Neandertaler waren zwar die ersten Menschen, die Kleidung und Felle herstellten. Und sie wussten auch mit dem Feuer umzugehen. Dennoch dürften sie mehr unter der Kälte gelitten haben als der moderne Mensch.
Illustration: JPL/NASA

Köln/Wien – Die Frage beschäftigt Archäologen und Anthropologen heute mehr als je zuvor: Warum starb der Neandertaler aus, während sich der moderne Mensch vor gut 40.000 Jahren in Europa auszubreiten begann? Spekulationen über die Gründe für das Aussterben unserer nächsten Verwandten gibt es zuhauf. Doch ob sich der Grund ihres Untergangs je mit Gewissheit klären lassen wird?

An kreativen Ideen der Wissenschaft mangelt es jedenfalls nicht: So haben Forscher zuletzt unter anderem begonnen, Minihirne mit einem Neandertaler-Gen zu züchten, um aufgrund dieser stecknadelkopfgroßen Organoide Rückschlüsse auf das geistige Vermögen der um einiges älteren Menschengruppe zu ziehen, wie auch der STANDARD berichtete.

Das Klima vor gut 40.000 Jahren

Einen anderen Weg schlug Michael Staubwasser (Uni Köln) mit einem internationalen Forscherteam ein: Der Umweltisotopengeochemiker und seine Kollegen rekonstruierten anhand von Tropfsteinen aus einer Höhle in Rumänien die Klimaentwicklung für die Zeit vor 440.000 bis 40.000 Jahren und verglichen diese Daten mit den bekannten Neandertalerartefakten aus dieser Epoche.

Forscher in der fast 20 Kilometer langen Tăușoare-Höhle in den östlichen Karpaten in Rumänien. Isotopenanalysen der Stalagmiten in der Höhle halfen, die Kältezeiten vor mehr als 40.000 Jahren in Mitteleuropa zu rekonstruieren.
Foto: Crin Theodorescu

Die Hypothese: Womöglich trugen die damals einsetzenden Kälteperioden, die zum Teil einige Jahrhunderte lang dauerten, doch mehr zum Ende der Neandertaler bei als gedacht.

Bisher war die Forschung in der Frage eher skeptisch, denn Funde zeigen zum einen, dass die Neandertaler als erste Menschengruppe Kleidung herstellten und wohl auch schon Felle bearbeiteten. Zum anderen deuten bestimmte anatomische Besonderheiten – wie eine eher große Nase zum Vorwärmen der Luft – auf eine gute Anpassung an das damals kältere Klima hin. Außerdem kamen die wirklich kalten Phasen der Eiszeit erst nach dem Aussterben der Neandertaler.

Rückgang an Neandertalerfunden

Doch was Staubwasser und seine Kollegen nun im Fachblatt "PNAS" an Fakten zusammengetragen haben, gibt der These wieder Auftrieb, dass die Neandertaler vor gut 40.000 Jahren doch stärker unter der Kälte gelitten haben dürften als angenommen. Zunächst konnten die Forscher nämlich ermitteln, dass es im Untersuchungszeitraum zwei bis drei Kältephasen (sogenannte Stadiale) mit besonders kaltem und trockenem Klima gab. Und für diese Perioden (konkret: die Stadiale GS10, 11 und 12), die mehrere Jahrhunderte dauerten, lässt sich auch ein dramatischer Rückgang an Neandertalerartefakten beobachten.

Staubwasser und seine Kollegen gehen deshalb davon aus, dass es in diesen Phasen zu einem starken Schwund der Neandertalerpopulationen in Europa gekommen sein dürfte. Konkret vermuten die Wissenschafter, dass die sehr fleischlastigen Nahrungsgewohnheiten der Neandertaler in den Kältephasen zu Problemen führten, während sich unsere Vorfahren zusätzlich auch von Pflanzen und Fisch ernährten – und dadurch einen entscheidenden Überlebensvorteil hatten. (Klaus Taschwer, 27.8.2018)