Fall eines Austritts ohne Abkommen – einen "No-Deal-Brexit" – vorbereitet ist. Zwar könnte es vorerst zu Verwerfungen kommen, räumte Raab ein, aber langfristig stünde Großbritannien auch ohne Austritts- und Handelsabkommen gut da.

Mitnichten, entgegnete Schatzkanzler Hammond und verwies auf Analysen der Regierung, nach denen ein No-Deal-Brexit das Bruttoinlandsprodukt über die nächsten 15 Jahre um 7,7 Prozent senken würde. Das würde die britische Volkswirtschaft satte 150 Milliarden Pfund (166 Mrd. Euro) kosten. Von einer Brexit-Dividende, von der die Hardliner reden, könne keine Rede sein. Prognosen des Schatzamts, antwortete Raab am Sonntag süffisant, hätten sich in der Vergangenheit schon oft als falsch erwiesen.

Front gegen Mays Weißbuch

Dabei hatte sich das Kabinett doch schon festgelegt: Im Juli hatte Premierministerin Theresa May ihre Minister zu einer Klausurtagung auf den Landsitz Chequers zitiert, um dort eine gemeinsame Marschrichtung festzumachen. Der in einem Weißbuch resultierende "Chequers-Deal" sieht vor, dass Großbritannien zum Teil im Binnenmarkt verbleibt. Man will eine Freihandelszone mit der EU aushandeln. Das Königreich soll die Freiheit bekommen, bilaterale Handelsabkommen mit Drittländern abzuschließen und eigene Zölle festzusetzen. Die Vorschläge laufen auf einen Brexit hinaus, der viel weicher ausfällt als erwartet – eigentlich ein Durchbruch.

Das Problem der irischen Grenze war bisher der größte Bremsklotz bei den Verhandlungen gewesen. Die EU besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Partner Irland kommen darf. Eine gemeinsame Freihandelszone für Güter und Agrarprodukte, die Kontrollposten überflüssig macht, würde dieses Problem lösen. Auch jene Unternehmen in Großbritannien, die auf integrierte Lieferketten und eine rasche Abfertigung in Fährhäfen angewiesen sind, dürften aufatmen, denn für den Güterverkehr will Großbritannien weiter das gemeinsame Regelwerk akzeptieren, verbleibt also de facto im Binnenmarkt. Bei den Dienstleistungen aber will London eigenen Regeln folgen.

Nur eine Alternative

Der Chequers-Deal ist jetzt die offizielle britische Verhandlungsposition und stellt das Äußerste dar, was an Einigung in der britischen Regierung erreichbar war. Immerhin hatte es zwei Jahre gebraucht, um zu einem gemeinsamen Kurs zu kommen. Jetzt, sieben Monate vor dem Austrittsdatum, gibt es praktisch nur die Alternative zwischen Chequers- oder No-Deal, sollten die EU-Verhandlungspartner Mays Vorschlag rundweg ablehnen.

Es ist nicht zu erwarten, dass Brüssel ein No-Deal-Szenario anstrebt. Auch im britischen Unterhaus gibt es keine Mehrheit dafür. Andererseits könnte es aber auch für den Chequers-Deal keine Mehrheit geben, sollten genügend Fraktionskollegen von May dagegen stimmen – und die Hardlinergruppe innerhalb der Konservativen hat das schon angekündigt. In diesem Fall wäre vieles möglich: Mays Rücktritt, Neuwahlen oder womöglich sogar ein neues Referendum, in dem das Volk entscheiden müsste, ob es sich wirklich auf den härtesten, den No-Deal-Brexit einlassen will. (Jochen Wittmann aus London, 26.8.2018)