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Die Vorwürfe gegen Papst Franziskus sind mit Vorsicht zu genießen, doch zeigen die Anschuldigungen, dass der Pontifex in Sachen Missbrauch angreifbar zu sein scheint.

Foto: Reuters/Gregorio Borgia

Beim neuen Ankläger des Papstes handelt es sich um den 77-jährigen ehemaligen Botschafter des Vatikans in den USA, den italienischen Erzbischof Carlo Maria Viganò. Der ehemalige Spitzendiplomat behauptet in einem mehrseitigen Schreiben, Papst Franziskus habe von den Missbrauchsvorwürfen gegen den US-amerikanischen Kardinal Theodore McCarrick gewusst und diesen gedeckt. Es wurde gleichzeitig von der rechtsgerichteten Zeitung La Verità in Italien und mehreren konservativen Medien in den USA publiziert. Das Kirchenoberhaupt soll die Tätigkeiten eines Homosexuellennetzwerks vertuscht haben.

In seinem Brief nannte er Namen von Kardinälen, die seiner Meinung nach zum "homosexuellen Kreis" gehören. Viganò fordert den Rücktritt des Pontifex: "Franziskus soll mit gutem Beispiel voranschreiten und mit all jenen Kardinälen und Bischöfen zurücktreten, die McCarricks Übergriffe gedeckt haben."

Bereits 2013 erfahren

Kardinal McCarrick, dem früheren Erzbischof von Washington, wird vorgeworfen, sich in den Achtzigerjahren in einem Priesterseminar an jungen Männern vergangen zu haben. Über dieses "stark unmoralische Verhalten" habe er Papst Franziskus schon im Juni 2013, also kurz nach dessen Wahl zum Papst, in einer Privataudienz in Kenntnis gesetzt, schreibt Viganò.

Doch der neue Pontifex habe nicht nur nichts unternommen, sondern die bereits von seinem Vorgänger Benedikt XVI. gegen McCarrick verhängten Sanktionen wieder aufgehoben. Viganò wirft dem Papst vor, McCarrick "bis zum bitteren Ende gedeckt" zu haben, weil dieser beim Konklave vom März 2013, bei dem Franziskus zum Papst gewählt wurde, für ihn gestimmt habe.

"Kein Wort sagen"

Franziskus mochte die Vorwürfe Viganòs nicht kommentieren. "Ich werde dazu kein Wort sagen", sagte der Papst am Sonntag auf dem Rückweg von seiner Irland-Reise zu den ihn begleitenden Journalisten. "Ich denke, das Schreiben spricht für sich." Wenn etwas Zeit vergangen sei und die Medienvertreter ihre Schlüsse gezogen hätten, werde er sich vielleicht äußern, stellte Franziskus in Aussicht. Tatsache ist, dass der Papst aus Argentinien dem schwer belasteten McCarrick im vergangenen Juli die Kardinalswürde entzogen und seinen Rücktritt als Erzbischof angenommen hatte.

Die Vorwürfe des ehemaligen Diplomaten Viganò sind jedenfalls mit größter Vorsicht zu genießen. Sein Name war schon vor sechs Jahren im ersten Vatileaks-Skandal aufgetaucht. Diese Affäre rund um gestohlene Geheimdokumente aus dem Vatikan, in denen es um Vorwürfe der Korruption und der Freunderlwirtschaft im Kirchenstaat ging, war dem Rücktritt von Benedikt XVI. vorausgegangen. Viganò gilt als konservativ und als Sympathisant der religiösen Rechten und der Traditionalisten in den USA, die sich seit langem auf den vermeintlich liberalen und sozialistischen Franziskus eingeschossen haben.

Persönliche "Vendetta"

Nicht wenige italienische Vatikan-Experten vermuten außerdem eine persönliche "Vendetta", eine Racheaktion Viganòs gegen Papst Franziskus, der ihn bei der ersten Gelegenheit in Pension geschickt hatte und nicht mehr in den Vatikan zurückkehren ließ. Viganò wurde 2016 vorgeworfen, sich in den Kampf der konservativen Amerikaner gegen die gleichgeschlechtliche Ehe verwickelt zu haben.

Auch der Zeitpunkt, zu welchem Viganò seine – unbewiesenen – Vorwürfe veröffentlicht hat, erscheint suspekt: Sie erschienen pünktlich zum Ende der Irland-Reise des Papstes, bei welcher Franziskus Fehler bei der Bewältigung des Missbrauchsskandals eingeräumt und sich für diese entschuldigt hatte.

In einem Brief an "das Volk Gottes" hatte Franziskus außerdem vor wenigen Tagen zugegeben, dass er und mit ihm die Kirche "nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten". Der Papst ist bezüglich des Umgangs mit fehlbaren Bischöfen und Priestern in der Tat angreifbar – und das hat Viganò ausgenutzt.

Homosexuelle Kinder

Für Wirbel gesorgt hat am Sonntag auch eine Äußerung des Papstes zur Homosexualität. Auf die Frage eines Journalisten, was er Eltern eines homosexuellen Kindes sagen würde, antwortete Franziskus, er würde ihnen raten, zuerst "zu beten, nicht zu verurteilen, Gespräche zu führen, zu verstehen, dem Sohn oder der Tochter Raum zu geben".

Außerdem riet der Papst aus Argentinien zu ärztlicher Betreuung: Gerade in der Kindheit könne die Psychiatrie viel erreichen. 20 Jahre später sehe es anders aus. Homosexuelle Neigungen habe es schon immer gegeben, betonte Franziskus. "Ich würde nie sagen, dass Schweigen ein Gegenmittel ist. Seinen Sohn oder seine Tochter mit homosexuellen Tendenzen zu ignorieren, ist ein Mangel an Väterlichkeit oder Mütterlichkeit."

Nach heftiger Kritik hat der Vatikan die Empfehlung, homosexuelle Kinder psychiatrisch behandeln zu lassen, "zurückgezogen". Das Zitat sei geändert worden, "um den Gedankengang des Papstes nicht zu verfälschen", sagte eine Vatikan-Sprecherin der Nachrichtenagentur AFP. Bei Franziskus' Verweis auf die Psychiatrie sei es um "ein Beispiel" für die vielen Dinge gegangen, mit denen Eltern auf die mutmaßliche Homosexualität ihres Kindes reagieren könnten. (Dominik Straub aus Rom, 27.8.2018)