Es sind denkbar schlechte Voraussetzungen für die zwei frisch verliebten Jugendlichen in der neuen Netflix-Serie "The Innocents", die seit Freitag abrufbar ist. Die 16-jährige June lebt auf einem einsamen Hof im schottischen Nirgendwo, hat einen überfürsorglichen Vater, der ihr nach der Schule das Handy abnimmt. Ihr Bruder leidet an Agoraphobie, der Angst vor Gedränge und weiten Plätzen, er lebt zurückgezogen in einer Gartenhütte.

Die Mutter: vor Jahren verschwunden. Ihrem geheimen Freund Harry schreibt sie heimlich Liebesbriefe. Der wiederum hat es zu Hause ebenfalls nicht einfach. Seine Mutter hat als Polizistin kaum Zeit für Harrys pflegebedürftigen Vater. So bleibt das tägliche Baden seines Papas, der kaum mehr als ein Grunzen herausbringt, an ihm hängen.

Die Verwandlung

Die beiden sehen nur eine Lösung: raus hier! Harry tauscht den Ehering seines Vaters gegen ein gebrauchtes Auto und haut mit June ab. Endlich Zeit für Romantik? Eher nicht. Denn beim ersten Stopp, einem Motel, liegt June plötzlich im Körper eines bärtigen Norwegers neben Harry im Bett. Jenes Norwegers, den Harry kurz zuvor niedergeschlagen hat, nachdem er versucht hatte, June in seinen Transporter zu ziehen. June entdeckt, dass sie eine sogenannte Wandlerin ist und ihre Gestalt ändern kann – weiß aber nicht, wie und warum. Es dämmert ihr, dass der Kontrollzwang ihres Vaters und die Epilepsiepillen, die sie täglich schlucken muss, einen Grund haben.

Auch ihre Mutter, sie hat die gleiche Fähigkeit, sucht nach ihr. Sie lebt in einer sektenhaften Gemeinschaft aus Menschen mit ähnlichen Gaben in Norwegen. Hin und wieder führt der ebenfalls dort ansässige Wissenschafter Dr. Halvorson (Guy Pearce) schmerzhafte Experimente an ihnen durch.

Foto: Netflix

Boomendes Genre

Ein Teeniepaar haut ab, übernatürliche Fähigkeiten, mysteriöse Wissenschafter – all das kommt den meisten Netflix-Sehern wohl bekannt vor. Denn der Streamingdienstleister produziert Mystery- und Teenagerdramen (und insbesondere die Kombination aus beiden) am laufenden Band: "The Innocents" gesellt sich in der Netflix-Mediathek wohl neben "13 Reasons Why", "Stranger Things", "The Rain" und "Dark".

Foto: Netflix

Mit dieser Strategie bringt Netflix zwar nichts bahnbrechend Neues hervor, liefert aber trotzdem in beständiger Qualität. In "The Innocents" überzeugen zwar die Hauptdarsteller Sorcha Groundsell und Percelle Ascott und die Kulisse aus englischer Landschaft und norwegischen Fjorden. Doch der Plot will nicht so richtig funktionieren.

Denn Hania Elkington und Simon Duric, der auch für "The Crown" und "Black Mirror" schrieb, erzählen "The Innocents" allzu langsam – und bemühen sich oft zu sehr, emotional zu sein. Dabei entsteht teilweise eine unfreiwillige Komik. Wenn etwa Harry nach Junes Verwandlung beim Getränkeautomaten eine Dose hinunterfällt und ein Sandwich in der Maschine stecken bleibt, ist der schwermütige Indiefolk mit anschließender Solo-Schluchzszene im Auto zu viel des Guten.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Autoren in der (unbestätigten) Staffel zwei innovativeres Storytelling trauen. (Philip Pramer, 28.8.2018)

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