Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, wieso die Sache mit dem Rucksack so ein großes Ding ist. Also, genauer: wieso das Thema hier und anderswo nicht nur interessiert, sondern auch polarisiert. Wer mit Rucksack laufen will, soll. Wer nicht, halt nicht.

Was es am Rucksackverhalten anderer zu kritisieren oder gar darüber zu streiten gibt, hat sich mir noch nie erschlossen. Fakt ist, dass Debatten über Sinn und Unsinn von Trailrucksäcken ausbrechen, sobald hier ein Mensch mit Laufweste zu sehen ist.

Weil es in Onlineforen aber allem Anschein nach ein Naturgesetz ist, dass sogar die Frage nach der Uhrzeit in wüste Beschimpfungen, Belehrungen und Beleidigungen, oder aber zum Schwingen der Nazikeule führt (gern kombiniert), firmiert mittlerweile sogar das Thema "Laufrucksack" unter "sensibel". Verstehen muss ich das ja nicht.

Foto: thomas rottenberg

Andererseits gibt es aber Menschen, die verstehen wollen, wieso andere sich so oder anders verhalten. Auch in ihrer Freizeit, beim Sport. Und beim Laufen: Es ist nicht verwerflich, Fragen zu stellen, aus Antworten Erkenntnisse und Entscheidungen abzuleiten – und die später zu evaluieren. Das nennt man "lernen". Im wirklichen Leben schafft es fast jeder, damit zu leben, dass andere eben anders ticken. In Foren und sozialen Medien dagegen … Lassen wir das.

Statt darüber zu sinnieren, fragte ich Auskenner und Auskennerinnen, wie sie es mit dem Rucksacklaufen halten.

Und falls sich jemand für mein Gepäckverhalten beim Laufen interessiert: Auf dem Berg und im Wald bin ich dort, wo ich nicht zu 150 Prozent sicher bin, im Notfall binnen fünf Minuten gefunden zu werden, nie ohne unterwegs. Aus Sicherheitsgründen. In der Stadt bei längeren Läufen und wechselhaftem Wetter mittlerweile auch: Ich habe auf der Heimfahrt in der klimatisierten U-Bahn gern etwas Trockenes an. Und am Rücken oder im Brustgeschirr sind Regenjacke, Riegel und – bei Bedarf – Flasks "schwerelos" und rutschfest verstaut.

Foto: thomas rottenberg

Der Erste, der auf meinen Rundruf antwortete, war Werner Mairl. Er ist der Kopf von "Trailrunning Vienna" (TRV), einer via Facebook organisierten Gang, die in und um Wien "möglichst in der Gruppe und mit viel Spaß am Laufen in der Natur" aktiv ist. SoMe, betont Mairl, sei nur Transportmittel, nicht Selbstzweck: "Wir organisieren Lauftreffs und gemeinsame Touren im Bereich von 10 km bis 60 km." Niederschwellig und unkompliziert: "2017 haben sich rund 200 verschiedene Läuferinnen und Läufer auf unseren etwa 120 Events blicken lassen, wobei wir in Summe auf 1.200 Teilnahmen kommen. Wir haben einen Frauenanteil von nahezu 50 Prozent – da können sich Politik und Wirtschaft wohl noch eine Scheibe abschneiden."

TRV hat nicht zuletzt als "Einstiegsdroge" im Wiener Raum einen Namen: Bei den Schnupperläufen ist jeder willkommen. Bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit.

Der Rucksack ist dabei Standard. "Er bleibt in der Zwischenzeit auch bei den kürzesten Schönwetterläufen nicht mehr zu Hause" denn "Regenjacke und ein trockenes Shirt sind immer dabei".

Aus einem ganz simplen Grund: "Solange ich laufe, brauche ich meist kein Wechselgewand, da liefert der Körper genügend Abwärme."

Sobald man sich aber nicht mehr laufend fortbewegen kann, beginnt man auszukühlen: "Wenn man nass ist, kommt die Verdunstungskälte dazu, das kann recht schnell unangenehm werden."

Foto: BILD 3 Mairl ©Trailrunning Vienna

"Nicht mehr laufen können", so der TRV-Chef, "fängt bei einer kleinen Verletzung an. Es kann ein Hungerast (Unterzuckerung, Anm.) sein." Und es muss einen gar nicht selbst betreffen: "Auf der Hauptallee kann einer, dem es schlecht geht, in die U-Bahn steigen. Im Gelände aber heißt es zusammenbleiben." Punkt.

Auch ganz ohne Probleme sind die "Transferphasen" ein Rucksackthema: "In Wien erreicht man die Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln, z. B. mit den klassischen U4 –U4." Oder aber man endet bei einem "Öffi": Nach dem Lauf nasse Bekleidung gegen ein trockenes Shirt zu tauschen ist nicht nur den anderen Fahrgästen gegenüber ein Akt der olfaktorischen Courtoisie, es schützt auch vor Verkühlungen.

Foto: ©Trailrunning Vienna

Was neben Rettungsdecke, Wechselshirt und anderem Notfallequipment (dazu später mehr) in den Rucksack gehört? Mairl holt aus: "Ein Trailrun kann schnell doppelt so lang wie ein ähnlicher Lauf auf der Straße dauern: Es kommen Höhenmeter dazu. Die Landschaft sollte genossen werden. Wir erleben oft, dass Läufer, die von der Straße kommen, den Energiebedarf unterschätzen und nach 90 Minuten an einem Hungerast eingehen."

Deshalb müssen Wasser, isotonische Getränke und Riegel oder Gel (Kohlenhydrate!) unbedingt mit.

"Wasser kann schwer werden – hier wird der Rucksack wichtig. Laufrucksäcke werden meist mit Trinkblase verkauft." Das ist ihrer Geschichte geschuldet, "weil die Rucksäcke ursprünglich vom Mountainbiken kommen und dort so auch gut funktionieren. Im Trailbereich geht der Trend weg von der Trinkblase hin zu den Softflasks, also faltbaren Flaschen in der Größe zwischen 250 ml und einem halben Liter."

Foto: thomas rottenberg

Trinkblasen, erklärt Mair, haben Nachteile: "Komplizierte Reinigung, kompliziertes Nachfüllen. Ich weiß nie genau, wie viel ich noch habe. Softflasks vorn haben diese Nachteile nicht."

"Wichtig", setzt Mairl fort, "ist die Ladekapazität vorn: Was kann ich erreichen und rausholen, ohne den Rucksack von der Schulter zu nehmen? Alles, was hinten liegt, ist nur für den Notfall. Alles, was in den Laufrucksack hineinkommt, muss einzeln wasserdicht verpackt sein: Egal, wie wasserdicht der Rucksack ist, man schwitzt am Rücken und weicht den Rucksack durch. Das ist grundsätzlich kein wirkliches Problem, nur sollten die Sachen im Rucksack trocken bleiben."

Foto: thomas rottenberg

Unmittelbar nach den Trailrunning-Vienna-Leuten antwortete auch Christian Decker. Der ist laufenden STANDARD-LesernInnen zum einen ein Begriff, weil er hier schon 2015 eine detaillierte Beschreibung der Lainzer Tiergarten-Umrundung beschrieben hat – und zum anderen, weil er über das Barfuß- und Sandalenlaufen bloggt.

Decker habe ich noch nie ohne Laufrucksack erlebt. Und das ist kein Zufall: "Ich laufe seit 2015 meine langen Läufe nur mit Rucksack. Auslöser war eine Lainz-Runde im Sommer, wo ich nichts zum Trinken hatte, fast umgekippt wäre, 20 Minuten im Schatten gesessen bin und mir geschworen habe, nie wieder ohne Flüssigkeit zu laufen.

Deckers "Rucksack-Benchmark" sind zwei Stunden. Aber auch bei kürzeren Läufen und Bewerben mit guter Versorgung schwört er auf das "Wimmerl": "Ich bin die Strecke des Vienna Trails zwei Wochen davor gelaufen – mit Rucksack. Ich wäre auch beim Bewerb selber mit Rucksack gelaufen: wegen des eigenständigen Trinkens." Ich traf den Laufblogger einst auch beim Vienna City Marathon – mit Rucksack. Ist das heute auch noch so? "Laufe ich Straßenmarathons mit Rucksack? Nein – weil ich keine Straßenmarathons mehr laufe. Aber wenn, würde ich den Rucksack mitnehmen."

Foto: ©decker

Der Grund ist banal: "Er stört mich nicht. Und ich habe lieber einen Rucksack mit und brauche ihn nicht, als dass ich keinen mithabe und ihn brauche." Auch Christian Decker bat ich um seine Packliste : "Ich laufe in Sandalen, daher habe ich aus Sicherheitsgründen ein Paar Ersatzschuhe mit. Eine Regenpelerine wiegt nicht viel und hilft enorm. Ein Erste-Hilfe-Paket. Inhalt: Rettungsdecke, Pflaster, sterile Wundauflage, Mullbinde, Leukoplast, 50 Euro, Not-Traubenzucker." Zu dieser Basisausrüstung kommt bei Bedarf einiges hinzu: "Beim Mozart 100 etwa meine Stirnlampe. Dauert der Lauf länger als neun Stunden, ist ein Akkupack dabei." Und natürlich Riegel und Wasser.

Verwenden will er das meiste davon nicht – es daheim zu lassen ist aber keine Option: "Ich laufe in Gegenden, wo nicht unbedingt viele Menschen sind, meist auf Singletrails. Ein Sturz kann gut ausgehen – wahrscheinlich ist das aber nicht."

Foto: ©wozulaufschuhe.at

Dass das im alpinen Bereich auch und erst recht gilt, erklärt sich von selbst. Für Läuferinnen und Läufer, die dort unterwegs sind, gelten deshalb die gleichen Vorsichts- und Vorbereitungsmaßnahmen wie für Bergwanderer. Nur will man halt beim Laufen möglichst wenig Gepäck mithaben: ein Balanceakt.

Der Balanceakt, meint die Tiroler Trailläuferin und Trail-Bloggerin Denise Goßner, dürfe aber nie zulasten der Sicherheit gehen. Mit Denise war ich im Frühjahr in Istrien auf einer Traillauf-Pressereise. Ohne Rucksack habe ich sie da eigentlich nur im Hotel (und auf dem Rad) gesehen: "Der Rucksack ist für mich ein absolutes Must. In den Bergen muss man für jede Situation gewappnet sein: Wetterumschwünge, Stürze oder Dehydrierung erfordern es, immer mit dem Nötigsten ausgerüstet zu sein." In ihren Rucksack gehören "neben Verpflegung (Gels, Riegel, Flüssigkeiten – mindestens ein Liter) daher Erste-Hilfe-Set, Regenjacke, Wechselshirt, Mobiltelefon, Bargeld, Pfeife und je nach Höhenlage Mütze und Handschuhe – und oft auch Trailrunning-Stöcke".

Foto: ©denise_go

Der Rucksack sei, betont die Tirolerin, nur Mittel zum Zweck: "Selbstverständlich kann man die Ausrüstung auch in einen Laufgurt packen, wenn man sie da reinbekommt. Ich persönlich finde Rucksäcke angenehmer, da der Schwerpunkt im Brust- und Schulterbereich bleibt."

Immer und überall sieht man Denise dann auch nicht mit Rucksack: Als ich im Mai am Achensee war, lief sie mit mir und meiner Freundin Eva eine kleine Uferrunde: Auf so einem kurzen Trail reicht es, wenn einer den Sherpa macht – in dem Fall ich. Aber "bei Trainingsläufen im Flachen und mit einer Dauer von unter 1,5 Stunden ist ein Rucksack für mich persönlich nicht nötig. Hier komme ich auch ohne Flüssigkeiten oder Nahrung aus. Auch bei Wettkämpfen im flachen Gelände mit Labestationen alle paar Kilometer würde ich auf das zusätzliche Gewicht verzichten."

Foto: thomas rottenberg

Goßner wird von einem der großen, renommierten Outdoor-Labels (der Marke Dynafit) gesponsert. Bei der Wahl der Ausrüstung zählt für Hobbyläufer und -läuferinnen aber die individuelle Passform mehr als das Label, räumt sie ein: "Beim stundenlangen Laufen muss der Rucksack kompakt und eng anliegen, um Reibung zu vermeiden. Die meisten Hersteller bieten unterschiedliche Größen an. Wichtig ist, dass der Rucksack anpassbar ist, da man zu unterschiedlichen Jahreszeiten ja mehr oder weniger anhat. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Erreichbarkeit der verschiedenen Taschen: Du wirst nicht deinen ganzen Rucksack runternehmen wollen, wenn du ein Gel oder einen Riegel benötigst."

Ins gleiche Horn stößt Goßners Kollegin und Freundin Eva Mitteregger. Ebenfalls Tirolerin, ebenfalls semiprofessionelle Trailläuferin und Bloggerin – und ebenfalls beim Trip nach Istrien dabei: "Bei Läufen ab einer Dauer von eineinhalb Stunden im Gelände habe ich meinen Trailrucksack immer dabei. Für kürzere Läufe oder Läufe im Flachen brauche ich ihn nicht. Einen Fixplatz darin haben auf alle Fälle Erste-Hilfe-Set, Rettungsdecke und Handy – nicht nur für Fotos, sondern auch für Notfälle."

Foto: ©Mitteregger

Musste man vor ein paar Jahren noch froh sein, einen halbwegs lauftauglichen Rucksack zu finden, sind die einschlägigen Läden heute schon besser bestückt. Trailrucksäcke gab es zwar – aber sie kamen halt kaum in die Shops: Die Nachfrage sprach nicht dafür. Heute ist die Auswahl dafür fast unübersichtlich. Die größte dürfte es im Großraum Wien im Liesinger Trail-Spezialshop "Traildog Running" bei Elisa Kramer-Asperger und ihrem Mann Ed Kramer geben.

Die Modelle gibt es nicht bloß in unterschiedlichen Größen und Passformen, mit unterschiedlichen Packvolumina (von zwei bis 30 Liter), sondern auch "gegendert". Wer ohne zu probieren günstig online kauft, kann leicht danebengreifen: Mein Lieblingsrucksack geht bei meinem besten Freund mit seinem Nacken gar nicht …

Früher, meint Elisa Kramer-Asperger, war das Leben zwar einfacher – allerdings nicht besser: "Es gab keine Laufrucksäcke, die den Namen verdient hätten. Dafür Spießrutenläufe von Hydrant zu Hydrant zu Tankstelle – und kein trockenes Wechselshirt. Es war die Zeit der unsäglichen Trinkgürtel, die mich Nerven und pBs (,personal Best’, also Bestzeiten im Wettkampf; Anm. TR) gekostet haben durch das ständige Herumhüpfen zwischen Hüfte und Taille."

Foto:©traildog.at

Was den Pflichtinhalt eines Laufrucksacks im Gelände angeht, sind die Angaben der beiden Trail-Ausstatter mit jenen aller anderen Auskenner ident: Pfeiferl, Aludecke, Erste-Hilfe-Set, Wechselshirt, Regenjacke, Stirnlampe, Riegel, Gel und Wasser, Handy ("mit eingespeicherten Notruf-Nummern!" betonen Werner Mairl und Ed Kramer unisono). In einem Punkt gibt es im Hause Kramer aber vermutlich Gesprächsbedarf: Ed spricht lieber von "Westen": "Für mich der schönere Begriff, da Rucksack doch so sperrig und nach Wandertag klingt." Elisa kontert diplomatisch: "Um die Diskussion über den Unterschied zwischen Laufweste und Laufrucksack abzukürzen: Sagt doch dazu, wie ihr wollt – das machen die Hersteller genauso!"

Zu guter Letzt fragte ich dann noch Sigrid Huber, wie sie es denn mit Rucksäcken halte. Huber ist Gründerin und Chefredakteurin von "Trailrunning Szene", einem österreichischen Traillauf-Magazin und -Portal, das längst weit über die Grenzen bekannt und anerkannt ist.

Huber antwortete knapp – und klar strukturiert: "Generell im Training auf nicht alpinen Trails mit weniger als zehn Kilometer: kein Rucksack. Bei großer Hitze habe ich eine 0,5-l-Flask dabei, die ich entweder in der Hand trage oder im Freebelt mittrage.

Zehn bis 20 km: Meistens mit kleinem Rucksack, ca. 5 l Volumen. Inhalt: je nach Wetter 0,5 bis 1 Liter Wasser, ein Notfallriegel oder Gel (wenn es länger dauert und die letzte größere Mahlzeit zu lange her ist), Sonnenbrille, ärmellose Jacke oder Regenjacke, dünnes Stirnband. 20+ km: Rucksack mit ca. 10 l Volumen. Inhalt: Stöcke, Erste-Hilfe-Paket, Stirnlampe und Ersatzbatterien, Kappe, Sonnencreme, Wechselwäsche, Regenbekleidung, Verpflegung, Handschuhe, Mütze/Buff, Karte, Uhr, Sonnenbrille, Handy mit Notfallnummern (Alpinnotruf 140, Euro-Notruf 112). Zusätzlich habe ich gern GoPro und je nach Dauer natürlich mehr Verpflegung und auch Geld dabei.

Foto: ©trailrunning-szene.at

Freilich: Ob man derlei wirklich immer dabei haben will und muss, bleibt jedem und jeder selbst überlassen. Bei einem Hochsommerlauf im Wienerwald habe ich weder Handschuhe noch Thermo-Shirt dabei. No na – aber oberhalb der Baumgrenze sieht es anders aus.

Dass die von Huber für Läufe über mehr als 20 Kilometer angeführte Liste ziemlich ident mit dem ist, was bei Trail-Wettkämpfen das vorgeschriebene Marschgepäck ist, soll nicht unerwähnt bleiben: Nur aus Jux und Tollerei hängt man Läuferinnen und Läufern das alles nicht um.

Und es schadet nicht, gut ausgerüstet zu sein. Auch nicht bei leichten, kurzen Läufen mit Versorgungsstellen alle paar Kilometer. Denn so ein Rucksack funktioniert wie eine Vollkaskoversicherung: Der Parkschaden mit Fahrerflucht kommt, sobald man wegen der Kosten aus der Versicherung aussteigt. Drum: Besser mit – schon wegen der Belohnungsschokolade für danach. Die könnte ich sonst nirgendwo einstecken.

(Thomas Rottenberg, 29.8.2018)

Mehr Fotos gibt es auf Tom Rottenbergs Facebookseite

Foto: ©trailrunning-szene.at